Die Aufarbeitung läuft und einige Gerichte zeigen, daß die Vernunft wieder Einkehr hält, nachdem sich ab dem Frühjahr 2020 Corona-Panik breitgemacht hatte.
Das Verwaltungsgericht in Gießen hat kürzlich bestätigt, was viele schon länger wußten. Einige Maßnahmen waren vollkommen überzogen. So mußte etwa ein damals 15jähriger Schüler im Wetteraukreis in Quarantäne, weil eine Mitschülerin erkrankt war. Der heute 18jährige war damals nach Ansicht des Amtes eine „Kontaktperson der Kategorie 1“. Also jemand, der sich zu der angesteckten Person für mindestens 15 Minuten in nur 1,5 Metern Entfernung befand. Der Grund: Er war in der selben Klasse. Das Gericht entschied nun, daß die Kriterien der RKI-Regeln für ihn nicht zutrafen, da er der betreffenden angestecken Schülerin gar nicht so nahe war.
Keine Rechtsgrundlage für das mehrtägige Wegsperren
„Wir haben uns in der Schule an alles gehalten, was möglich war. Meine kranke Mitschülerin war am anderen Ende des Raumes, trotzdem wurde ich nach Hause geschickt und durfte das Haus nicht verlassen. Meine Welt hat sich ab da grau angefühlt.“ Es war also Unrecht, alle Schüler der Klasse einfach wegzusperren, weil einer sich angesteckt hatte. Grundlos und auch rechtswidrig, wie jetzt gerichtlich bestätigt wurde.
Noch wahnwitziger war der Versuch Göttingens, ein ganzes Hochhaus abzuriegeln. Corona-Fälle in dem Gebäudekomplex hatten die Stadt im Juni 2020 veranlaßt, einen Zaun um das Haus mit 700 Personen zu ziehen. Das dortige Verwaltungsgericht urteilte im Dezember des Vorjahres, daß es keine Rechtsgrundlage für das siebentägige Wegsperren samt Polizeibewachung gegeben habe.
Welche schewerwiegenden Folgen die Praktik des Freiheitsentzugs haben kann, zeigt sich inzwischen in australischen Städten, die – zwar mit Unterbrechungen – insgesamt über 20 Monate im Lockdown waren. So berichtet der Sender Channel 9, daß eine neue Angstkrankheit große Teile der Schüler erfaßt habe und diese auch heute noch fest im Griff hält.
Es würde sich so anfühlen, als wäre es „irgendwie unmöglich, zur Schule zu gehen“, berichtet die Zehntkläßlerin Sarah Turner. Sie könne dieser Angst körperlich nicht standhalten, fühle sich schwach, krank und zittrig. Ihr Herz rase. „An manchen meiner schwersten Tage hatte ich den ganzen Morgen über Panikattacken und konnte mich nicht bewegen.“ Auch an Tagen, an denen sie mit dem Auto zur Schule gebracht werde, könne sie teils nicht aussteigen. Ihre Angst sei so schlimm, daß sie auch in den vergangenen zwei Jahren die Hälfte der Schulzeit verpaßt habe. „Ich war sehr kontaktfreudig und habe vor den Lockdowns viele Dinge gemacht.“ Das ist nun vorbei.
Für einen in der Sendung befragten Sozialarbeiter gebe es keinen anderen ersichtlichen Grund für das Verhalten als die Lockdowns. Die Kinder seien „weitgehend verschlossen und in den Streik getreten“. In den Familien komme es regelmäßig zu massiven Konflikten deswegen. Alle Gesellschaftsschichten sowie ohnehin auffällige, aber auch normale Kinder seien betroffen.
Laut australischen Schätzungen ist jede dritte Familie mit Schulkindern von derartigen Problemen betroffen. Eine Vervielfachung im Vergleich zur Zeit vor den Kontaktsperren. Die australische Senatorin Penny Allman-Payne will die Krankheit „Schulverweigerung“ nun offiziell anerkennen lassen. So erhofft man sich, das Problem besser anpacken zu können.
Eine Reihe wissenschaftlicher Studien belegt die vernichtenden Effekte der Lockdowns für psychische Gesundheit. Die Eltern, die zu den psychologischen Auswirkungen der Corona-Lockdowns auf ihre Kinder befragt wurden, berichteten von erhöhter Hyperaktivität, Unruhe, Unaufmerksamkeit, Ärger, Angst und Reizbarkeit, schreiben 2023 Wissenschaftler um Emily Berger von der Monash-Universität.
Auch deutsche Studien belegen die erheblichen negativen Einflüsse, wenngleich die Lockdowns hierzulande weit weniger lang und weniger scharf waren. Etwa die COPSY-Studie, die gemeinsam vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dem Robert-Koch-Institut und der Hertie-School durchgeführt wurde, kann mit statistischer Sicherheit belegen, daß tatsächlich die Lockdowns ursächlich für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit der Kinder waren. Besonders betroffen waren demnach jüngere gegenüber älteren, Jungs gegenüber Mädchen und Kinder aus kleineren Haushalten gegenüber solchen, die in größeren Hauhalten wohnen.
Neugeborene langfristig durch Lockdown beeinträchtigt
Doch Forscher haben nicht nur psychische, sondern auch körperliche Nachteile der Maßnahmen ermitteln können. Eine amerikanische Forschergruppe um Francesca R. Querdasi hat im Fachjournal Nature dargelegt, daß Menschen die unter den Lockdown-Bedingungen geboren wurden, ein erheblich kleineres Mikrobiom im Darm haben.
Diese geringere Vielfalt von Bakterien, Viren und Pilzen, die unser Inneres besiedeln, kann sich negativ auf die langfristige Gesundheit auswirken. Forschung der vergangenen Jahre hatte gezeigt, daß ein vielfältiges Mikrobiom vor Krankheiten schützt. Auch hier gilt: Die unterbrochenen Kontakte zu anderen Neugeborenen schadeten offenbar langfristig. Es ist möglich, daß die Kinder diesen Nachteil noch kompensieren können. Dabei seien die ersten 1.000 Tage „entscheidend für den Aufbau eines gesunden Mikrobioms“, sagte Jun Sun, Mikrobiom-Forscher an der University of Illinois in Chicago, dem Nature-Magazin. Was zum Schutz der Älteren gedacht war, erweist sich immer mehr als langfristiges Problem für den Nachwuchs: Schüler, Kinder und Babys.