© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Aus eins mach zwei
Paul Rosen

Die in zwei Gruppen aufgespaltenen Abgeordneten der früheren Linksfraktion bleiben im Bundestag da sitzen, wo sie immer saßen: links vom Präsidium. Vorstöße aus der Unionsfraktion, die zehn Abgeordnete zählende Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nach rechts und zwischen den CDU/CSU-Reihen und der AfD zu plazieren, wurden nicht realisiert. Dafür beschloß der Bundestag mit Mehrheit der Ampel-Koalition eine Reihe von Rechten für die beiden Gruppen. Dies war notwendig geworden, weil die Geschäftsordnung nur die Bildung von Fraktionen (mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages), aber nicht von Gruppen (weniger als fünf Prozent) vorsieht.

Die Ampel-Fraktionen gingen mit den neuen Gruppen Linke (28 Mitglieder) und BSW (zehn Mitglieder) recht großzügig um. Sie bekommen jeweils 50 Prozent der Finanzausstattung einer Fraktion plus Oppositionszuschlag. Die Gruppenvorsitzenden werden Fraktionsvorsitzenden gleichgestellt. Die Gruppen bekommen Redezeiten in Debatten, sind im Ältestenrat und in Ausschüssen vertreten. Aktuelle Stunden können ebenfalls beantragt werden: von der Linken zwei pro Jahr, vom BSW eine. Die Gruppen dürfen außerdem zehn Anfragen pro Monat an die Regierung stellen. Für Fraktionen gibt es keine Grenzen.

Besonders die Begrenzung des Fragerechts bei Kleinen und Großen Anfragen mißfiel. In der Bundestagsdebatte wies Gregor Gysi (Linke) darauf hin, daß es dies in früheren Legislaturperioden für Gruppen (Bündnis 90/Die Grünen und PDS) nicht gegeben hatte. Und für Jessica Tatti (BSW) steht fest, daß damit die Regierung selbst entscheidet, „inwieweit sie durch die Opposition kontrolliert werden will“. Solche Argumente ließ die SPD-Abgeordnete Katja Mast nicht gelten: „Gruppen können nicht wie Fraktionen behandelt werden.“ Auch Thorsten Frei (CDU) forderte, Gruppenbildungen sollten nicht attraktiv sein. Möglicherweise dachte Frei dabei nicht nur an die Linken, sondern auch an den rechten Flügel seiner Fraktion, wo es eventuell Sympathien für die „Werte-Union“ geben könnte. Es gibt zwar bisher nicht einmal Gerüchte, aber erfahrungsgemäß wächst zum Ende einer Legislaturperiode die Neigung einzelner Abgeordneter, dem Fraktionszwang Adieu zu sagen.

Mit dem Ende der Linksfraktion gibt es im Bundestag eine Besonderheit: Zwar hat jede Fraktion laut Geschäftsordnung das Recht, einen Vizepräsidenten zu stellen. Doch Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) ist jetzt Vizepräsidentin ohne Fraktion, während alle Kandidaten der AfD-Fraktion für das Amt bisher nicht gewählt wurden. Für seine Kritik an diesen Zuständen kassierte Stephan Brandner (AfD) einen Ordnungsruf wegen Herabwürdigung der amtierenden Präsidentin – ausgerechnet von Pau, die damit in eigener Sache richtete. Brandner hält die Gruppenrechte für zu umfangreich und meint  auch zu wissen, warum: Die anderen Parteien wollten eine linke „Resterampe als Regierungsreserve“ erhalten – ein Vorwurf, der insbesondere mit Blick auf die Landtage nicht von der Hand zu weisen ist.