© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Eine Hochzeit und ein Todesfall
Kino II: In dem finnischen Filmdrama „My Sailor, My Love“ geht es um einen Vater-Tochter-Konflikt und eine späte Liebe
Dietmar Mehrens

Vor zwanzig Jahren sagte Bestsellerautor Peter Hahne in seinem Buch „Schluß mit lustig“ in Anbetracht der demographischen Entwicklung voraus, daß für Deutschland eine Zeit kommen werde, in der die Alten umworben werden müßten. Das Filmdrama „My Sailor, My Love“ könnte man als kleine Bestätigung dieser Prophezeiung werten. Denn hier ist mal eine aufwendige Filmproduktion nicht auf die Bedürfnisse einer unterhaltungssüchtigen Jugend und deren durch Instagram-Inhalte definierte Aufmerksamkeitsspanne zugeschnitten, sondern auf die der älteren Generation, deren Vertreter sich durch schnelle Schnitte, furiose Verfolgungsjagden und flippige Filmhandlungen weit jenseits des Wahrscheinlichen eher nicht hinterm Ofen hervorlocken lassen.Demgemäß wartet die Regiearbeit von Klaus Härö, der sein eigenes Drehbuch verfilmte, mit jeder Menge ruhig und gediegen inszenierten Postkartenmotiven auf, die seinen Film „My Sailor, My Love“ zu einer kontemplativen Reise in die malerischen Gegenden der irischen Grafschaft Mayo und ihrer größten Insel Achill Island machen. Dort entstand nämlich die finnisch-irische Gemeinschaftsproduktion.

Der grantelnde Griesgram wandelt sich zum liebenswerten Leisetreter

Wie der Titel „Mein Seemann, meine Liebe“ andeutet, geht es um einen alten Seebären und die Liebe. Der Seemann, das ist der Witwer Howard (James Cosmo), ein pensionierter Kapitän, der es den Menschen um ihn herum schwerer macht, als es not täte. Allein, vom Alter gezeichnet und ohne soziale Kontakte, lebt er, ein paar Kilometer von der nächsten Kleinstadt entfernt, in einem großen Haus am Meer. Die Liebe kommt mit Annie (Bríd Brennan), einer Frau in Howards Alter, die seine besorgte, jedoch beruflich stark geforderte Tochter Grace (Catherine Walker), nachdem sie seine Wäsche in der Küchenabwäsche gefunden hat, für ihren Vater als Haushälterin einstellt. Die Einwilligung des Käpt’ns hat sie dafür freilich nicht eingeholt.

Der reagiert mit demonstrativer Mißbilligung: „Was zahlt meine Tochter Ihnen dafür, daß Sie hier sind?“ erkundigt er sich. „400 Pfund“, lautet Annies Antwort. Darauf der grantige Seemann a. D.: „Ich gebe Ihnen 500, wenn Sie meine Wohnung nie wieder verdunkeln.“ Es liegt im Auge des Betrachters, ob er sich damit auf von Annie zugezogene Gardinen bezieht oder eine besonders garstige Metapher verwenden wollte. Jedenfalls hat Annies Essen nicht schlecht geschmeckt, und Howard bereut bald, daß er die bescheiden und sanft auftretende Dame vergrault hat. Er sucht Annie privat auf, entschuldigt sich in aller Form und lernt bei der Gelegenheit auch Annies Familie samt Enkelkindern kennen. Was nun passiert, hätte von allen Beteiligten bestimmt keiner erwartet, am wenigsten der alte Seebär selbst. Auch für den Zuschauer kommt Howards Wandlung vom grantelnden Griesgram zum liebenswerten Leisetreter etwas überraschend. Jedenfalls findet Howard Gefallen an Annie. Sie verbringen immer mehr Zeit miteinander. Schließlich ist sogar vom Heiraten die Rede.

Parallel fühlt sich Grace, die eine Therapiegruppe für Menschen mit psychischen Problemen besucht, ausgebootet. Als ihr Ehemann Martin (Aidan O’Hare) ein verlockendes Angebot bekommt, das einen Umzug nach München erforderlich macht, kollabiert Graces Welt. Bereits seit ihrer Kindheit ist die Beziehung zu ihrem Vater gestört durch dessen permanente Abwesenheit. Alte Wunden platzen auf und bringen die Beziehung zwischen Howard und Annie in Gefahr. Eine der drei Hauptfiguren wird am Ende tot sein.

Catherine Walker als Grace ist, abgesehen von der Kulisse, das eigentliche Phänomen des Films. Jede Geste, jedes Flackern in den Augen, jedes Zucken der Mundwinkel stimmt. Meisterhaft verkörpert sie die sich zurückgesetzt fühlende Tochter, die die Defizite ihrer Kindheit durch Überfürsorglichkeit zu kompensieren versucht und damit das Gegenteil von dem erreicht, worum es ihr eigentlich geht.  

„My Sailor, My Love“ ist ein fabelhaft gespieltes Filmdrama über Verletzung, Verstörung und Vergebung, ruhig und mit sicherem Gespür für die Kraft großer Bilder inszeniert.