Schon voriges Jahres hieß es unheilschwanger: „Pleitewelle rollt über Deutschland“. Und die Nachrichten werden nicht besser, denn Firmen, die nicht insolvent werden, verlagern ihre Produktion ins Ausland. So beispielsweise das westfälische Familienunternehmen Miele, das im 125. Jahr seines Bestehens die Reißleine zieht: „Was wir derzeit erleben, ist keine vorübergehende Konjunkturdelle, sondern eine nachhaltige Veränderung der für uns relevanten Rahmenbedingungen, auf die wir uns einstellen müssen“, teilte das Unternehmen mit. In den kommenden drei Jahren will der Miele-Vorstand den „Handlungsspielraum“ auf 600 Millionen Euro erhöhen.
Wie das gelingen soll? Weltweit sollen 2.700 Stellen wegfallen; aus dem Gütersloher Werk sollen 700 Arbeitsplätze „sozialverträglich“ nach Polen wandern. Die Probleme haben indirekt noch mit Corona zu tun. 2020 und 2021 gingen so viele Aufträge ein wie selten zuvor, Miele kam mit der Produktion kaum nach. Doch 2023 kam das große Erwachen. Auch Hausgeräte-Konkurrent Bosch berichtet von ähnlichen Problemen. Bislang standen beide Firmen stellvertretend für „Made in Germany“ zu gehobenen Preisen: Wer es sich leisten kann, legt Wert auf Qualität und einen guten Namen. Doch das hat sich geändert.
Um neun Prozent sind die Umsätze der Haushaltsgroßgeräte bei den Branchengrößen zurückgegangen, bei Miele sollen es sogar 20 Prozent sein. Man spricht von negativen Einflußfaktoren und nennt gestiegene Energiepreise, Inflation, Bürokratie sowie hohe Material- und Personalkosten als Ursachen der Krise. Der schwindende Absatz tut sein Übriges. Schon vor 16 Jahren hat Miele die Produktion der Wäschetrockner nach Mährisch Neustadt (Uničov) verlegt – das einstige Werbeversprechen „Made in Germany“ war gestern. Die Waschmaschinen sollen nun im 2019 errichteten Werk Ksawerów in der polnischen Woiwodschaft Łódź gebaut werden. In den USA soll auch erstmals ein Werk errichtet werden, um dort künftig Miele-Backöfen zu bauen. Und ein Teil der Miele-Staubsauger wird seit Jahren in Dongguan in der südchinesischen Kanton-Provinz gebaut.
Bosch kämpft mit ähnlichen Problemen. Nach dem angekündigten Abbau von 3.200 Stellen im Autozulieferbereich trifft es nun andere Sektoren: „Die Nachfrage ist weitestgehend gedeckt“, teilt das Unternehmen ernüchtert mit und sucht nach Alternativen. Und die liegen wie so oft im kostengünstigeren Ausland. Der Stuttgarter Stiftungskonzern streicht 560 Stellen am Hauptsitz in Leinfelden bei Stuttgart, einzelne Tätigkeitsfelder der Bereichszentrale sollen an bestehende, kostengünstigere Standorte außerhalb Deutschlands verlegt werden.
Steigende Zahl von Unternehmensinsolvenzen
Der zweitgrößte deutsche Automobilzulieferer ZF hat massive Einsparungen angekündigt und will dennoch im Ausland investieren. Das Friedrichshafener Unternahmen hat mehr als zehn Milliarden Euro Schulden, die jährliche Zinslast liegt bei einer halben Milliarde, wie ZF-Chef Holger Klein kürzlich dem Handelsblatt bestätigte. Deshalb plant die Traditionsfirma einen massiven Stellenabbau und Werksschließungen vor allem in Deutschland sowie Teilverkäufe von Unternehmensteilen. In Nordamerika sollen dagegen kurzfristig mehr als 500 Millionen Euro in die ZF-Werke investiert werden; langfristig will der Autozulieferer zehn Milliarden Euro in die Forschung investieren. ZF begründet dies mit Standortfragen und dem Kundenverhalten.
„ZF mit seiner hohen Verschuldung würde nicht so eine hohe Summe investieren, wenn nicht entsprechend lukratives Geschäft in den nächsten zehn, zwölf Jahren in den USA dahinterstehen würde“, erklärt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Der französische Autozulieferer Valeo, der vor zehn Jahren mehrere deutsche Mittelständler übernahm, will seine E-Motoren-Herstellung im fränkischen Bad Neustadt einstellen. Die Produktion wird, wie beim Autozulieferer Ifa, nach Polen verlagert.
Auch die Deutsche Confiserie Holding (Arko, Hussel, Eilles) hat zum zweiten Mal nach 2021 Insolvenz angemeldet. Auch aus der Zentrale des norddeutschen Süßwaren-, Kaffee- und Teeunternehmens kommen die gleichen Klagen: Inflation, zu hohe Energiekosten, ausländische Konkurrenz. Hier sind nur etwa 300 Stellen betroffen, daher wird diese Pleite eher ohne große Emotionen zur Kenntnis genommen. Doch sie paßt ins Bild. Wie die Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform zum Jahreswechsel ermittelte, ist die Zahl an Insolvenzen von mittleren und großen Firmen massiv gestiegen. Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lagen die Fallzahlen um 50 Prozent über dem Vorjahreswert. Prominente Fälle waren das Modeunternehmen Peek & Cloppenburg sowie der Einzelhändler Real GmbH. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten stiegen die Insolvenzen um rund 76 Prozent. Die Liste der prominenten Namen ist lang. Selbst der fränkische Spielwaren-Produzent Playmobil hat im vergangenen Geschäftsjahr erstmals in seiner 50jährigen Geschichte Verlust gemacht.
Studie „Insolvenzen in Deutschland 2023“: