© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Kein echter Gegner
Interview: Tucker Carlson läßt sich von Rußlands Präsident Putin übertölpeln
Elliot Neaman

Tucker Carlson ist beseelt von einem unstillbaren Hunger nach Aufmerksamkeit. Bereits sein Vater war eine einflußreiche Führungskraft in der Nachrichtenbranche und diente in der Reagan-Regierung. Mit seiner Hilfe kam Tucker auf eine schicke Vorbereitungsschule, war aber ein schlechter Schüler, der dann bei der CIA scheiterte. Der russische Präsident Wladimir Putin wußte das und nutzte es, um Carlson nervös zu machen.

US-Kritiker seines Putin-Interviews wiesen auf die Tatsache hin, daß Carlson sich die meiste Zeit zurückhielt und kaum Fragen stellte. Putin begann mit einem fast ununterbrochenen 20minütigen Selbstgespräch und dann mit einem 30minütigen Monolog über die russische Geschichte seit dem frühen Mittelalter, voller historischer Lügengeschichten und Groll gegen den Westen. Putin hat Carlson überwältigt, sowohl durch Einschüchterung als auch durch Ausweichen. Als Carlson fragte, wer die Gaspipeline Nordstream in die Luft gesprengt habe, scherzte Putin: „Sie ganz bestimmt.“ Carlson hat nie einen richtigen Schlag gelandet.

Carlson rechtfertigte sein Treffen mit Putin damit, daß andere amerikanische Journalisten sich nicht die Mühe gemacht hätten, den russischen Präsidenten zu interviewen. Die langjährige CNN-Auslandskorrespondentin Christiane Amanpour konterte auf X: „Glaubt Tucker wirklich, daß wir Journalisten nicht jeden Tag versucht haben, Präsident Putin zu interviewen, seit er in großem Stil in die Ukraine eingefallen ist?“ Selbst der Kreml stellte fest, daß Carlson nicht wissen konnte, wie viele Anfragen Putin für Interviews erhält.

In gewisser Weise hat Carlson bekommen, was er wollte, denn das Video löste sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa eine enorme Kontroverse aus. Russen, die es im staatlich kontrollierten Fernsehen sahen, erfuhren, daß Carlson der einflußreichste Journalist in den Vereinigten Staaten sei.

Die Kritiker des Interviews fanden es langweilig und sinnlos. Es stellt sich natürlich die Frage, was für Putin dabei heraussprang. Seine Beschwerden über die US-Außenpolitik standen eindeutig im Hintergrund, während der aktuelle Krieg in der Ukraine in den Vordergrund rückte. Schon als Trump Präsident war, kam Putin zu dem Schluß, daß ein strategischer Dialog mit Washington sinnlos sei. 

Die Perspektive paßt gut zu Trumps Neo-Isolationismus

Von dem 2021 veröffentlichten 5.000 Wörter umfassenden Essay über die ukrainisch-russische Geschichte bis hin zu seinen verschiedenen öffentlichen Äußerungen hat Putin deutlich gemacht, daß der Westen und Rußland in einer zivilisatorischen Konfrontation stehen, die sein Land um jeden Preis gewinnen muß. Seiner Ansicht nach verstricken sich die Vereinigten Staaten in endlose und unnötige Kriege, die nicht nur den Interessen Rußlands, sondern auch denen Amerikas schaden. Und er ist bestrebt, im Westen nützliche Idioten zu finden, die seine Sicht der Welt akzeptieren. Hier kam wohl Carlson ins Spiel. Carlson weiß nicht viel über die russische Geschichte.

Diese Perspektive paßt gut zu Trumps Neo-Isolationismus, der nicht nur große Teile der Republikaner im Kongreß und der MAGA-Welt infiziert hat, sondern auch die Ansichten einflußreicher Querdenker wie Elon Musk. Während des Interviews nahm Putin sogar lobend Bezug auf Musks Unternehmen Neuralink, das kürzlich einen ersten Computerchip in ein menschliches Gehirn implantierte.

Putins historisches Ziel wäre es, daß die Vereinigten Staaten der Aufteilung der Welt in Einflußsphären durch andere Großmächte zustimmen, wodurch die Vereinigten Staaten auf eine Regionalmacht reduziert würden und Rußland und China sowie kleinere Mächte wie der Iran ihre eigenen geostrategischen Interessen verfolgen könnten. Carlson glaubte höchstwahrscheinlich, die mit Trump verbündeten Teile der Republikanischen Partei beeinflussen zu können, die sich dieser kurzsichtigen Weltsicht bereitwillig anschließen.

Putins konkretes und aktuelles Ziel war der Versuch, den Kongreß der Vereinigten Staaten zu beeinflussen, damit er der Ukraine die Finanzmittel vorenthält oder sie erheblich kürzt. Er äußerte sich recht unverblümt und offen über seinen Plan und sagte: „Wenn Sie die Kämpfe wirklich beenden wollen, müssen Sie die Waffenlieferungen einstellen. In ein paar Wochen wird es vorbei sein. Das war’s.“

Carlson bot Putin zwei Stunden seiner Sendezeit und überbot damit seine Interviews mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán (29 Minuten) sowie dem Ex-US-Präsidenten Trump (46 Minuten) um Längen. Er ist wohl der Meinung, daß er sich bei Trumps MAGA-Basis einschmeicheln kann, wenn er sich auf die Seite starker Männer stellt, die Trump bewundert und die die US-Außenpolitik auf eine Weise kritisieren, die der aktuellen Stimmung der republikanischen Wähler entspricht. Wie das Sprichwort sagt: Ist dein Ruf erst einmal ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.