© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Der Flaneur
So schön bunt
René Langner

Ich war noch nie in Berlin. Bisher zumindest. Manch einer mag dies befremdlich finden, denn immerhin handelt es sich um unsere Hauptstadt. Dennoch: Ich habe nie einen Hehl aus einer gewissen Abneigung gegenüber der Metropole gemacht, weil ich auf dem Lande aufgewachsen bin und es mich daher nie so recht in die „große Stadt“ gezogen hat.

Da halfen auch keine Lobpreisungen von Bekannten oder Arbeitskollegen: „Berlin muß man gesehen haben“ oder „So schön bunt ist es dort“. Diesmal aber gibt es kein Zurück mehr: Auf Einladung von Freunden mache ich mich, zusammen mit meiner Familie, auf den Weg. Unsere Anreise verbinden wir mit einem Besuch von Schloß Charlottenburg. Uns gefällt dieses kulturelle Juwel so gut, daß wir fast vier Stunden dort verbringen. Am Abend erreichen wir unsere Unterkunft nahe des Kurfürstendamms. Das kleine Hotel wirkt gepflegt und freundlich. Zudem hat es sich, trotz teils moderner Einrichtung, einen gewissen alten Charme bewahrt.

Wie sagte es Albert Lortzing: „Es ist mir, als ob ich von Berlin nicht wieder fortkommen würde.“

Dank der zum Innenhof gelegenen Zimmer starten wir ausgeschlafen in den Tag. Auf dem Plan stehen eine Fahrt auf der Spree, die Museumsinsel und das Brandenburger Tor. Zunächst zeigt sich die Stadt genauso düster wie das heutige Wetter: Überall beschmierte Wände, Müll und Unrat. Deutsch wird scheinbar kaum gesprochen. Außerdem wirkt es, als komme kaum ein Fußweg ohne Bettler aus. „So schön bunt“, kommt mir in den Sinn.

Ein paar Stationen weiter erleben wir, bei nun deutlich besserem Wetter, eine völlig andere Stadt: Wunderschöne Plätze, imposante Bauwerke, anmutige Architektur. Zudem tolle Menschen, die ihre Stadt zu lieben scheinen.

Etwas später folgt der eigentliche Anlaß unseres Besuches: Wir treffen nicht nur unsere Freunde, sondern auch andere äußerst interessante Persönlichkeiten. Es folgt ein herzlicher Austausch und manch tiefgreifendes Gespräch. Schnell wird klar, daß hier anders miteinander kommuniziert wird: offener, vielfältiger und vor allem ohne Denkverbote, welche sich leider viel zu oft durch alltägliche Debatten ziehen. Gelebte Meinungsvielfalt. Vielleicht ist genau dies das bunte Berlin? frage ich mich selbst.

Zurück im Hotel kommt mir Albert Lortzing in den Sinn: „Es ist mir, als ob ich von Berlin nicht wieder fortkommen würde.“