Angesichts der AfD-Ergebnisse bei der Nachwahl in Berlin ein Hinweis auf Wikipedia: Eintrag zum Stichwort Reaktanz: „Psychologische Reaktanz ist die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume. Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (z. B. Nötigung, Drohungen, emotionale Argumentation) oder die Einschränkung von Freiheitsspielräumen (z. B. Verbote, Zensur) ausgelöst.“
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In seiner jüngsten Ausgabe arbeitet sich der Spiegel an Armin Mohler als Übervater der Neuen Rechten, der AfD und der aktuellen Gefahr faschistischer Machtübernahme ab. Selbst wenn man übersieht, daß wieder in Zensorenmanier belastende „Stellen“ zusammengesucht wurden, stört doch das geistige „Knirpstum“ (Jacob Burckhardt, noch ein Schweizer), das hier Urteile fällt. Und damit kein Zweifel daran besteht, wohin es mit dem freiesten Staat der deutschen Geschichte kommt, sei darauf hingewiesen, daß ich eine Examensarbeit und eine Dissertation unter Rekurs auf Mohler geschrieben habe, und das weder bei dem Prüfer noch dem Doktorvater – zwei Sozialdemokraten – irgendwelchen Anstoß erregt hat. Es muß in der Vergangenheit noch eine Art intellektuelles Schamempfinden gegeben haben, von dem kein heutiger Tonangeber mehr weiß.
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„Trotzdem muß man sich über den vehementen Protest gegen Bekenntniszwang und Gesinnungsschnüffelei wundern, der der Antisemitismusklausel entgegenschlug. Er kam aus einem Milieu, das sich an Schnüffelei und Bekenntnissen nur zu stören scheint, wenn sie Juden betreffen. Gegen die ebenfalls abgefragten Bekenntnisse gegen Queerfeindlichkeit und Rassismus gab es keine Beschwerden, obwohl es auch bei ihnen ganz auf die Definition ankommt. Ist es rassistisch, über Kulturen zu urteilen, denen man nicht selbst entstammt, wie manche Ethnologen meinen? Ist es queerfeindlich, von zwei biologischen Geschlechtern auszugehen, wie an der Humboldt-Universität heftigst diskutiert wurde? Und warum empfindet man die zahlreichen Bekenntnispflichten, die Wissenschaftsinstitutionen heute in ihren Förderanträgen abfragen, nicht als Schnüffelei?“ (Thomas Thiel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Februar)
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Am vergangenen Mittwoch ist der Politikwissenschaftler Alfred Grosser verstorben. Im Alter von 99 Jahren. Wir sind uns nur einmal persönlich begegnet, Mitte der neunziger Jahre, im späten Frühling der Neuen Demokratischen Rechten. Da sollte es eine Podiumsdebatte zwischen Grosser und Weißmann in Potsdam geben, die die Stadtobrigkeit wegen der Teilnahme Weißmanns unerträglich fand, was Grosser – als Franzose, deutsch-jüdischer Herkunft, der 1933 mit seinen Eltern das Land verlassen mußte – unerträglich fand und zu verhindern wußte. Also ging die Diskussion in der gediegenen Atmosphäre des Schloßtheaters über die Bühne. Wir sprachen über Grundsätzliches, also über Weltanschauung, Politik und Vergangenheit, über Europa, Deutschland, Amerika und die Westbindung und die Zukunft nach dem, was damals als „Ende der Geschichte“ diskutiert wurde. Im Anschluß gab es noch ein Abendessen im kleinen Kreis. In Erinnerung geblieben ist mir Grossers freundlicher Spott, als niemand wagte, vor ihm das Glas zu erheben – „Eine Marotte, die die Deutschen für französisch halten“ – und zu mir meinte: „Sie sind gar nicht Nouvelle Droite, wie man mir sagte, sie sind so ein deutscher Gaullist.“
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Daß die Selfie-Seuche mit dem Narzißmus als Massenphänomen unserer Tage zu tun hat, ist unbezweifelbar. Aber es kommt wohl noch etwas hinzu. Eine neuere Untersuchung ergab, daß sich Männlein wie Weiblein für zu attraktiv halten. Auf einer Skala von „Eins“ – nicht attraktiv – bis „Zehn“ – außerordentlich attraktiv – glauben im Durchschnitt erstere bei „Sechs“, letztere bei „Acht“ zu stehen.
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Die moralische Empörung über den Angriff eines Palästinafreunds auf einen jüdischen Studenten an der Freien Universität Berlin wäre wesentlich glaubwürdiger, wenn sie einherginge mit der grundsätzlichen Kritik daran, daß an deutschen – und nicht nur an deutschen – Hochschulen seit Jahrzehnten das Faustrecht regiert. Linke Gruppen nehmen es in Anspruch, sobald irgend jemand auftritt, dessen politische, religiöse oder wissenschaftliche Auffassung ihnen nicht gefällt. Die Verantwortlichen – von der Professorenschaft über die Administration bis zu den politischen Stellen – schauen weg oder flüchten sich in irgendwelche Formalia. Was man wahlweise als Ausdruck typischer Feigheit oder als stillschweigendes Einverständnis werten kann, daß die Hochschulen als Ort des Geistes keine Bedeutung mehr haben.
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„Das ‘Amt für Verfassungsschutz’ war bei uns nie so weit vom ‘Ministerium für Staatssicherheit’ entfernt, als daß es nicht auch genau jenen Autoritarismus verkörperte, gegen den es pompös – mit wenig Ertrag, aber reichlich selbst praktizierter – ‘Verfassungsfeindlichkeit’ zu Felde gezogen ist.“ (Claus Leggewie)
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 1. März in der JF-Ausgabe 10/24.