© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Vielvölkerschlachten am Stiefel
In Italien scheitert der Vormarsch der Alliierten 1944 wiederholt im Stellungskrieg
Dag Krienen

Ende 1943 hatte sich die militärische Lage der Deutschen im Mittelmeerraum besser entwickelt, als nach der Niederlage in Nordafrika, dem Verlust Siziliens und Süditaliens und dem Ausscheiden Italiens als Verbündetem zu erwarten gewesen wäre. Der Wehrmacht war ohne schwere Kämpfe in Italien und auch in den italienischen Besatzungsgebieten in Südfrankreich, auf dem Balkan und in Griechenland die Entwaffnung der italienischen Streitkräfte („Fall Achse“) gelungen (JF 36/23). Sie hatte sogar die Inseln in der Ägäis erobert und dort den Briten eine Schlappe zugefügt (JF 46/23).

In Italien war der Vormarsch der Alliierten nach Norden Ende Dezember 1943 an der sogenannten Gustav-Linie, 140 Kilometer südlich von Rom, zum Stehen gekommen. Der deutschen Luftwaffe gelang überdies in der Nacht des 2. Dezember ein erfolgreicher Nachtangriff auf den für den allliierten Nachschub wichtigen Hafen von Bari. 28 Frachtschiffe mit mehr als 34.000 Tonnen Versorgungsgütern an Bord wurden versenkt und der Hafen selbst bis Februar 1944 ausgeschaltet. 

Die Geographie Italiens mit seiner Vielzahl von in Ost- oder Westrichtung fließenden Gewässern und Tälern gestattete den Alliierten nicht, ihre Überlegenheit zu Luft und bei Panzern und motorisierten Fahrzeugen zur Geltung zu bringen. Die Gustav-Linie am Garigliano und am Rapido wurde zum Schauplatz eines langwierigen Stellungskrieges, in dem unter der Führung des deutschen Oberbefehlshabers in Italien, Feldmarschall Albert Kesselring, elf personell und materiell schwache deutsche Divisionen sich in meist infanteristischen Gefechten gegen 21 materiell weit überlegene alliierte Divisionen lange Zeit erfolgreich behaupteten.

In der vom 17. Januar bis zum 11. Februar 1944 dauernden ersten Schlacht um Monte Cassino, der Schlüsselstellung der Gustav-Linie, konnten US-Amerikaner, Briten und Kanadier trotz späterer Verstärkung durch neuseeländische, indische und freifranzösische Truppen keine nennenswerten Erfolge verzeichnen. Die amerikanische Infanterie erlitt hingegen Verluste von bis zu achtzig Prozent.

Auch der Versuch, am 22. Januar durch eine große Seelandung bei Anzio und Nettuno 50 Kilometer südlich von Rom (Operation Shingle) die Gustav-Linie zu umgehen, brachte nicht den erhofften Erfolg. Zwar gelang die Anlandung von 36.000 Mann ohne Verluste. Doch „konsolidierte“ der kommandierende General John P. Lucas zunächst den Brückenkopf und verpaßte die Gelegenheit, rasch nach Rom vorzustoßen. Kesselring reagierte schnell. Deutsche Verstärkungen riegelten den Landungskopf ab und hielten ihn dann für Monate fest umklammert. 

Erst das zerstörte Monte Cassino diente den Deutschen als Festung

In Schach gehalten wurden die alliierten Soldaten im Brückenkopf nicht zuletzt durch die von ihnen so genannte „Anzio-Annie“. Dabei handelte es sich um zwei schwere Eisenbahngeschütze mit einem Kaliber von 28 Zentimeter, die 255 Kilogramm schwere Geschosse über 60 Kilometer Entfernung verschossen. Die Deutschen verbargen sie bei Tag in einem Eisenbahntunnel so gut, daß die Alliierten bis fast zuletzt weder Geschütztyp, Anzahl oder genauen Standort ausmachen konnten. Nachts wurden die Kanonen herausgefahren und beschossen den Brückenkopf. Unzählige Munitionslager und Treibstoffdepots und auch einige Transportschiffe fielen ihnen zum Opfer.

Der ersten Cassino-Schlacht folgten bis zum Mai 1944 drei weitere. Zu Beginn der zweiten Schlacht forderte der neuseeländische General Bernard Freyberg einen Luftangriff auf die auf einem Berggipfel thronende Abtei Monte Cassino an, obwohl das Mutterkloster des Benediktiner-Ordens von Kesselring zur neutralen Zone erklärt worden war und sich keine deutschen Soldaten dort aufhielten. Über den Vatikan waren auch die Alliierten darüber informiert, dennoch zerstörten am 15. Februar 225 US-Bomber das Kloster nahezu vollständig und töteten etwa 400 Mönche und zivile Flüchtlinge sowie durch Fehlwürfe auch eigene, aber keine deutschen Soldaten (https://JUNGEFREIHEIT.de/wissen/geschichte/2024/die-voelkerschlacht-von-monte-cassino/).

Militärisch erwies sich die Zerstörung der Abtei als großer Fehler. Die Deutschen bezogen nun das Klostergelände in ihr Stellungssystem mit ein. Die Ruinen der Abtei erwiesen sich rasch als ein fast uneinnehmbares Festungsgelände. In der Folgezeit berannten amerikanische, britische, neuseeländische, indische und Gurkha, freifranzösische algerische und marokkanische sowie exilpolnische Soldaten den von Fallschirmjägern verteidigten Monte Cassino. Lange Zeit vergeblich.

Erst in der am 11. Mai beginnenden vierten Schlacht gelang den Alliierten ein entscheidender Durchbruch durch die Gustav-Stellung und die Umgehung des Monte Cassino, den Kesselring am 17. Mai räumen ließ. Es blieb exilpolnischen Truppen vorbehalten, das eigentliche Klostergelände am 18. Februar kampflos zu besetzen und dort noch einige deutsche Verwundete gefangenzunehmen, nachdem sie in den drei Tagen zuvor bei frontalen Angriffen fast 4.000 Tote verloren hatten. Die Kämpfe um die Gustav-Linie und den Monte Cassino,– die auch als „Vielvölkerschlacht des Zweiten Weltkrieges“ bezeichnet wurden – hatten auf deutscher Seite rund 20.000 Tote, Verwundete und Vermißte gekostet, auf alliierter Seite gut 55.000.

Nachdem den US-Amerikanern am 23. Mai auch der Ausbruch aus dem Brückenkopf von Anzio gelungen war, mußten sich die Deutschen aus Mittelitalien zurückziehen. Der Oberbefehlshaber der 5. US-Armee, General Mark W. Clark, verpaßte dabei die Chance, die sich aus der Gustav-Linie zurückziehenden deutschen Truppen abzuschneiden, weil er als erster in Rom einziehen wollte, was ihm am 4. Juni auch kampflos gelang. Die Stadt war zuvor von den Deutschen zur offenen Stadt erklärt und ohne Zerstörungen geräumt worden. Kesselrings Truppen zogen sich geordnet nach Norden zurück, wobei sie durch hinhaltenden Widerstand den feindlichen Vormarsch verzögerten. An der sogenannten Gothen-Linie entlang des Apennin nördlich von Florenz und Ancona brachten sie ihn Anfang August erneut zum Stehen. Zwar gelang Briten und Amerikanern im September, die Deutschen an der Adriaküste weiter zurückzuwerfen, sie konnten aber keinen entscheidenden Durchbruch erzielen. Während des folgenden Winters unternahmen die Alliierten, die zwischenzeitlich auch Zuzug durch ein brasilianisches Expeditionskorps erhalten hatten, keine Großoffensiven mehr.

Erst am 9. April 1945 begann die Schlußoffensive der zahlenmäßig mehrfach überlegenen Alliierten gegen die unter Munitions- und Treibstoffmangel leidenden deutschen Truppen, die mittlerweile auch auf jede Art von Luftunterstützung verzichten mußten. Zu geordnetem Widerstand waren sie rasch nicht mehr in der Lage. Generaloberst Heinrich von Vietinghoff, seit dem 23. Oktober 1944 Oberbefehlshaber in Italien, hatte ein Einsehen. Bereits seit dem März hatte der SS-Obergruppenführer und Höchste SS- und Polizeiführer in Italien, Karl Wolff, in der Schweiz mit dem amerikanischen Geheimdienstler Allen Dulles über eine Teilkapitulation der Wehrmacht in Norditalien verhandelt. Am 29. April 1945 wurde diese im alliierten Hauptquartier in Caserta unterzeichnet und trat am 2. Mai, sechs Tage vor der deutschen Gesamtkapitulation, in Kraft.