© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Druck auf Eagle Pass
USA: Streit um wachsende Einwanderungszahlen/ Der Gouverneur von Texas legt sich mit der Regierung in Washington an
Paul Leonhard

Eine Frau mit einem Baby schreit mitten im Grenzfluß Rio Grande um Hilfe. Kurz darauf gehen beide unter, können sich aber wieder an die Oberfläche kämpfen. So berichten es Augenzeugen. Auch, daß ein Airboat des texanischen Zoll- und Grenzverein (CBP) nur wenige Meter an Frau und Kind entfernt vorbeirast, aber keinerlei Hilfe leistet, wie es auf einem von Texas-Public-Radio geteilten Video zu sehen sein soll. Die Empörung, die dieser Vorfall auslöst, der ein Schlaglicht auf den Umgang mit Migranten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA wirft, kann man in Texas nicht verstehen. Die Gardisten im Boot hätten festgestellt, daß „es keine Anzeichen von medizinischer Not, Verletzung oder Handlungsunfähigkeit gab und daß die Frau in der Lage war, die kurze Strecke zurück“ ans mexikanische Ufer zu schwimmen, so texanische Behörden auf eine Anfrage von BBC News. 

„Derzeit befinden sich in einem Wohnwagen 24 Leichen“

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Migranten zu, die beim Versuch, den Rio Grande und die in ihm neuerdings installierten Hindernisse zu überwinden, ums Leben kommen. „Derzeit befinden sich in einem Wohnwagen 24 Leichen, und die Beamten sagen, daß sie mehr Wohnwagen brauchen um die Leichen zu lagern. Wir stoßen auf 2-3 Leichen pro Tag“, zitiert News Nation einen County Officer aus der Stadt Eagle Pass in Texas. Derweil berichten die High Country News, daß auch die Zahl der Migranten, die durch die Wüste in New Mexico ins Land gelangen, drastisch steigt. Längst sind es nicht mehr nur Latinos, die ihr Glück in den USA versuchen wollen, sondern zunehmend Menschen aus afrikanischen Ländern, insbesondere aus Mauretanien, Senegal, Angola und Guinea.

 Von sich ändernden Dynamiken spricht die New York Times angesichts der zunehmenden einwanderungsfeindlichen Stimmung in einigen Teilen Europas, auf die die Schmuggelnetzwerke in Amerika umgehend reagiert hätten. Zunehmend sieht sich US-Präsident Joe Biden nicht nur dem Druck der Republikaner ausgesetzt, sondern muß sich auch um die Hilferufe demokratischer Bürgermeister und Gouverneure im Süden kümmern, wo die Einwohner nicht mehr tatenlos zusehen wollen, wie Flüchtlinge zu Hunderttausenden illegal die Grenze überschreiten. Selbst im demokratisch geprägten El Paso sei die mexikanisch-amerikanische Bevölkerung der ständigen Ankunft von Migranten müde, berichtet Politico. Rund 2,5 Millionen sind laut CBP im Geschäftsjahr 2023 über Mexiko in die USA gelangt. Allein im Dezember haben sich 300.000 nach dem Grenzübertritt den Behörden gestellt, um registriert zu werden. Besonders betroffen sind Del Rio und El Paso in Texas, Tucson in Arizona und San Diego in Kalifornien. Selbst die im Zuge der Grenzsicherungsmaßnahmen „Operation Lone Star“ von Texas‘ Gouverneur Greg Abbott (Republikaner) errichteten kilometerlangen Stacheldrahtverhaue und Zäune, eingesetzten Polizisten und Nationalgardisten, Festnahmen wegen unerlaubten Grenzübertritten sowie eine Bojenmauer im Rio Grande konnten den Migrantenstrom nicht stoppen. Die US-Einwanderungsbehörden sind überfordert. 

Nach Angaben von TRAC Immigration beträgt der Rückstand in der Bearbeitung bei den zuständigen Gerichten inzwischen drei Millionen Fälle, was nach Berechnungen der New York Times 4.500 anhängige Fälle pro Richter bedeutet. Bisher gilt, daß Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, bis zu einer Entscheidung in den USA bleiben dürfen und auch eine Arbeitserlaubnis erhalten – also viele Jahre. 

Auch deswegen ziehen weiterhin Zehntausende Migranten gen USA. „Wir stehen vor einer ernsthaften Herausforderung entlang der Südwestgrenze, und CBP und unsere Bundespartner benötigen mehr Ressourcen vom Kongreß – wie im Antrag auf Ergänzungshaushalt dargelegt –, um die Grenzsicherheit und die nationale Sicherheit Amerikas zu verbessern“, zitierten US-Medien mit Troy Miller den amtierenden Vorsitzenden der Grenzbehörde. Zwar will inzwischen auch Biden, wie sein Vorgänger Mauern errichten, gegen konsequenteres Abschieben auch von ganzen Familien und härtere Asylvoraussetzungen sperrt er sich aber noch.Wählerstimmen im Grenzgebiet dürfte ihm das nicht bringen. 

„Dann müssen wir halt auf die Präsidentschaftswahl warten und auf Trumps Wahlsieg hoffen“, sagte der Abgeordnete Jim Jordan in Eagle Pass, „und damit die Rückkehr einer Grenzpolitik, die funktioniert hat.“ Ohnehin wächst die Zustimmung für das einstige Mauerbauprojekt Trumps, der per Dekret eine bis zu neun Meter hohe Grenzmauer zu Mexiko bauen wollte und immerhin bis zum Ende seiner Amtszeit 700 Kilometer Grenzanlagen errichten konnte. Hielten 2017 nach CNN-Umfragen lediglich 38 Prozent der US-Amerikaner dies für eine gute Idee, sind es aktuell mehr als die Hälfte, 52 Prozent. Wie groß der Druck auf Biden ist, zeigte sich Ende vergangenen Jahres, als die Republikaner im Kongreß forderten, die Abschiebungen zu beschleunigen und das Asyl einzuschränken, als Gegenleistung für die Unterstützung der Kriegshilfe für die Ukraine und Israel. Noch wehren sich die Demokraten gegen die Forderung der Republikaner, jene Befugnisse aufzuheben, die dem Präsidenten seit den 1950er Jahren ermöglichen, Schutzsuchende aus humanitären Gründen aufzunehmen. 

Um mehr Menschen abzuschieben, fehlen Geld, Flugzeuge und Piloten

Derzeit nutzt Biden das, um Ukrainer und monatlich 30.000 Bürger aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela aufzunehmen. Analysten rechnen mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingswelle, je näher die Präsidentschaftswahlen rücken. Denn den meisten Fluchtwilligen ist klar, daß sich im Falle einer Wiederwahl von Donald J. Trump das Grenz- und Aufnahmeregime ganz schnell und gravierend verschärfen wird. Dieser hat bereits Massenabschiebungen und andere strenge Maßnahmen zugesagt und wiederholt die Einwanderer ohne Papiere als „Vergiftung des Blutes unseres Landes“ bezeichnet. Mitunter greift inzwischen auch die Biden-Regierung durch. Im vergangenen Jahr wurden 52.192 Bürger Guatemalas auf dem Luftweg abgeschoben, 29.603 Männer, 12.849 Frauen sowie 9.740 begleitete und unbegleitete Minderjährige.

 Insgesamt wurden zwischen Mai und Ende November mehr als 400.000 Menschen „abgeschoben oder zurückgeschickt“. Grenzschutzbeamte bezeichnen das als nicht ausreichend, aber der Biden-Regierung ist es bisher nicht gelungen, Mexiko für die Aufnahme von Hunderttausenden Migranten zu gewinnen, und um mehr Menschen per Flugzeug abzuschieben, fehlen Geld, Flugzeuge und Piloten.Als Hardliner präsentiert sich Texas Gouverneur Abbott. 

Dieser weigert sich nicht nur unter Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht der Texaner, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zu akzeptieren, nach dem Bundesbeamte den an der mexikanischen Grenze angebrachten Stacheldraht entfernen dürfen, sondern hat bereits Mitte Dezember ein Gesetz unterzeichnet, das unerlaubten Grenzübertritt zu einem Staatsverbrechen hochstuft. Danach können ab März texanische Richter Migranten inhaftieren, die sich weigern, sofort nach Mexiko zurückzukehren. Der einzige Grund, warum texanische Beamte nicht auf Migranten an der Grenze schießen würden, sei, daß die „Biden-Regierung uns wegen Mordes anklagen würde“, so der Republikaner in einem Radiointerview Anfang des Jahres. Der Senat prüft nun ein Notfallgesetz, welches, sollten sieben Tage lang 5.000 illegale Grenzübertritte pro Tag erfolgen, dem Präsidenten erlaubt, die Grenze zu schließen.