© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

„Unterschiedliche Meinungen aushalten“
Eskalation an Universitäten: Ein muslimischer Student verletzt seinen jüdischen Kommilitonen – und wird nicht exmatrikuliert
Kuba Kruszakin

Für manche ist am Freitag „nach eins“ kein Feierabend – beispielsweise für das Bündnis „Fridays for Israel“. Trotz des grauen Himmels versammeln sich rund hundert Personen vor der Mensa der Freien Universität Berlin (FU) für eine Mahnwache. Einige davon studieren hier, doch die Mehrheit bilden Außenstehende. Politiker wie die Bundestagsabgeordnete Ottilie Klein (CDU) oder Grünen-Chefin Ricarda Lang lassen sich von den zahlreich erschienenen Medienvertretern ablichten.

Anlaß dafür: Am Wochenende davor war ein jüdischer FU-Student nahe einer Kneipe in Berlin-Mitte verprügelt worden und mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus gekommen. Der mutmaßliche Täter: ein arabischstämmiger Kommilitone, der das Opfer von Auseinandersetzungen zwischen propalästinensischen und proisraelischen Gruppen gekannt haben soll.

Fast gleichzeitig mit der Kundgebung läßt FU-Präsident Günter Ziegler mitteilen, daß die Einrichtung ein dreimonatiges Hausverbot gegen den Beschuldigten erteilt hat – mit der Möglichkeit, es zu verlängern. Tage zuvor stand er im Kreuzfeuer der Kritik ebenso wie die gesamte Leitung der Universität. Unter anderem der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) forderte deren Rücktritt. „Wir fordern eine personelle Neuaufstellung, die die Bedrohung für Juden und die Demokratie ernst nimmt und Präventionsprogramme und Konsequenzen für Extremisten umsetzt“, teilt der Bundesvorsitzende der CDU-nahen Vereinigung, Lukas Honemann, mit. Für die RCDS-Chefin an der FU, Finja Schürmann, sollten „Antisemiten und Verfassungsfeinde“ ohnehin nicht von „unserer Bildung profitieren“ dürfen. Sie forderte ein bundesweites Gesetz, das die Universitäten zu einer Exmatrikulation ihrer Studenten zwingt, wenn diese Hörsäle besetzen oder Kommilitonen körperlich angreifen.

In Berlin hatte es diese Möglichkeit bis 2021 im Ordnungsrecht der Hochschulen noch gegeben. Allerdings setzte es der damalige rot-rot-grüne Senat unter Franziska Giffey (SPD) außer Kraft. Somit ist ein Hausverbot für den mutmaßlichen Schläger, der den jüdischen Studenten angegriffen haben soll, die schärfste Sanktion, die das Berliner Hochschulgesetz erlaubt. „Die Exmatrikulation ist ein Eingriff in die Ausbildungs- und Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes“, merkt Juraprofessor Max-Emanuel Geis von der Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch mit der Legal Tribune Online an. Deshalb sei sie nur in dem Umfang zulässig, den das Landeshochschulgesetz explizit vorsehe.

In einigen anderen Bundesländern wäre ein Ausschluß nach einem Vorfall wie dem in Berlin möglich, sofern der Täter überführt und verurteilt würde. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigen die für Hochschulwesen zuständigen Ministerien in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bremen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, daß die Hochschulen Straftäter ausschließen dürfen, sobald ein Urteil vorliegt. In Sachsen ist eine solche Maßnahme ebenfalls möglich, wenn der betroffene Student rechtskräftig zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt wird.

In Berlin denkt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) inzwischen darüber nach, erneut den Unis die Handhabe zur Exmatrikulation einzuräumen. Seine sozialdemokratische Wissenschaftssenatorin, Ina Czyborra, zeigt sich eher skeptisch. Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen lehne sie ab, da eine Demokratie „unterschiedliche politische Meinungen aushalten“ müsse. Auch in Gewaltfällen plädiert sie dafür, die bisher rechtlich möglichen Mittel auszuschöpfen.

Linke wettern gegen „zionistische Propaganda“

Unterdessen wird der Ruf nach härteren Maßnahmen immer lauter. Inzwischen seien Angriffe auf proisraelische Studenten kein reines Problem an der Freien Universität, mahnt die Gründerin des Bündnisses „Fridays for Israel“, Clara Nathusius, bei der Freitagskundgebung. „Antisemitismus für jüdische Studenten findet jeden Tag in ganz Deutschland statt“, merkt das Mitglied der Jungen Union an und bekommt viel Applaus von den Umstehenden.

Einen Abend zuvor kam es auch an der Berliner Humboldt-Universität (HU) zum Eklat. Rund 20 propalästinensische Studenten störten in einem der Hörsäle eine Podiumsdiskussion zum Thema Unabhängigkeit der Justiz. An der nahm die Richterin am Obersten Gericht Israels, Daphne Barak-Erez, teil. Sie habe mit den von ihr mitgetragenen Entscheidungen unter anderem den Weg zur Räumung palästinensischer Wohnviertel durch jüdische Siedler im „illegal besetzten“ Ostjerusalem geebnet, warfen ihr die Kritiker lautstark vor.

HU-Präsidentin Julia von Blumenthal beklagte, es habe „keine Bereitschaft“ seitens der Protestierenden gegeben, über das Thema sachlich zu diskutieren. „Dies wurde durch lautes und andauerndes Gebrüll einzelner Personen unmöglich gemacht.“ Erst später konnte die Debatte in einem kleineren Rahmen nachgeholt werden.

Zu der Störung bekannte sich das aus mehreren kleineren Hochschulgruppen bestehende Bündnis „Student Coalition Berlin“. Es wirft den Universitäten vor, aktiv „zionistische Propaganda“ zu reproduzieren und „kritische Stimmen“ zum Nahostkonflikt zum Schweigen zu bringen, darunter auch jene jüdischer „Antizionisten“. Das Bündnis fordert, Israels Handeln in Gaza als „Völkermord“ anzuerkennen, ebenso wie eine „Dekolonialisierung“ der Hochschulen.

Schnittmengen bestehen zu den linksradikalen „Antiimperialisten“, darunter zum Umfeld der linksextremen Organisation „Klasse gegen Klasse“. Seit Januar stellt deren Hochschulgruppe „Waffen der Kritik“ die zweitstärkste Kraft im Studentenparlament der FU dar. Vor ihrem Einfluß warnt unter anderem die „Fachschaftsinitiative des Otto-Suhr-Instituts“. So habe „Klasse gegen Klasse“ 2019 eine gemeinsame Demonstration mit dem inzwischen verbotenen Netzwerk „Samidoun“ organisiert.

Verbindungen gibt es auch zum Fall der Attacke in der Kneipe in Berlin-Mitte. „Waffen der Kritik“ hatte sich Mitte Dezember an der Besetzung eines Hörsaals der Freien Universität beteiligt (JF 52/23-01/24). Dabei verteilte die Gruppe Propagandaflyer mit der Überschrift „Intifada bis zum Sieg“. Der nun angegriffene und verletzte jüdische Student gehörte zu den Gegendemonstranten. Als er vor Ort Plakate mit einer von der Hamas entführten Geisel an die Wand hängen wollte, hinderten ihn die Ordner. Videoaufnahmen zufolge kam es bereits dort zu körperlichen Auseinandersetzungen.

Daß es sich um keinen Einzelfall handelt, räumte FU-Präsident Ziegler nun in einem Interview mit dem Tagesspiegel ein: „Es gab einzelne Auseinandersetzungen auf dem Campus, für die dann auch Anzeigen wegen Körperverletzung gestellt wurden.“ Zugleich wies er die Vorwürfe zurück, nichts gegen den Antisemitismus an seiner Einrichtung zu unternehmen. Bislang stellte die FU nach eigenen Angaben 24 Strafanzeigen: 20 wegen Hausfriedensbruch, zwei wegen antisemitischer Schmierereien, eine wegen „politischer Aussagen an einem Informationsstand“ und eine aufgrund der Inhalte eines Plakats, auf dem zu einer Kundgebung aufgerufen wurde. Etwas ruhiger soll es an der HU gewesen sein. Auf Anfrage der jungen freiheit teilte die Hochschule mit, man habe bislang keine Studenten im Zusammenhang mit den Protesten angezeigt. Die Universität der Künste, an der ebenfalls eine große Hörsaalbesetzung stattgefunden hatte (JF 50/23), sowie die Technische Universität Berlin ließen die Anfragen der jungen freiheit bis zum Redaktionsschluß unbeantwortet.

Wegen Drohungen nicht mehr auf dem Campus gewesen

Unterdessen häufen sich auch an anderen Hochschulorten vergleichbare Probleme. So zeigt sich Lisa Michajlova, Mathematikstudentin an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands, keineswegs überrascht von dem Angriff in Berlin. „Ich versuche schon länger, als Jüdin nicht sofort erkennbar zu sein“, beklagte sie gegenüber dem Tagesspiegel und fügte hinzu, sie sei aufgrund von Drohungen seit Oktober nicht mehr auf dem Campus gewesen. Bereits 2021 hätten gewaltbereite Islamisten ihre Synagoge in Gelsenkirchen bedroht. Damals habe sie sich in linken Kreisen bewegt: „Ich habe die Black-Lives Matter-Bewegung unterstützt und mich nach den rechten Anschlägen von Hanau und Halle solidarisiert.“ Vor zwei Jahren habe sie sich jedoch von ihren linken Kollegen getrennt. Inzwischen bestehe ihr Umfeld „zu 90 Prozent“ aus jüdischen und proisraelischen Freunden.

Doch weder Linksextremisten noch Islamisten benennt die FU in ihren Stellungnahmen als Urheber der Konflikte. Stattdessen betont Ziegler in seiner Begründung des Hausverbots, Vielfalt würde das Selbstverständnis seiner Einrichtung prägen, weil dort „rund 40.000 Menschen aus mehr als 150 Nationen“ studierten, lehrten, forschten und arbeiteten. 

Und bei der Mahnwache von „Fridays for Israel“ am vergangenen Freitag zeigen die Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift „Antifascist Action“; neben einer verfremdeten Israelfahne in den Regenbogenfarben.