Der schwedische Staatsanwalt Mats Ljungqvist ließ am 7. Februar die Bombe platzen: „Es gibt keinen Hinweis darauf, daß schwedisches Territorium genutzt wurde oder daß schwedische Staatsbürger an der Sprengung der Nord-Stream-Gaspipeline am 26. September 2022 beteiligt waren.“ Da der Anschlag in internationalen Gewässern stattgefunden habe, werde das schwedische Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf schwere Sabotage eingestellt, so Ljungqvist.
Weiter wolle er keine weiteren Informationen über den Fall geben, so die Zeitung Dagens Nyheter. Die Ermittlungen seien in internationaler Zusammenarbeit mit mehreren Ländern, insbesondere Dänemark und Deutschland, durchgeführt worden, und das Material der schwedischen Voruntersuchung werde nun an die deutschen Behörden übergeben. „Das deutsche Ermittlungsverfahren dauert an, und aufgrund der Vertraulichkeit, die für die internationale justitielle Zusammenarbeit gilt, kann ich mich nicht weiter zu dieser Zusammenarbeit äußern“, erklärte Ljungqvist.
Insgesamt vier Explosionen hatten im September 2022 in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gerissen. Diese dienten bis zum russischen Überfall auf die Ukraine dem Transport von russischem Gas nach Deutschland. Sie waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas.
Direkt im Anschluß an diese Explosionen wurde Rusland als Hauptverdächtiger genannt. Die Ermittßungen ergaben dagegen Hinweise auf eine Beteiligung der Ukraine, da ein Segelschiff gefunden wurde, das an den Anschlägen beteiligt war und an dem sich Sprengstoffspuren nachweisen ließen. Diese führten in die Ukraine. Die deutschen Ermittlungsbehörden lehnten unter Verweis auf eine angeordnete „Geheimhaltungspflicht“ jeglichen Kommentar ab. Allerdings müssen die Schweden mehr wissen, als sie nach außen kommunizieren. So erklärte Ljungqvist: „Ich werde auch nicht in der Lage sein, die Schlußfolgerungen der schwedischen Ermittlungen weiter zu kommentieren oder mich zu verdächtigen Personen in den schwedischen Ermittlungen zu äußern.“ Rußland kritisierte die Einstellung der Ermittlungen scharf. Sein Land werde den weiteren Fortgang der Ermittlungen genau beobachten „und je nach Situation Entscheidungen“ treffen, so Regierungssprecher Dmitri Peskow. Welcher Art diese sein könnten, wurde aber nicht genannt.
Neu sind dabei die „hybriden
Bedrohungen“ verborgener Akteure
Insgesamt gibt es nach Angaben der US-amerikanischen NGO Global Energy Monitor 2.177 Pipelines. Und zwar nicht nur für Erdöl und Erdgas, obwohl diese die wichtigste Bedeutung haben, sondern auch zum Beispiel für Eisenerz, zur Nahrungsmittelversorgung bis hin zum Moor für medizinische Anwendungen. Die längsten Pipelines sind über 4.000 Kilometer lang.
Die Nord Stream-Explosionen waren bislang die schwersten Anschläge auf die sogenannte „kritische maritime Infrastruktur“, doch nicht die einzigen ihrer Art. So hat die Stiftung Wissenschaft und Politik Anfang Februar die Studie „Maritime kritische Infrastrukturen – Strategische Bedeutung und geeignete Schutzmaßnahmen“ veröffentlicht. Das Institut gehört zu den einflußreichsten deutschen Forschungseinrichtungen für außen- und sicherheitspolitische Fragen. In dieser Studie wird dargestellt, daß die Gefahr für den Menschen durch Anschläge auf die kritische maritime Infrastruktur immer konkreter wird. Zwar war das Meer schon immer Austragungsort geopolitischer Konflikte gewesen. Neu seien aber „hybride Bedrohungen, bei denen die Akteure die Weite der Ozeane nutzen, um im verborgenen zu agieren.“ Zugleich würden maritime Infrastrukturen in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, etwa durch neuartige Nutzungen wie den Tiefseebergbau oder die Speicherung von Kohlenstoff.
Der hohe Grad der Vernetzung innerhalb Europas führe dazu, daß Infrastrukturen an der Küste eines Landes von besonderer Bedeutung für ganz Europa sein werden. Darüber hinaus seien aber aufgrund der globalen Vernetzung auch Infrastrukturen in weiter entfernten Regionen bedeutsam. Einige von ihnen hätten zudem „eine derart herausgehobene gesellschaftliche Bedeutung“, daß sie besonders geschützt werden müssten, heißt es in der Studie. Zugleich gelte es jedoch, eine pauschale „Versicherheitlichung“ des maritimen Raums zu vermeiden. Um maritime Infrastrukturen zu schützen, sollte neben Ansätzen, die auf die Eigenheiten einzelner Einrichtungen oder Sektoren zielen, insbesondere auf Resilienz und Diversifizierung gesetzt werden. Wo dies nicht möglich und die Bedrohung durch staatliche Akteure groß sei, bedürfe es zudem ergänzender militärischer Schutzmaßnahmen.
In jüngster Vergangenheit mehrten sich die Probleme in dieser kritischen Infrastruktur. Etwa als das 400 Meter lange Containerschiff „Ever Given“ im März 2021 aufgrund widriger Strömungen im Suezkanal steckenblieb. Danach ging auf dem 193 Kilometer langen Meerwasserkanal für sechs Tage nichts mehr. Die Folgen dieses fast einwöchigen Kanalinfarktes waren laut Fachjournalistin Dörte Neitzel auf der Webseite „Technik + Einkauf“ immens: Mehr als 350 Schiffe stauten sich an den Zufahrtsstellen. Einer Kalkulation des Informationsdienstes „Lloyd’s List“ zufolge kostete die Blockade die Weltwirtschaft aufgrund der Verzögerung von Waren rund 400 Millionen US-Dollar pro Stunde. Auch der Ölpreis reagierte empfindlich auf die Nachricht des feststeckenden Tankers und schoß zeitweise in die Höhe. Darüber hinaus verstärkte sich der weltweite Mangel an Containern alleine in Europa und Asien um rund ein Viertel. Mit knapp 20.000 Schiffsdurchfahrten ist der Suezkanal der meistbefahrene Kanal außerhalb Deutschlands. Auf der Frachtstrecke zwischen Europa und Asien ist er einer der kritischsten sogenannten „Chokepoints“ (Engpässe). Über den Transportweg kommt unter anderem Erdöl und Flüssiggas aus dem Nahen Osten nach Europa. Rund zwölf Prozent des weltweiten Handels laufen über diese Wasserstraße.
Derzeit belasten die Angriffe der jeminitischen Huthi-Rebellen die Fahrt durch den Suezkanal. Nachdem inzwischen mehrere Handelsschiffe bombardiert wurden, meiden immer mehr Reedereien die Fahrt durch das Rote Meer und den Suezkanal und werden die Schiffe rund um das Kap der Guten Hoffnung umgeleitet. Dadurch verzögere sich der Transport zwischen Asien und Europa um bis zu 20 Tage, erklärte Julian Hinz vom Institut für Weltwirtschaft (IfW). So mußte etwa der E-Auto-Hersteller Tesla die Produktion in Brandenburg für zwei Wochen unterbrechen. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) kostet der Umweg monatlich eine zweistellige Millionensumme.
Immer mehr in den Mittelpunkt rückt die Straße von Hormus. Dieser Kanal verbindet den Persischen Golf im Westen mit dem Golf von Oman sowie das Arabische Meer mit dem Indischen Ozean im Osten. An der engsten Stelle ist die Passage lediglich 55 Kilometer breit. Durch die Straße von Hormus verläuft der gesamte Schiffsverkehr von und zu den Ölhäfen des Irak, Bahrains, Kuwaits, Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate. Etwa ein Fünftel der weltweiten Öllieferungen passieren laut Neitzel die Meerenge, das sind etwa 17,4 Millionen Barrel pro Tag. Katar schickt fast sein komplettes Flüssiggas (LNG) durch die Straße. Daher kommt der Straße von Hormus aufgrund der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran eine sehr wichtige strategische Bedeutung zu. Denn an der engsten Stelle ist es sehr leicht, durch geschickte Sprengungen die Durchfahrt für sehr lange Zeit zu blockieren.
Unterseekabel könnten ein
kritisches Ziel von Anschlägen sein
Und das sind nur zwei der Meeresengstellen. Eine weitere ist der Bosporus zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer, der zu den wichtigsten Korridoren des weltweiten Seehandels gehört. Pro Jahr durchfahren rund 50.000 Schiffe den etwa 30 Kilometer langen und zwischen 700 und 2.500 Meter breiten Verbindungsweg zwischen Asien und Europa. Die Straße von Bab el-Mandeb hat die gleiche Bedeutung wie der Suezkanal. Die nur rund 27 Kilometer breite Durchfahrt verbindet das Rote Meer mit dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean. Weitere bedeutende Meerengen und künstliche Wasserstraßen sind der Panamakanal, der die Seestrecke zwischen New York und San Francisco um gut 20.000 Kilometer auf 10.000 Kilometer abkürzt. Würde es hier zu einem Ausfall kommen, ist die Alternative die Route um das gefürchtete Kap Hoorn. Relativ geringe Risiken gibt es bei dem Nord-Ostsee-Kanal, der mit jährlich rund 30.000 Schiffen zwar die am häufigsten befahrene künstliche Wasserstraße ist. Ein Umweg über das Skagerrak weiter nördlich ist aber nur rund 460 Kilometer länger.
Zur kritischen maritimen Infrastruktur gehören auch die Untersee-Datenkabel. Über diese werden derzeit mehr als 95 Prozent des interkontinentalen Datenverkehrs abgewickelt, von der E-Mail über Telefonate bis hin zum Internet. Zwar würden die Daten in Zukunft zunehmend über Satelliten übertragen, aber auf lange Zeit werden Kabel unentbehrlich bleiben. Besonders relevant sind dabei die zentralen Knotenpunkte, die die Ansatzpunkte für Spionage, aber auch für Sabotageaktionen sind. Je konzentrierter die Datenverbindungen sind, desto größer ist das Potential für ein erfolgreiches Abgreifen von Daten oder für folgenreiche Störungen von Datenflüssen. Besonders wichtig ist nach Auffassung der Stiftung Wissenschaft und Politik der Aufbau weiterer Sicherungsmaßnahmen, vor allem bei den küstennah gelegenen, nicht so tiefen Startpunkten der Unterseekabel.
Um die potentiellen Bedrohungen und deren Auswirkungen zu minimieren, empfiehlt die Stiftung eine enge Zusammenarbeit und Koordination aller beteiligten Stellen, sowohl staatlicher als auch privater. Dies umfasse auch die Schulung der Mitarbeiter. Auch die Streitkräfte müßten eine immer wichtigere Rolle bekommen, da nur sie über eine bedeutende Anzahl von Schiffen und U-Booten verfügten, die für die Sicherung der kritischen maritimen Infrastruktur zwingend vonnöten sind. So schützt etwa Großbritannien seine Pipelines mit einer ganzen Flotte unbemannter Unterwasserdrohnen, die mit ihren empfindlichen Sensoren Geräusche und Unterwasserbewegungen aufnehmen und analysieren. Allerdings gibt es dabei eine rechtliche Grauzone, denn dies darf nur in den eigenen Hoheitsgewässern geschehen. Kreuze ein Saboteur in internationalen Gewässern und handele es sich um ein Marineschiff oder ein staatliches Forschungsschiff, dürften patrouillierende Schiffe eines anderen Staates nicht einschreiten.