© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Für Frieden und Wohlstand
Wilfried Hahns Buch „Kernenergie jetzt?!“ zeigt eine rationale Perspektive der Energieversorgung
Marc Schmidt

Als die deutsche Politik vor fünf Jahren entschied, nach dem Atomausstieg auch der Kohle ade zu sagen, betitelte das Wall Street Journal (WSJ) am 29. Januar seinen Leitartikel wenig schmeichelhaft: „World’s Dumbest Energy Policy“. Von der „dümmsten Energiepolitik der Welt“ durfte Fatih Birol als Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA) natürlich nicht sprechen, doch inhaltlich drücken seine Worte das gleiche aus: „Der Ausstieg aus der Kernenergie war ein historischer Fehler. Ich respektiere die Entscheidung, aber sie hat negative Auswirkungen auf das Stromangebot und die Möglichkeiten, die Emissionen zu verringern“, erklärte der türkische Kraftwerksingenieur nun im Handelsblatt.

„Deutschland hätte wenigstens die noch verbliebenen AKW am Netz lassen können“, so der 65jährige IAE-Chef. „Fakt ist: Wir erleben auf der ganzen Welt ein Comeback der Kernkraft.“ Doch von den Bundestagsparteien fordert das bislang ernsthaft nur die AfD. Im Entwurf zum neuen CDU-Grundsatzprogramm ist auf den Seiten 58/59 lediglich von der „Option“ und nebulös von „Kernkraftwerken der vierten und fünften Generation sowie Fusionskraftwerken“ die Rede. Der Schwarzwälder Werkzeugfabrikant Wilfried Hahn ist hingegen wie das WSJ und die AfD für Klartext: „Kernenergie jetzt?!“ betitelte er sein Sachbuch.

AKW verhindern den Kampf um die knappen Energieressourcen

Und auf dessen 168 Seiten gelingt dem Wirtschaftsingenieur ein eindrucksvolles Plädoyer für eine wirtschaftliche, sichere und friedliche Nutzung der Atomenergie. Dies liegt vor allem daran, daß Hahn nicht nur technische und wirtschaftliche Aspekte aneinanderreiht, sondern diese sinnvoll in einen ganzheitlichen Ansatz einbindet. Als Autor aus dem grün-schwarz regierten „Ländle“ geht er gezielt auf die Motive und vorgebrachten Gründe zum Atomausstieg ein: das Risiko von Unfällen und das Endlagerproblem von radioaktivem Müll. Er spricht sogar von Klimakrise, Treibhausgasen und Erderwärmung – und spricht damit eben nicht nur die überzeugten Gegner der deutschen Energiewende an.

As vierfacher Großvater sorgt er sich um die Zukunft seiner Enkel – und er will ihnen keine mit Windrädern übersäten Landschaften hinterlassen. Hahn ist der Überzeugung, daß mittels AKW der IV. Generation Umweltschutz, Energiesicherheit, Preisstabilität, Biodiversität, Wohlstand und auch Frieden erreicht werden können – denn bei knapper werdenden fossilen Ressourcen drohe ein Kampf um die Energiequellen und damit Krieg. Das könne nur mit Kernenergie vermieden werden.

Seine Erkenntnis leitet er aus einer großen Bandbreite an Publikationen und aus den analytischen Fähigkeiten eines weltweit erfolgreichen Unternehmers ab. Seine Firma Wiha produziert und vertreibt ihre Werkzeuge in Europa, Asien und den USA. Und auch bei der energetischen Zukunft blickt er – obwohl traditionellen Familienwerten verpflichtet – über Deutschland hinaus und weit in die Zukunft. Frankreich setzt derzeit auf große Druckwasserreaktoren der verbesserten dritten Generation (III+/EPR), die 2018 und 2019 in China (Taishan 1+2) und 2023 in Finnland (AKW Olkiluoto 3/Nettoleistung: 1.600 Megawatt/MW) erstmals ans Netz gingen.

Hahn setzt hingegen voller Optimismus auf die Potentiale der neuen Reaktortypen (Dual Fluid, Terra Power) sowie auch auf die Uran-Alternative Thorium (Th). Er präferiert den amerikanischen Ansatz der dezentralen, kleineren und modularen Kraftwerksstrukturen (SMR) gegenüber dem nicht berücksichtigten Ansatz der technisch analogen chinesischen Prototypen für Großanlagen. Hahn führt den Leser mittels umfangreichen Detailwissens zum Nachweis, daß diese Art der Energieversorgung ökologischer, nachhaltiger und kostengünstiger ist als alternative Energiequellen wie Windräder, die einen enormen Flächen- und Landschaftsverbrauch haben.

Sein Detailwissen bezieht Hahn auch aus seinem Engagement in dem vor zehn Jahren gegründeten dänischen Unternehmen Copenhagen Atomics, das SMR-Thorium-Flüssigsalzreaktoren mit einer elektrischen Leistung von 40 MW entwickelt hat. Der Kleinreaktor der IV. Generation soll mit der Grundfläche eines 40-Fuß-Schiffscontainers auskommen, 100 MW thermische Leistung liefern und in einem Massenproduktionsszenario einen Strompreis von 20 Dollar pro MWh (entspricht 2 Cent pro Kilowattstunde/kWh) ermöglichen.

Objektiv betrachtet ist der Schwabe Hahn ein Unternehmer-Prototyp, wie man ihn sich wünscht – mit Visionen für die Zukunft, die er wirtschaftlich stützt. Seine fundierte Analyse zeigt auf, warum der SMR-Ansatz nicht nur technisch sicher, sondern auch kosteneffizienter in Produktion und Betrieb sein könnte. 

Seine Vision von der Energieversorgung der Zukunft unterlegt Hahn auch mit einer umfangreichen Darstellung der Geschichte der Kernenergie – inklusive der Fehlschläge der Vergangenheit. Entsprechend fordert er weniger die Modernisierung des AKW-Parks der Reaktorgeneration II (wie die abgeschaltenen deutschen AKW), sondern will die Investitionen in den Energiesektor natur- und wohlstandsschonend lenken: weg von einem Überangebot an Windkraft und hin zu Reaktoren der IV. Generation auf Flüssigsalzbasis.

Bezahlbare und saubere Energie ist ein großes UN-Nachhaltigkeitsziel

Die Sinnhaftigkeit seines Ansatzes dokumentiert der Autor umfangreich mit Statistiken zu den Ressourcenpotentialen, Energiegewinnungsfaktoren, zum Flächenverbrauch, zur Skalierbarkeit und der Verfügbarkeit der Kerntechnik in Relation zu anderen Produktionsformen, insbesondere der Ökoenergie. Für die bemerkenswerte Technologieoffenheit seines Ansatzes spricht dabei, daß Hahn insbesondere der Wind- und Solarenergie keineswegs die Existenzberechtigung in einem vernünftigen Energiemix der Zukunft abspricht. So gelingt es ihm, auch Atomkritiker zum Nachdenken zu bewegen.

Technologieoffenheit und Nachhaltigkeit sind für Hahn keine Gegensätze. Und er sieht auch die anderen Herausforderungen der Menschheit. Bei den 17 UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung kommt der Klimaschutz erst an 13. Stelle – nach der Bekämpfung von Armut und Hunger oder  der Förderung von Gesundheit und Bildung. „Bezahlbare und saubere Energie ist UN-Ziel 7 – und dafür liefert „Kernenergie jetzt?!“ eine überzeugende und gut recherchierte Argumentation. Das Buch hat das Potential, mehr zu sein als ein weiterer Beitrag zu einer ideologisch festgefahrenen Energiewende-Debatte in einem Deutschland, das ohne verläßliche Energie verarmen wird.

Eduard Heindls Energiegespräch #8 mit Wilfried Hahn über Copenhagen Atomics:

 www.youtube.com/watch?v=xVp3ARt_cAw

Wilfried Hahn: Kern­energie jetzt?! ­Warum uns die Energie­wende Wohlstand und Frieden kostet. Orgshop Verlag, Moos 2023, gebunden, 168 Seiten, 20 Euro