© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Die Österreicher haben es im Alter besser
Prognos-Studie: Ökonomen haben untersucht, was in Deutschland 1.000 Euro wert sind und wie weit regional die Durchschnittsrente reicht
Paul Leonhard

Die Ergebnisse sind sozialpolitisch brisant: In Deutschland liegt das Rentenniveau von Durchschnittsverdienern bei 52,9 Prozent von dem, was sie vorher netto verdient haben – Tendenz sinkend. In Ungarn sind es 94 Prozent, in Portugal 90,3 Prozent, in den Niederlanden 89,2 Prozent, in Österreich 87,1 Prozent, in Italien 81,7 Prozent und in Frankreich 74,4 Prozent. Nur in vier EU-Ländern liegen die Leistungen aus dem staatlichen Pflichtrentensystem niedriger als in Deutschland. Das sind keine AfD-Zahlen oder Sozialneid aus dem Wagenknecht-Lager, sondern aktuelle Berechnungen aus der Studie „Pensions at a Glance 2023“ der Wirtschaftsorganisation OECD.

Natürlich sind die gezahlten Renten in Ungarn oder Portugal in Euro gerechnet spürbar niedriger als in Deutschland, doch Niederländer und Österreicher, die im Arbeitsleben einen Normalverdienst hatten, haben es im Alter tatsächlich besser. Aber es gibt einen Geheimtip für Einzahler in die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV): Der kreisfreien Hochschulstadt Gera in Ostthüringen mit 94.000 Einwohnern bescheinigt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) den bundesweit höchsten ökonomischen Lebensstandard für GRV-Rentner. Denn das Prognos-Institut hat in GDV-Auftrag untersucht, was in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands derzeit 1.000 Euro GRV-Rente praktisch wert sind und wie weit dort die Durchschnittsrente ausreicht.

Höhere Renten kompensieren hohe Lebenshaltungskosten nicht

Grundlage sind die Mietpreise und die durchschnittlichen GRV-Einkünfte zwischen 2013 und 2021. Aus den regionalen Preisunterschieden und den Differenzen bei den Renten ergibt sich die Kaufkraft. Ist sie höher als die Rente selbst, liegt das Preisniveau im Kreis unter dem Bundesdurchschnitt. Das Fazit der Wissenschaftler fällt eindeutig aus: Wer lediglich die gesetzliche Rente bezieht, lebt in den neuen Bundesländern am günstigsten, weil dort „relativ hohe Renten auf niedrige Lebenshaltungskosten treffen“, so die Autoren. Nach den Prognos-Berechnungen liegt die Rentenkaufkraft in Gera, wo noch viele Bergmannsrenten wegen des früheren Uran-Abbaus gezahlt werden, bei 1.437 Euro und damit bundesweit am höchsten.

Im Eifelkreis Bitburg-Prüm haben Rentner dagegen die ungünstigste Kombination aus durchschnittlichem regionalen Rentenzahlbetrag und regionalem Preisniveau, so die Prognos-Kurzstudie zur Rentenkaufkraft. Ihnen stehen preisbereinigt lediglich 856 Euro zur Verfügung. Auch andere Thüringer Städte schneiden gut ab. So verfügen Rentner in Greiz und dem Altenburger Land preisbereinigt über 1.380 beziehungsweise 1.371 Euro. Generell liegt die Rentenkaufkraft in Thüringen über dem Bundesdurchschnitt von 1.036 Euro.

Als Beispiel für die erheblichen Kaufkraftunterschiede in Deutschland werden München und der niederschlesisch-sächsische Landkreis Görlitz angeführt, wo 1.000 Euro rechnerisch rund 850 Euro beziehungsweise etwa 1.220 Euro wert sind. Folglich können sich bei gleichen GRV-Zahlungen Rentner an der deutsch-polnischen Grenze eine größere Wohnung leisten oder eine größere Menge an Gütern und Dienstleistungen kaufen. In den teureren süd- und westdeutschen Regionen müssen hingegen deutlich höhere Einkommen erzielt werden, um sich den gleichen Lebensstandard wie in günstigeren Regionen leisten zu können.

Die Görlitzer können also mit jedem GRV-Euro 1,5mal so viele Waren und Dienstleistungen kaufen wie die Münchner. Diese Unterschiede sind nicht nur im Erwerbsleben relevant, sondern müssen auch mit Blick auf die (Verteilung der) Alterseinkommen berücksichtigt werden. Keine Auskunft gibt die Studie andererseits über die Lebensqualität bezüglich Gesundheitsversorgung und Verkehrsanbindung, die im sächsischen Grenzgebiet deutlich schlechter sein dürfte als in der Bayern-Metropole. Auch ländliche und norddeutsche Regionen sind attraktiv für Rentner. „Die meist überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungskosten werden nicht durch ebenso überdurchschnittliche hohe Renteneinkünfte kompensiert“, heißt es in der Pronos-Studie.

Insgesamt seien die Städte in Westdeutschland tendenziell „schlechtere“ Wohnorte für Ruheständler. Im Großraum Berlin führt beispielsweise der starke Anstieg der Wohnkosten zu einer Verschlechterung. Insgesamt variiert die Kaufkraft der Renten regional um bis zu 70 Prozent. „Am härtesten trifft es diejenigen, bei denen niedrige Rentenansprüche und hohe Lebenshaltungskosten zusammenkommen“, so Prognos-Studienleiter Oliver Ehrentraut. Zusätzliche Alterseinkommen aus betrieblicher und privater Vorsorge oder sonstige Einkünfte wie Erbschaften oder Mieteinnahmen oder die Entlastungswirkung selbstgenutzten Wohneigentums wurden allerdings nicht berücksichtigt. Und deshalb geht es vielen Westrentnern immer noch besser.

Und warum hat der GDV die Studie überhaupt beauftragt? Um für seine Privatrenten zu werben: „Die Menschen brauchen ergänzende lebenslange Einkünfte, um im Alter gut leben zu können“, erklärt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.


Prognos-Studie „Regionale Rentenkaufkraft“:

www.gdv.de