© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/24 / 23. Februar 2024

Studie zur Kaufkraft des Bürgergeldes: Abschirmung gegen die Inflation
Zu kurz gesprungen
Reiner Osbild

Das Bürgergeld erfüllt seine Funktion, das Existenzminimum zu wahren, nur dann, wenn seine Kaufkraft von Zeit zur Zeit der Inflation angepaßt wird. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 5/24) ist dies mit den hohen Anhebungen der Jahre 2023 (Anhebung von 449 auf 502 Euro) und 2024 (auf 563 Euro) auch gelungen. Mehr noch, angesichts der sich abschwächenden Inflation (Januar 2023: 8,7 Prozent; Januar 2024: 2,9 Prozent) dürfte der reale Wert des Regelbedarfs für Alleinstehende – nur dieser wurde analysiert –zum Jahresende hin deutlich über dem Niveau von Anfang 2020 liegen.

Zugleich wird deutlich, daß der Regelsatz für Alleinstehende seit 2020 ähnlich stark gestiegen ist wie der gesetzliche Mindestlohn, um knapp 30 Prozent. Im Gegensatz zum Bürgergeldregelsatz muß man jedoch hier – und in den unteren Lohngruppen allgemein – von einem Kaufkraftverlust ausgehen. Der erste Grund sind die gestiegenen Kosten für Wohnung und Energie. Da diese beim Bürgergeld in der Regel von der Allgemeinheit getragen werden, entsteht bei diesem Ausgabenblock ein Inflationsschutz, der für den Arbeitnehmer erst einmal nicht existiert. Der alleinstehende Mindestlohnempfänger erhielt zwar einen Energiekostenzuschuß von 300 Euro brutto und kann unter Umständen Wohngeld beantragen, doch ob dies seine Mehrkosten zu hundert Prozent abdeckt, wie beim Bürgergeldbezieher, ist fraglich. Eine weitere Komponente ist die Beitragsdynamik bei den Sozialversicherungen. Die Zusatzbeiträge in den gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen sind erst jüngst merklich gestiegen. Aber auch gegen diese Kostenerhöhung wird der Bürgergeldempfänger vollständig abgeschirmt: sei es direkt durch eine erhöhte Zahlung aus der Staatskasse an die jeweilige Krankenversicherung, sei es indirekt durch die übrigen gesetzlich Versicherten, die ja mehr einzahlen bei gleichen Leistungen. Beide Varianten stellen den Niedriglohnbezieher schlechter in Relation zum Bürgergeldempfänger.

Beim Vergleich des Mindestlohnempfängers mit einer Bürgergeld-Bedarfsgemeinschaft mit Kindern wirkt sich die soziale Schieflage noch stärker aus. Denn viele Niedrigverdiener, so sie denn unterhaltspflichtige Kinder haben, sind den Preiserhöhungen bei der Schul- und Kitaverpflegung, den Kindergartengebühren sowie sonstigen Sachleistungen schutzlos ausgeliefert. Dem Bürgergeldempfänger ist es schnuppe, denn er erhält diese Sachleistungen „vom Amt“ erstattet. Technisch ausgedrückt: Er muß seine Ausgaben nicht beschränken, um seinen Kindern dies oder jenes gönnen zu können und genießt damit einen Inflationsschutz, der über den eines Arbeitnehmers hinausgeht.

Schließlich fließt auch die Nettolohnentwicklung mit Zeitverzögerung in die Berechnung des Bürgergeldes ein. Damit wird die Inflationskomponente ein weiteres Mal berücksichtigt, denn der Nettolohn ist für viele Arbeitnehmer deutlich gestiegen. Zum einen ist hier die inflationsbedingte Erhöhung des Bruttolohnes zu nennen, zum anderen die – im Grunde richtige – Verschiebung des Einkommensteuertarifs, so daß netto mehr „ankam“ von den prozentual teilweise üppigen Lohnrunden. Eine Kaufkraftbetrachtung, die nur auf den speziellen Verbraucherpreisindex für Bürgergeldbezieher abstellt, ist demzufolge zu kurz gesprungen.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.