© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Eine Flucht blieb den Besatzern erspart
Vor 35 Jahren verlassen die letzten Sowjettruppen Afghanistan / Ihre Marionettenregierung hielt sich noch drei Jahre an der Macht
Jürgen W. Schmidt

Unter großer Aufmerksamkeit der sowjetischen Medien sowie unter Uno-Beobachtung rollte am 15. Februar 1989 das letzte Bataillon der sowjetischen 40. Armee über die Brücke des Grenzflusses Amu-Darja aus Afghanistan zurück in die Sowjetunion. Es handelte sich um das kampfstarke, mit der Region gut vertraute Aufklärungsbataillon der sowjetischen 201. Motorisierten Schützendivision. Hinter diesem Bataillon marschierte demonstrativ als allerletzter sowjetischer Soldat der Oberbefehlshaber der 40. Armee Generalleutnant Boris Gromow zu Fuß über die Brücke und wurde auf heimatlichem Boden von seinem Sohn Maksim mit Blumen empfangen. Dem sowjetischen Truppenrückzug waren langjährige, durch die Uno moderierte politische Gespräche, bekannt geworden als „Genfer Verhandlungen“, vorangegangen. Um sowjetischerseits das Gesicht zu wahren, handelte man damals seitens der Gorbatschow-Administration aus, daß allein die sowjetisch gestützte Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVAP) als legitimer Vertreter des afghanischen Volks gelten und Pakistan parallel zum sowjetischen Truppenrückzug seine Unterstützung des afghanischen Widerstandes einstellen solle. 

Am 14. April 1988 unterzeichneten der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse, der US-amerikanische Außenminister George P. Shultz, der afghanische Außenminister Mohammad Abdul Wakil und der pakistanische Staatsminister Noorani in Gegenwart von Uno-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar ein entsprechendes Abkommen. Wenngleich damit die direkte ausländische Einmischung in den afghanischen Konflikt beendet wurde, so köchelte nach dem 15. Februar 1989 der innerafghanische Bürgerkrieg weiter. Der sowjetische „Quisling“, DVAP-Führer und letzte „starke“ Präsident Afghanistans Mohammed Nadschibullah konnte sich wider allgemeines Erwarten noch bis zum April 1992 an der Macht halten, bis schließlich die Kämpfer des nordafghanischen Warlords Abdul Raschid Dostum Kabul besetzten. Nadschibullah flüchtete sich in seiner Not ins UN-Hauptquartier in Kabul. Schließlich übernahmen im September 1996 in Kabul die Taliban die Macht. Sie holten Nadschibullah mit Gewalt aus seinem Zufluchtsort und folterten ihn schwer. Nachdem man ihn angeblich entmannt hatte, wurde er vor dem Kabuler Präsidentenpalast öffentlich gehängt.

Gromow riet den US-Amerikanern, nicht auf die Paschtunen zu setzen

Besser meisterte Generalleutnant Gromow, welcher seit 1988 Träger des Ehrentitels „Held der Sowjetunion“ ist, sein weiteres Leben bis zum heutigen Tag. Er rückte zum Generaloberst der Russischen Streitkräfte sowie sukzessive zum Stellvertretenden russischen Innenminister bezeihungsweise zum Stellvertretenden Verteidigungsminister auf. Von 2000 bis 2012 verwaltete er als Gouverneur den Verwaltungsbezirk Moskau. Als die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Afghanistan besetzten, bewertete General Gromow dies positiv und empfahl Rußland, sprich Präsident Putin, eine begrenzte Zusammenarbeit mit den US-Amerikanern. 

Ausgehend von seinen in Afghanistan gemachten Erfahrungen war Gromow ein Vertreter der Politik eines „Teile und herrsche“. Man sollte sich seitens der USA demgemäß vor allem unter den nichtpaschtunischen afghanischen Warlords Verbündete suchen und diese unterstützen, um die religiös-radikalen Warlords und die fundamentalistischen Taliban kurz zu halten. Dieser Politik-ansatz wurde seitens der USA, welche mehr auf allgemeine nationale Versöhnung in Afghanistan setzten und zu diesem Zwecke das Land mit Geld und Entwicklungshilfe fluteten, allerdings nicht umgesetzt. Im Gegensatz zur Sowjetarmee mußten die amerikanischen Streitkräfte und ihre Verbündeten deshalb im August 2021 Afghanistan fluchtartig verlassen, und wiederum kehrten die Taliban in Kabul an die Macht zurück.