© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Die Pfründe in Karlsruhe sichern
Bundesverfassungsgericht: Hinter den Kulissen reden Koalition und Union über Änderungen im Grundgesetz / Einfluß der AfD verhindern
Jörg Kürschner

Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 hat der Gesetzgeber zahlreiche Rechtsvorschriften vorbeugend verändert, um den Einfluß der Partei einzuschränken. Jetzt soll erstmals auch die Verfassung geändert werden. Die Ampel-Parteien befürchten mittelfristig eine Schwächung des Bundesverfassungsgerichts, CDU/CSU dürften mitziehen.

AfD-Leute als Richter? Gibt es schon. In Bayern. Vor zwei Wochen hat der Landtag zusammen mit 13 weiteren Anwärtern zwei AfD-Kandidaten zu ehrenamtlichen Richtern an Bayerns Verfassungsgerichtshof gewählt. Abgestimmt werden konnte nur en bloc, das heißt, für oder gegen die komplette Liste, für oder gegen alle Kandidaten aller Fraktionen. Ein Votum über jeden einzelnen Kandidaten, mit der Möglichkeit der Nichtwahl eines AfD-Bewerbers, wurde als „verfassungsrechtlich bedenklich“ verworfen. Eine Gesetzesänderung ist in Arbeit.

Auf Bundesebene hat die Diskussion, das Bundesverfassungsgericht „änderungsresistenter“ zu machen, gerade erst begonnen. Doch dürfte die Debatte an Fahrt aufnehmen, da die Justizministerkonferenz soeben einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. In der Tat beschreibt das Grundgesetz die Funktion des Bundesverfassungsgerichts, im Gegensatz zu anderen Verfassungsorganen, eher zurückhaltend. Neben den bedeutendsten Zuständigkeiten und Verfahrensarten ist lediglich normiert, daß die 16 Richter je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Ansonsten Fehlanzeige. Die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die zwölfjährige Amtszeit der Richter ohne Wiederwahl, die Vorgabe einer Zweidrittelmehrheit und die Festlegung, daß das Gericht über seine Geschäftsverteilung und Arbeitsweise selbst entscheiden kann, finden sich in einem „einfachen Gesetz“, dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Es kann anders als das Grundgesetz jederzeit mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden.

Wenn nun diese zentralen Bestimmungen dem Gesetzgeber entzogen und Eingang in das Grundgesetz fänden, werde „seine Widerstandsfähigkeit gegen Schwächungsversuche“ gestärkt „sowie seine politische Unabhängigkeit und ausgewogene Besetzung“ gesichert, argumentieren die Ex-Verfassungsrichter Gabriele Britz (seinerzeit von der SPD vorgeschlagen) sowie Michael Eichberger (Vorschlag CDU). So könne verhindert werden, daß bei einem Regierungswechsel Richter einfach aus dem Amt entfernt würden, etwa indem man per Parlamentsbeschluß die Amtszeit verkürzt. Die Juristen verweisen in ihrem gemeinsamen Aufsatz auf den Verfassungskonflikt in Polen unter der kürzlich abgewählten PiS-Regierung. 

„Richterwahl gehört  nicht ins Hinterzimmer“

In Deutschland ist natürlich die AfD gemeint, der unterstellt wird, sie wolle das Gericht auf Kurs bringen. Dafür gibt es bisher keinen Anlaß, auch wenn Fraktionsjustitiar Stephan Brandner regelmäßig eine überlange Verfahrensdauer der in Karlsruhe anhängigen Organstreitverfahren kritisiert. Und auch die Umstände der Wahl von Gerichtspräsident Stephan Harbath als früherer führender CDU-Politiker hatten den Ruf des höchsten deutschen Gerichts nicht gerade gestärkt. 

Die aktuelle Diskussion macht aber deutlich, daß die etablierten Parteien aufgeschreckt sind durch die hohen Umfragewerte der AfD. Weder im Bundestag noch im Bundesrat wird erwartet, daß eine politische Kraft mehr als 50 Prozent bekommt. In knapp 75 Jahren Bundesrepublik erreichte erst einmal eine Partei die absolute Mehrheit: 1957 holten CDU/CSU 50,2 Prozent. 

Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei hält vielmehr eine Sperrminorität von einem Drittel der Stimmen im Bundestag für realistischer. Eine Neubesetzung von Richterstellen könne dauerhaft blockiert werden, wenn die Zweidrittelmehrheit neu im Grundgesetz verankert werde und eine Gesetzesänderung mit einfacher Mehrheit nicht mehr möglich sei. Ein Bumerang. Die Landesjustizminister schlagen vor, wenn der Bundestag zuständig sei und dort eine Blockade eintrete, solle der Bundesrat das Wahlrecht ausüben und umgekehrt.

In der Union ist man verärgert über das Vorpreschen von SPD und FDP („großer Knalleffekt“) in einer sensiblen verfassungsrechtlichen Problematik. Das Grundgesetz kann nur mit Zustimmung der Union geändert werden. Und das Schreckgespenst AfD? „Die Wahl der Richter gehört nicht in die Hand von Politikern, die in Hinterzimmer-Gremien an der Öffentlichkeit vorbei entscheiden.“ Ein parteipolitisch unabhängiges Richterwahlgremium würde die Gewaltenteilung zwischen der Legislative und der Judikative wiederherstellen, so Brandner.