© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Vorsicht ist geboten
Rußland-Sanktionen: Bundesregierung prüft Enteignung von Rosneft Deutschland
Dirk Meyer

Die deutschen und die EU-Sanktionen haben zwei Zielrichtungen: Zum einen soll Rußlands Kriegsführung in der Ukraine direkt geschwächt werden und Unterstützer für ihre vormalige Mitwirkung am Krieg bestraft werden. Entsprechend werden in den bislang zwölf EU-Sanktionspaketen Exportverbote für kriegswichtige Güter, Boykotte zur Minderung russischer Deviseneinnahmen, die Festsetzung von 300 Milliarden Dollar russischen Zentralbankvermögens und die Immobilisierung russischer Oligarchenvermögen aufgeführt.

Zum anderen steht die Sicherheit der deutschen Energieversorgung im Vordergrund. Für diesen Zweck wurde das ursprünglich anläßlich der ersten Ölkrise 1973/74 entwickelte deutsche Energiesicherungsgesetz (EnSiG) gleich nach Beginn des russischen Angriffskrieges als „Lex Gazprom“ auf die neue Situation hin angepaßt. Neu wurde die Möglichkeit zur treuhänderischen Verwaltung ausländischer Gesellschaften aufgenommen und die Enteignung konkreter gefaßt.

Dieser neue Fall unterscheidet sich erheblich von Gazprom Germania

Als erstes Exempel wurde Gazprom Germania aufgrund ihrer unzureichend gefüllten Gasspeicher und des Verkaufs des Unternehmens an eine russische Gesellschaft mit dem Ziel der Liquidation im April 2022 unter Treuhandschaft (Paragraph 17 EnSiG) gestellt, um die deutsche Gasversorgung sicherzustellen. Im November 2022 erfolgte die Verstaatlichung (Paragraph 18 EnSiG), wobei eine Einigung über die Entschädigungssumme noch aussteht. Auch besteht eine Schadenersatzforderung aus Indien wegen nicht erfolgter LNG-Lieferungen in Höhe von 1,8 Milliarden Dollar, für die der Steuerzahler aufkommen müßte.

Aktuell prüft die Bundesregierung eine Enteignung von Rosneft Deutschland. Doch unterscheidet sich dieser Fall erheblich von Gazprom Germania, dem ein gesetzeswidriger, ungenehmigter Verkauf einer „kritischen Infrastruktur“ zugrunde lag – ein klarer Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Vornehmlich geht es um die PCK-Raffinerie in Schwedt, die als viertgrößte deutsche Ölraffinerie mit etwa 1.200 Mitarbeitern große Teile Nordostdeutschlands und Westpolens mit Treibstoff versorgt.

PCK-Mehrheitseigentümer mit 54 Prozent ist Rosneft Deutschland, daneben halten Shell 38 Prozent und ENI acht Prozent der Anteile. Ende 2022 trat ein EU-Importstopp für russisches Tanker-Öl in Kraft, von dem Pipeline-Öl aufgrund der zumeist ungünstigen geographischen Lage und fehlender Alternativen ausgenommen wurde. Deutschland verzichtete im Gegensatz zu Tschechien, der Slowakei und Ungarn auf diese Ausnahme – mit der Folge, daß in Schwedt zunächst eine schwierige Versorgungslage drohte. Denn bislang wurde die Raffinerie über die Drushba-Pipeline mit russischem Öl versorgt, und diese „Freundschaft“ – so die Ahnung der Bundesregierung – würde nach Inkrafttreten des Boykotts enden: Freiwillig würde Rosneft kaum auf Öl aus anderen Ländern zurückgreifen.

Deshalb stellte sie die PCK Schwedt schon im September 2022 unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur. Seither wird die Raffinerie vor allem per Tanker über den Hafen Rostock versorgt, von dem eine Pipeline nach Schwedt verläuft. Weitere Lieferungen kommen über den Hafen Danzig. Zudem fließen Ölmengen über die Drushba-Pipeline – offiziell Öl aus Kasachstan, tatsächlich wohl Öl aus Rußland im Tauschgeschäft für kasachische Lieferungen in die asiatischen Märkte. Rußland kassiert weiterhin Transitgebühren und nutzt die Transportkostenvorteile.

Hintergrund der Enteignungsprüfung durch das Wirtschaftsministerium ist eine mögliche Weigerung von westlichen Vertragspartnern, bei einer russischen Kontrolle über die deutschen Rosneft-Gesellschaften mit dem russischen Konzern weiter zusammenzuarbeiten. Hier könnten auch mögliche Sekundärsanktionen der US-Regierung eine Rolle spielen, Unternehmen weltweit in die Pflicht zu nehmen, ohne daß ein hinreichender US-Bezug durch beteiligte US-Bürger oder US-Firmen besteht. Entsprechende Erfahrungen europäischer Dienstleister bei der Fertigstellung der Nord-Stream-2-Pipeline dürften abschreckend wirken. Da eine Enteignung als Ultima ratio gilt, fanden seit September 2023 Verhandlungen mit dem russischen Konzern statt, die Firmenanteile an einen neuen Investor zu verkaufen – bislang ergebnislos. Deshalb wurde das Enteignungsverfahren letzte Woche formal mit einem Anhörungstermin an Rosneft eröffnet.

Versorgungsprobleme und rechtliche Anfechtung

Allerdings bestehen für diese massivste Form des Eigentumseingriffes strenge Voraussetzungen, die die Verhältnismäßigkeit betreffen. Zwar dürfte das Gemeinwohlinteresse durch die gefährdete Versorgung mit Benzin und Heizöl hinreichend vorliegen. Verhältnismäßig meint insbesondere aber auch, daß die Maßnahme geeignet und erforderlich ist. So birgt eine Verstaatlichung die Gefahr, daß nicht kontrollierte Teile der Lieferkette ausfallen. Rußland könnte die Drushba-Pipeline sperren oder seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen – bisherigen – Tochterunternehmen in Deutschland nicht einhalten.

Auch wären Schadenersatzforderungen Dritter wie bei Gazprom Germania nicht auszuschließen. Besonders kritisch ist die Erforderlichkeit zu sehen, was diesen Fall von Gazprom Germania unterscheidet. So gründen die möglichen – keinesfalls nachgewiesenen – Versorgungsprobleme auf spekulativen Annahmen hinsichtlich des russischen Verhaltens. Die Offenhaltung der Druschba-Pipeline könnte demgegenüber als Indiz einer weiterhin kooperativen Zusammenarbeit gelten. Außerdem wurden die Versorgungsrisiken infolge des EU-Boykotts und durch den deutschen Verzicht auf das mögliche und EU-erlaubte Pipeline-Öl selbst verursacht.

Von daher ist eine rechtliche Anfechtung nicht unwahrscheinlich. Teuer könnte eine Enteignung auch deutscher Unternehmen in Rußland kommen, die (weitere) Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hätten. Schließlich schadet ein solcher Schritt der Investitionssicherheit und dem Standort Deutschland. Vertrauen ist ein sehr knappes Gut – gerade in heutiger Zeit. Deshalb sollte eine Verhandlungslösung Vorrang haben.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.