© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

„Keiner hat bei mir nachgefragt“
Interview: Eine aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung zur Ukraine kostete den Chef der deutschen Marine 2022 Amt und Karriere. Heute engagiert sich Admiral Kay-Achim Schönbach in der Werteunion
Moritz Schwarz

Herr Admiral, es scheint, Sie behalten recht: „Die Krim ist weg und wird nie zurückkommen.“

Kay-Achim Schönbach: In absehbarer Zeit ist es zumindest unwahrscheinlich, daß Kiew sie zurückerobern kann. 

Schuldet man Ihnen dort nun eine Entschuldigung, immerhin hat man für diesen Satz Ihren „Kopf“ gefordert?

Schönbach: Ich könnte mich in der Tat bestätigt fühlen. Doch ich bedauere, daß ich wohl leider recht behalte. Wobei auch im Fall Krim Clausewitz’ Wort vom „Nebel des Krieges“ gilt, also daß vieles im Verborgenen – und ergo nichts auszuschließen – ist.

Die Ukraine könnte doch noch siegen? 

Schönbach: Das hängt vom Durchhaltewillen ihrer Bevölkerung ab, der beeindruckend stark ist – aber natürlich auch davon, ob der Westen weiterhin Waffen und Material liefert.

Aber wie wahrscheinlich ist das noch nach dem totalen Scheitern der ukrainischen Frühjahrsoffensive? 

Schönbach: Nichts ist unmöglich. Der Krieg geht weiter, aktuell sieht es aber nicht nach einem Sieg der Ukraine aus. Dafür müßte es neben neuen Offensiven deutlich stärkere westliche Unterstützung geben.

Kiews Frühjahrsoffensive, die mit großen Hoffnungen verbunden war, ist doch nicht nur „einfach“ gescheitert, sondern in einer Weise, die zeigt, daß die Ukraine keinerlei Chance mehr hat, die Russen zu vertreiben. 

Schönbach: Bekommt sie nicht viel mehr Waffen, ist das wohl richtig. Aber die Zukunft kennt keiner. 

Es ist kaum anzunehmen, daß der Westen die Ukraine nach zwei Jahren plötzlich mit Waffen überschwemmt. Also, als Fachmann, wie stehen die Chancen realistischerweise? Denn es geht darum, ob weitere hunderttausende ukrainische und russische Männer sowie zigtausende Zivilisten werden sterben müssen – womit wir bei geschätzt 500.000 bis 700.000 Toten und Verkrüppelten schon jetzt der Millionen-Marke nahekommen. 

Schönbach: Wegen der tief gestaffelten russischen Verteidigung sehe ich ohne erheblich mehr westliches Engagement kaum Aussichten für Kiew, die besetzten Gebiete zurückzugewinnen und so wird der Krieg vermutlich irgendwann einfrieren. Ich bleibe aber dabei, daß man sich nicht von einer Situation täuschen lassen sollte. Bedenken Sie, wie viele zu Beginn glaubten, die Verteidigung Kiews sei sinnlos, und wie die russische Armee dann die ganze Welt damit überrascht hat, was sie nicht kann: eine zwar nicht kleine, aber militärisch weniger bedeutsame Armee niederzuwerfen. Und wie dann umgekehrt in vielen unserer Medien der Sieg der Ukraine fast schon als sicher galt. Ich gebe Ihnen aber auch recht, daß die Frage gestellt werden muß: wofür sterben all diese Menschen? Natürlich spielen das Recht auf Selbstverteidigung, die Souveränität eines Landes, der Patriotismus einer Nation und das Durchsetzen völkerrechtlicher Prinzipien eine große Rolle, aber auch sie sind nicht jede beliebige Zahl an Menschenleben wert. Doch wo da der für die Gesellschaft akzeptable Mittelwert liegt, müssen die Ukrainer selbst entscheiden. Wer sind wir, ihnen diesbezüglich in den Rücken zu fallen?     

Genau diesen Vorwurf hat man Ihnen im Januar 2022 wegen Ihrer Äußerung in Indien gemacht. Warum eigentlich, der Krieg begann doch erst Wochen später?

Schönbach: Ich bin der Ukraine mitnichten in den Rücken gefallen, ganz im Gegenteil. Auch wenn dieses Märchen beharrlich weitererzählt wird. An der ukrainischen Grenze stand seinerzeit ein massiver russischer Truppenaufmarsch. In dieser Lage wurde ich gefragt, ob Rußland Krieg wolle. Ich antwortete, wenn, dann sei es Unsinn anzunehmen, es ginge dabei nur um den geringen Rest des Donbass, den russische Milizen noch nicht kontrollierten. Sollte es zum Krieg kommen, dann würde es also um mehr gehen – vermutlich um die ganze Ukraine. Das aber wirft eine Frage auf: Der große chinesische Stratege Sunzi hat gesagt, daß jeder Krieg, außer der zur Verteidigung, ein vermeidbarer Fehler ist. Sollte es also Krieg um die Ukraine geben, wäre dieser dann ein solcher – wäre er „vermeidbar“ gewesen?   

Und eine Antwort darauf deuteten Sie im weiteren Verlauf Ihrer kritisierten Stellungnahme selbst an: „Putin übt Druck aus ... (will) die EU spalten. Doch was er wirklich möchte, ist Respekt, Augenhöhe. Und, mein Gott, jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet nichts. Würde man also mich fragen: Es ist leicht, ihm sogar den Respekt zu zeigen, den er fordert – und vermutlich auch verdient ... Denn wir brauchen Rußland ... (auch wenn) wir natürlich nicht damit einverstanden sein können, was es in der Ukraine tut, und das ansprechen müssen. Aber die Krim ist weg und wird nie zurückkommen. Das ist eine Tatsache.“

Schönbach: In allen Konflikten und Kriegen geht es um Interessen, was bedeutet, daß beide Seiten zu ihrer Entwicklung beitragen. Aber natürlich: Wer das Schwert zieht, der bricht den Krieg vom Zaun, und das war eindeutig Putin. Aber er hat das nicht getan, weil er, wie er vorgibt, in der Ukraine den Faschismus bekämpfen will. Gerade also wenn man Putins Propaganda nicht glaubt, stellt sich die Frage: Wo haben wir, der Westen, dazu beigetragen, die Weichen falsch zu stellen?

Verharmlosen Sie nicht Putins Rolle, wenn Sie statt nach seiner nach einer gemeinsamen Schuld fragen?

Schönbach: Ich verharmlose gar nichts, der Kriegstreiber war Rußland. Aber Sicherheitspolitik muß immer auch fragen, was falsch gemacht wurde, nur so kann sie lernen, den nächsten Krieg zu verhindern. Und so ist es berechtigt zu fragen, ob Versprechen, die Rußland angeblich gemacht wurden, vielleicht gebrochen wurden? Ob wir das, was es als sein Sicherheitsinteresse versteht – das man sich deshalb ja nicht zu eigen machen muß –, ausreichend berücksichtigt haben? Wäre es möglich gewesen, einen Kompromiß zu finden? Und haben wir uns wirklich genug um einen bemüht? Ich weiß es nicht. Aber der Umstand, daß der Krieg ausgebrochen ist, legt nahe, daß wir etwas Entscheidendes versäumt haben. 

Oder daß wir uns über all das nicht zu wenig, sondern zu viele Gedanken gemacht haben. Denn genau diese Rücksicht könnte Putin den Eindruck vermittelt haben, es mit Weichlingen zu tun zu haben, die bei einem Angriff zerknirscht die Schuld bei sich suchen.

Schönbach: Das ist der Vorwurf, der mir damals gemacht wurde, ich sei ein „Appeaser“ – und über den ich schon damals lachen mußte. Denn wenn ich eines nicht bin, dann ein Freund von „Appeasement“ – also Beschwichtigungspolitik – und somit auch alles andere als ein Putin-Versteher oder Rußland-Unterstützer – noch so ein Märchen! Aber, und das hat mir einmal der verstorbene Verteidigungsminister Peter Struck gesagt: Egal ob kleines oder großes Land, egal ob Demokrat, Autokrat oder Diktator, wir begegnen jedem mit Respekt auf Augenhöhe und hören uns an, was er will. Damit wir die Möglichkeit haben, darauf so zu reagieren, daß wir Konflikte vermeiden oder kontrollieren können. Und als ich in Neu-Delhi von „Respekt“ für Putin sprach, meinte ich das im Sinne Peter Strucks. 

Geäußert haben Sie das als Gast der IDSA, einer der führenden sicherheitspolitischen Denkfabriken Indiens. 

Schönbach: Ja, im Rahmen einer internen Expertenrunde im Anschluß an den offiziellen Teil unseres Besuchs beim indischen Außenministerium und der indischen Marine. Es war ein Gespräch unter Fachleuten, die sich austauschen. Dazu gehört, daß man seine Sicht auf die Dinge offen darlegen kann. Es wurde als internes Gesprächsformat angekündigt. Ich wußte nicht, daß ein Teil der dreistündigen Veranstaltung aufgezeichnet und bei Youtube landen würde. Und um das erneut klarzustellen, hätte ich das gewußt, hätte ich meine Aussagen ausreichend kontextualisiert, womit deutlich geworden wäre, daß sie nicht im Konflikt mit der Position der Bundesregierung stehen.

War Ihnen klar, daß Ihre Karriere mit dem Öffentlichwerden Ihrer Äußerungen vorbei sein würde? 

Schönbach: Nein, warum auch? Ich wußte, was ich gesagt, vor allem aber gemeint hatte, welcher Kontext dort herrschte und welchen Charakter die Veranstaltung hatte. Zudem hieß es am nächsten Morgen nach der Landung in Deutschland seitens meiner Vorgesetzten, es bestehe zwar Klärungsbedarf, mehr aber auch nicht. Erst später am Tage erfuhr ich, daß ich um meine Entlassung zu ersuchen hätte. Warum? Was hatte sich seit dem Morgen geändert? Nichts! Aber: Der Mediendruck sei zu groß.

Weshalb? Der Kontext zeigt, es war eine private Äußerung, keine öffentliche Stellungnahme.

Schönbach: Nun, ich gebe zu, es gibt in Uniform keine private Äußerung, auch wenn es eine ist. Nach dem Kontext aber hat keiner gefragt. Tatsächlich sind Sie in den zwei Jahren seitdem erst der zweite Journalist, der das tut.

Journalismus bedeutet, das ganze Bild zu recherchieren und auf dessen Grundlage zu urteilen. 

Schönbach: Das sagen Sie mal Ihren Kollegen.  

Sie sind also ein Opfer der Medien? 

Schönbach: Ich eigne mich nicht für eine Opferrolle. Wenn man es hätten wissen wollen, hätte nicht nur der Kontext der Aussagen den Medien gezeigt, daß das Bild, das man von mir zeichnete – Putin-Versteher etc. – falsch ist, sondern auch meine früheren Äußerungen. Etwa daß ich schon lange vor dem Überfall auf die Ukraine das gefordert habe, was jetzt Verteidigungsminister Boris Pistorius postuliert, nämlich daß wir einen grundlegenden „Mentalitätswechsel“ brauchen und „kriegstüchtig“ werden müssen. Doch hat mir später ein Journalist gesagt, das wahre Ziel sei gar nicht ich gewesen, sondern Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die damals schon medial angeschlagen war.    

Hätte die Sie nicht in Schutz nehmen müssen?

Schönbach: Wissen Sie, ich bin Soldat geworden, um einer Sache zu dienen. Deshalb ist klar, wenn man auf meiner Ebene zum Problem wird, warum auch immer, berechtigt oder nicht, dann muß man gehen.

Sehr nobel, aber das soldatische Dienst- und Treueverhältnis verpflichtet in zwei Richtungen. 

Schönbach: Natürlich hätte ich mir einen anderen Ausgang gewünscht, und ein anderer Minister hätte vielleicht anders gehandelt. Aber in der Regel läuft es eben so. Nehmen Sie als einen unter einigen solcher Vorfälle den der Gorch Fock, der 2011 für Schlagzeilen sorgte: Ich kenne den Fall in- und auswendig und sage Ihnen, der damalige Kommandant war unschuldig am Unfall der Soldatin, wurde aber abgelöst, um Minister Guttenberg zu schützen.  

Dann die Frage nicht an den Offizier, sondern den Bürger Schönbach: Ist es akzeptabel, jemanden preiszugeben, von dessen Unschuld man überzeugt ist?

Schönbach: Ich grolle Frau Lambrecht überhaupt nicht. Sie hat sich mir gegenüber sehr ehrenvoll und anständig verhalten, mich persönlich empfangen und mir ihre Situation in dieser Lage erklärt. Sie wußte um die Umstände, glaubte aber aus ihrer Sicht nicht anders handeln zu können. Als deutliches Zeichen, daß ich mir jenseits des politischen Aspekts nichts habe zu Schulden kommen lassen, habe ich dann auch einen Zapfenstreich bekommen, die höchste Ehrenbezeugung der Bundeswehr. 

Sind Sie durch den Umgang mit Ihnen in Sachen Politik desillusioniert?

Schönbach: Nein, Politik und Moral haben nun einmal nicht zwangsläufig miteinander zu tun. Worum es tatsächlich geht, sind Interessen. Und ich habe oft genug erlebt, wie der Apparat Minister oder Staatssekretäre aufgestellt und regelrecht inszeniert hat: Blick in die Weite, Posen der Entschlossenheit und Führungsstärke. Es hat geschmerzt, aber das Leben geht weiter.

Trotz dieser Erfahrungen wollen Sie nun selbst in der Politik mitmischen?

Schönbach: Nach meinem Abschied bin ich wieder der CDU beigetreten, der ich bis in die neunziger Jahre schon einmal angehört habe – und muß sagen: Die Partei war für mich kaum mehr wiederzuerkennen! Deshalb bin ich Ende 2022 zusätzlich Mitglied der Werteunion geworden, um als Konservativ-Liberaler der stärker werdenden linksgrünen Strömung in der Partei entgegenzutreten.  

Das hat sich mit dem Beschluß der Werteunion, eine eigene Partei zu gründen, ja nun erledigt. Werden Sie versuchen, als Kandidat für eine der drei Landtagswahlen im Herbst aufgestellt zu werden? 

Schönbach: Nein, ich wohne ja in Niedersachsen, werde aber natürlich die Wahlkämpfe unterstützen, so man mich braucht. Und sollte es uns gelingen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und wir danach auch zur Bundestagswahl 2025 antreten, stünde ich natürlich zur Verfügung.    

Welches Amt streben Sie in der Partei an?

Schönbach: Erstmal müssen wir sie Mitte Februar gründen. Und sollte der Parteitag mir das Vertrauen schenken, arbeite ich gerne an dem mir zugewiesenen Platz für den Erfolg der Partei. 

Hans-Georg Maaßen, möglicherweise Ihr künftiger Parteichef, hat vergangene Woche das Dossier veröffentlicht, das der Verfassungsschutz über ihn unter der Rubrik "Rechtsextremismus" angeleget hat.  

Schönbach: Ich denke, um was es dabei eigentlich geht, ist politische Marktbereinigung. Eine Partei, die sich freiheitlich konservativ verortet, soll frühzeitig als rechtsaußen „geframed“ werden, um sie für manch Interessierte unmöglich zu machen. Am Beispiel des sogenannten „Geheimtreffens in einer Potsdamer Villa“ wurde deutlich, daß man mit herbeiphantasierten Vorwürfen auch die Werteunion zu diskreditieren versucht hat. Der Kampf gegen den tatsächlichen Rechtsextremismus ist gut und richtig. Doch die Werteunion bei dieser Gelegenheit gleich mit zu erledigen, ist infam und übelste Brandstiftung. Dennoch bin ich überzeugt, die Öffentlichkeit wird schnell erkennen, daß wir gute Angebote und Initiativen vorbringen, vor allem aber eine echte Alternative für eine zunehmend sich links orientierende Union sind. 






Kay-Achim Schönbach, Admiral a.D., der Vizeadmiral war von März 2021 bis Januar 2022 Inspekteur der Marine und damit ihr oberster truppendienstlicher Vorgesetzter. Seit 2023 ist Schönbach, geboren 1965 in Kassel, Vizechef der Werteunion sowie Vorsitzender ihres Regionalverbands Nord, der Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen umfaßt.