Wehret den Anfängern! Als ich ins Auto steige, um zur Demonstration gegen das jüngst ausgerufene Unwort des Jahres „Remigration“ zu fahren, kommen gerade auch die Nachbarn aus dem Haus. Regelrecht symbolisch wirkt hier der zum Transparent umfunktionierte einstige Möbel-Umzugskarton, Motto: „Die Umwelt sauber halten“, daneben ein AfD-Logo das – analog zum Motiv mit dem Hakenkreuz – in einen Abfallkorb geworfen wird. Als ich der Versammlung entgegenlaufe, vernehme ich von der Bühne die Frage: „Was ist ein Faschist?“ Wenige Schritte vor mir am Rathaus, ebenfalls die gleiche Richtung, ein halbes Dutzend derangierter Jugendlicher, von denen einer im gleichen Augenblick mehrfach den Arm zum Führergruß ausstreckt. Sie fluchen über die Menschenmenge und betrachten den weiteren Verlauf angeödet vom Rande.
Der Oberbürgermeister von der CDU demonstriert einen eigenwilligen Geschichtsrevisionismus.
Laut einem der Demo-Organisatoren soll „das Schweigen der schweigenden Mehrheit“ gebrochen werden. Traurig, ja fassungslos erblicke ich dann einige Gesichter aus dem einstigen Freundes- und Bekanntenkreis meiner Eltern auf der Demonstration vom neugegründeten „Halberstädter Bündnis für Demokratie“ unter der Losung „Demokratie verteidigen – Nie wieder ist jetzt!“ Wem auch immer ich begegne, mir fehlt die Kraft für einige Worte – gerade so, als läge eine ganze Zeitreise zwischen uns. Manchmal reicht es nicht mal für ein stummes Nicken. Als stünden die, die damals im Herbst 1989 den Demonstrationszug anführten, jetzt für eine öffentliche Manifestation der Blockparteien des DDR-Regimes. Zumindest muß ich aber an die Prophetie des italienischen Schriftstellers Ignazio Silone denken, wonach der Faschismus allenfalls wiederkehre mit der Ansage, er sei der „Antifaschismus“. Die Bühne betritt Yu (Yunus Can aus Köln), ein jugendlicher Antifa-Rapper mit Klampfe, der davon träumt, „Nazis“ respektive AfD-Mitgliedern im Moshpit-Modus die Köpfe zu zertreten. In einem weiteren Lied leiert er, als hätte er eine Schallplatte aufgelegt: „Alerta, alerta, ich glaub, daß ich verliebt bin, Nazis erschießen“ – als aus dem Publikum „Keine Gewalt!“-, „Aufhörn!“- und Buh-Rufe ertönen, schreit er trotzig: „Alerta, alerta, antifascista!“. Und fügt an für die, die es einfach nicht wüßten, das hieße „Warnung, Warnung, Antifaschisten“. Anschließend gibt der effiminierte Rotzlöffel mit den billig rotlackierten Fingernägeln, vor dem das bürgerliche Publikum nicht gewarnt wurde, den vor ihm Schlange stehenden Antifa-Mädchen Autogramme.
Der Oberbürgermeister von der CDU, Daniel Szarata, demonstriert indes einen eigenwilligen Geschichtsrevisionismus: „Die erste Demokratie hat Halberstadt zerstört, und die zweite war nicht in der Lage, es wieder aufzubauen.“ Die Losungen auf den Pappschildern wetteifern derweil miteinander, da oft nicht zu entscheiden ist, ob sie eher einfältig oder unfreiwillig ironisch sind. So zeigt eine Frau, links von sich Tochter und Ehemann, den eigenen Platzverweis: „Rechts ist voll daneben.“ Etliche Kinder halten Losungen in die Höhe – instrumentalisiert wie ihre Altersgenossen in Palästina.