© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Mineralien unter Verdacht
Gegen Alzheimer gibt es noch kein Medikament / Beeinflußt vielleicht die Ernährung den Krankheitsausbruch?
Marion Meiners

Der Mensch ist, was er ißt – das wußte schon vor 160 Jahren der bayerische Philosoph Ludwig Feuerbach. Was Adipositas oder Diabetes angeht, ist diese Erkenntnis längst durch Studien untermauert worden. Aber gilt das auch für Alzheimer? Die rätselhafte Krankheit, bei der Eiweißablagerungen zunehmend zum Absterben von Nervenzellen führen, betrifft hierzulande mehr als die Hälfte der etwa 1,7 Millionen Demenz-Patienten. Die Krankheit gilt bisher als unheilbar, die Suche nach Wirkstoffen gegen den Eiweißmüll ist bisher in Serie gefloppt: Rund 98 Prozent aller seit 2003 durchgeführten Studien sind gescheitert, so die ernüchternde Bilanz einer internationalen Forschergruppe im Journal of Alzheimer’s Disease (87/22).

Liegen Ursache und Therapie womöglich in der Ernährung? Das wollten Forscher um Vincenzo Mollace und Antonio Leo (Universität Magna Græcia von Catanzaro/Kalabrien) genauer wissen. Sie analysierten, welchen Einfluß Nährstoffe auf die Gehirngesundheit haben. Dafür gingen sie der Frage nach: Kann ein Mangel oder Überschuß von Mikronährstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln den Krankheitsausbruch beeinflussen? Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Ageing Research Reviews (2/24) veröffentlicht. Neben dem hirnschützenden Effekt einer mediterranen Diät sowie antioxidativer Nährstoffe wie etwa der Vitamine A, C, E und Flavonoide stellte die Arbeitsgruppe auch fest: Einen gravierenden Einfluß auf die kognitiven Fähigkeiten sowie auf die Bildung und Ansammlung von Eiweiß-Plaques hat speziell die Konzentration von Zink (Zn), Eisen (Fe) und Kupfer (Cu) im Hirn.

„Einige Studien haben gezeigt, daß die Entstehung der Alzheimer-Demenz eng mit dynamischen Veränderungen einiger Mikronährstoffe im Körper verknüpft ist“, schreiben die Forscher. Da mit dem Alter die schützende Blut-Hirn-Schranke immer durchlässiger werde, könne das dann zu einer Fehlregulation und Erhöhung der jeweiligen Zn-, Fe- und Cu-Spiegel führen: „Erhöhte Konzentrationen dieser Mineralien erzeugen oxidativen Streß, was als eine der Hauptursachen für neurodegenerative Erkrankungen gilt.“ Eisen ist etwa notwendig für die Myelin-Bildung bestimmter Nervenfasern, die Produktion von Nervenbotenstoffen sowie die Funktion antioxidativer Enzyme. Zusammen mit Cu und Zn moduliert es die Aktivität der Synapsen und die Flexibilität des Gehirns.

Dynamische Veränderungen einiger Mikronährstoffe im Hirn

Zwar kann ein Mangel auch zur verminderten Denkleistung führen; ein Zuviel dagegen ist zerstörerisch. In der Folge kommt es zur Entzündung und zum Absterben von Nervenzellen. Die zu hohe Fe-Konzentration begünstigt zudem die Entstehung von Amyloid-Plaques zwischen den Nervenzellen – und fördert die Bildung veränderter Tau-Proteine, die sich im Innern von Nervenzellen zu unlöslichen Fasern verknäueln und sich dann über Nervenzell-Netzwerke wie eine ansteckende Krankheit ausbreiten.

Auch erhöhte Cu-Konzentrationen im Gehirn könnten die Bildung von Eiweiß-Plaques und Tau-Fibrillen beschleunigen. „Weitere Studien legen nahe, daß erhöhte Kupfer-Spiegel über einen längeren Zeitraum die Denkleistung und das Gedächtnis verschlechtern können“, stellten die Forscher fest. Tatsächlich hatte ein internationales Forscher-Team jüngst auffällige Kupfer- und Eisen-Nanopartikel in den Amyloid-Ablagerungen aus den Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten nachgewiesen. Eine bislang wenig bekannte Rolle scheint auch Zn bei der Bildung von Amyloid-Plaques und der Entwicklung von Demenzen zu spielen. Obwohl auch ein Mangel die Denkfähigkeit und das Gedächtnis deutlich beeinträchtigen kann, scheint eine zu hohe Konzentration des Mineralstoffs außerhalb der Zellen die Krankheit sogar zu beschleunigen.

Pflanzenbetonte Mittelmeerkost mit vielen Antioxidantien?

„Während Kupfer und Eisen hauptsächlich verantwortlich für die durch die Neurotoxizität der Amyloid-beta-Plaques sind, ist Zink vor allem an deren Anhäufung beteiligt“, fassen die Forscher zusammen. Auch könne Zn die Verklumpung von Tau-Proteinen beschleunigen sowie zum Tod von Nervenzellen führen. Bekannt ist bislang nur, daß eine chronische Zinküberdosierung, etwa durch den übermäßigen und langzeitigen Gebrauch von zinkhaltigen Zahnprothesen-Haftcremes, zu überhöhten Zinkspiegeln, Kupfermangel, Blutarmut und schweren neurologischen Störungen führen kann. Die italienischen Forscher wünschen sich mehr Studien zum Thema Vorbeugung und die Einflüsse von Lifestyle-Faktoren auf die Alzheimer-Entstehung: „Unsere gesammelten Daten könnten dafür ein Startpunkt sein.“

Weltweit werden derzeit vier Alzheimer-Forschungsansätze verfolgt:

• Die Krankheit erkennen, bevor sie ausgebrochen ist – und möglichst frühzeitig behandeln: Das will das 2023 gestartete „Projekt Predictom“ der Innovative Health Initiative (IHI) der EU, bei dem eine auf künstlicher Intelligenz basierende Plattform Personen mit erhöhtem Demenzrisiko identifizieren soll, bevor sich erste Symptome zeigen. 21 Millionen Euro hat Brüssel dafür bereitgestellt. An dem von der Uniklinik Stavanger koordinierten Projekt nehmen 15 Länder in Europa, Asien und Nordamerika teil.

• Die Anhäufung und Vermehrung der möglicherweise toxischen Amyloid-beta-Plaques sowie der Tau-Proteine aufzuhalten oder auch schützende kurze RNA-Stränge in Nervenzellen zu stärken, um die toxischen Varianten, die zum Neuronen-Tod führen, zu verdrängen. Einen solchen Ansatz verfolgen etwa US-Forscher der Northwestern University in Chicago (JF 5/24).

• Die Rolle von Infektionen (Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten, Prionen) und mikrobieller Bio-Toxine (etwa Endotoxine von Darmbakterien oder Pilz-Gifte) sowie eine ursächliche Behandlung der Demenz-Erkrankung zu prüfen. Die Hinweise verdichten sich, daß chronische mikrobielle Infektionen und daraus resultierende Entzündungen das Alzheimer-Risiko erhöhen. Zusammenhänge wurden schon für Hefepilze (Candida), Borrelien, Chlamydien, Herpes-Viren und sogar für Parodontitis-Keime vermutet und publiziert. Weiteres Indiz dafür ist, daß Alzheimer-Plaques Studien zufolge eine starke anti-mikrobielle Wirkung haben; viele Forscher vermuten deshalb inzwischen, daß sie zur Abwehr von (intrazellulären) Erregern und der Zerstörung infizierter Zellen dienen.

• Und die beschriebene Ernährungs-Umstellung gegen Alzheimer. Vor allem die „ketogene Diät“ – eine fettreiche, sehr stark kohlenhydratreduzierte Ernährung – hat inzwischen einen schützenden Effekt auf das Gehirn bei Demenzerkrankungen gezeigt. Auch die pflanzenbetonte Mittelmeerkost, die viele Antioxidantien aus Obst und Gemüse enthält, hatte in Studien positive Effekte auf den Verlauf der Alzheimer-Krankheit. 24 Studien zum Thema Alzheimer und Ernährungs-Intervention sind derzeit im Studienregister Clinical Trials (clinicaltrials.gov) registriert.


Deutsche Alzheimer Gesellschaft:

 www.deutsche-alzheimer.de

Impact of micronutrients and nutraceuticals on cognitive function in Alzheimer’s disease:

 doi.org/10.1016/j.arr.2024.102210