© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Punktsieg für Arafat
Prozeß um Rapper Bushido: Die „Strategie der Nadelstiche“ im Kampf gegen kriminelle Clans erhält einen Rückschlag
Peter Möller

Es ist der Stoff, aus dem gute Geschichten für die Boulevard-Presse sind: Ein Musiker, der von seinem etwas anrüchigen Image lebt und der als „Gangster-Rapper“ gilt, gerät mit seinem langjährigen Manager aneinander, der ausgerechnet einem arabischen Familienclan angehört und eine wichtige Rolle in der organisierten Kriminalität der Hauptstadt spielt. Die Freundschaft zerbricht auf spektakuläre Weise in aller Öffentlichkeit und der Manager landet mit seinen Brüdern vor Gericht. Der Vorwurf: versuchte räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Beleidigung.

Bei dem Rapper handelt es sich um den 45 Jahre alten Anis Mohamed Youssef Ferchichi, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Bushido. Der ehemalige Manager, der seit August 2020 während des 114 Verhandlungstage dauernden Prozesses vor dem Berliner Landgericht mit mehr als 60 Zeugen auf der Anklagebank saß, ist Arafat Abou-Chaker (JF 27/20).

Lange Zeit waren Bushido und Abou-Chaker beste Freunde. Doch vor sechs Jahres kam es zum Bruch zwischen den beiden, der Rapper wollte die Trennung und neue Wege gehen: Am 18. Januar 2018 eskalierte die Situation. Nach der Darstellung von Bushido hatte ihn der 47 Jahre alte Arafat Abou-Chaker an diesem Tag in seinem Büro eingesperrt und mit einer halb vollen Plastikflasche und einem Stuhl angegriffen. Zudem habe er ihn und seine Familie beleidigt und bedroht. Abou-Chaker soll versucht haben, Millionenbeträge von dem Musiker zu erpressen.

Doch die Richter waren nicht davon überzeugt, daß sich alles tatsächlich so zugetragen hat, wie Bushido es dargestellt hat. Die Zweifel speisen sich in erster Linie aus Tonbandaufnahmen, die im Februar 2022 plötzlich auftauchten und von dem Treffen im Januar 2018 stammen sollen. Zu hören sind dort keine Drohungen gegen Bushido, ebensowenig eine Attacke mit einer Flasche und einem Stuhl. Auch die Tür des Büros scheint nicht abgeschlossen gewesen zu sein. Die Frage, ob die Aufnahmen authentisch oder manipuliert sind, mußte indes auch ein eigens beauftragtes Gutachten offenlassen.

Am Ende verurteilte die Kammer Arafat Abou-Chaker lediglich wegen 13 Fällen von unerlaubten Tonbandaufnahmen zu einer Geldstrafe von 81.000 Euro (90 Tagessätze zu je 900 Euro). „Die Gerechtigkeit hat endlich gesiegt“, kommentierte der Ex-Manager das Urteil. Doch der Prozeß ist mehr als nur eine gute Boulevard-Geschichte. Für jene Teile der Berliner Justiz und Politik, die versuchen, der Clankriminalität in der Hauptstadt mit rechtsstaatlichen Mitteln Herr zu werden, war das Verfahren gegen Abou-Chaker eine seltene Gelegenheit. 

Ermittlungen gleichen einem Langstreckenlauf

Denn nicht allzu oft findet sich jemand wie Bushido, der bereit ist, öffentlich vor Gericht gegen Clanmitglieder auszusagen und so möglicherweise eine schmerzhafte Verurteilung zu erwirken. Daher versuchen die Behörden gegen die zumeist aus dem arabischen Raum stammenden kriminellen Großfamilien in Berlin notgedrungen mit einer „Strategie der tausend Nadelstiche“ vorzugehen. Dabei werden auch kleinere Verfehlungen wie etwa Ordnungswidrigkeiten konsequent geahndet, um die Betreffenden zu zermürben. So haben Polizei, Ordnungsamt und Zoll beispielsweise Ende Januar bei einer Razzia in der Clan-Hochburg Berlin-Neukölln mehrere Lokale kontrolliert und dabei rund 50 Kilogramm unversteuerten Wasserpfeifentabak sichergestellt. Außerdem wurden mehrere Fälle von Schwarzarbeit sowie unregelmäßige Kassenführungen festgestellt; tatsächlich nicht mehr als Nadelstiche, doch sie sorgen für Unruhe. 

Der Kampf gegen die verfestigten Strukturen der Clankriminalität, das wissen nicht nur erfahrene Ermittler, gleicht einem Langstreckenlauf, bei dem vor allem die Ausdauer entscheidet. „Ein Kriminalitätsphänomen, das sich über 30 Jahre hinweg entfalten konnte, muß auf allen Ebenen kontinuierlich und konsequent bekämpft werden“, meinte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei der Vorstellung des „Lagebilds Clankriminalität“ im vergangenen Jahr. Es gelte, die gegen das Rechtssystem abgeschotteten Strukturen aufzubrechen und aufzulösen. In diesem Zusammenhang erscheint denn auch das Urteil im Bushido-Prozeß, der für die Ankläger mit einer Schlappe endete, als ein nicht unwichtiges Puzzleteil.

Und es ist gut möglich, daß das Verfahren schon bald in eine neue Runde geht. Die zuständige Oberstaatsanwältin Petra Leister kündigte nach der Urteilsverkündung an, in Revision gehen zu wollen. „Es wird Sie nicht überraschen, daß ich einige Dinge anders sehe als der Vorsitzende Richter“, sagt sie der Berliner Zeitung. Besonders enttäuscht sei sie von den Zeugen, die häufig nichts gesehen oder gehört haben wollen. „Sie verfolgen häufig ihre eigenen Interessen.“ Ob sich daran in einem zweiten Prozeß etwas ändern würde, erscheint unwahrscheinlich.

Eigene Interessen verfolgte offenbar auch Rapper Bushido, der parallel seine Geschichte als Clan-Opfer eigens für eine Dokumentation an den Streamingdienst Amazon verkaufte. Teuer kommt der Zeuge mit den wenig belastbaren Aussagen den Steuerzahler zu stehen, da er stets geschützt von mehreren Personenschützern des Landeskriminalamts zum Verfahren begleitet wurde. Kostenpunkt? Amtsgeheimnis. „Die Angelegenheiten des Personen- und Objektschutzes unterliegen der Geheimhaltung. Auskünfte zu Inhalten, Umfang oder Taktiken einzelner Schutzaufträge werden grundsätzlich nicht erteilt“, so die Leiterin der Polizeipressestelle, Anja Dierschke, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Die Kosten für entsprechende Schutzaufträge sind im Polizeihaushalt abgedeckt und werden nicht gesondert erhoben.“ 

Der Einsatz eines Polizeibeamten kostet pro Stunde mindestens 50, eher 65 Euro, je nachdem welcher Dienstgradgruppe er angehört.