© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

Geplante Empörung
Änderung des Grundgesetzes: Die Ampel will ungestört weiterkungeln. Die AfD soll außen vor bleiben
Ulrich Clauẞ

Der Vorgang mutet an wie eine Kirchengründung im Zeitraffer. Am Anfang steht ein imaginäres Erweckungserlebnis. Über Nacht finden sich Apostel, die von der unerhörten Begebenheit und einer neuen Lehre künden – gekleidet in alte Mythen. Massen geraten in Erregung. Schon Wochen später wollen die Religionsstifter ein neues Kirchenrecht kodifizieren – bis hin zur Verfassung der Republik.

Keine drei Wochen nach der angeblichen „Geheimkonferenz von Potsdam“ kocht eine Debatte über eine Grundgesetzänderung hoch. Plötzlich fällt auf, daß die Berufung der Verfassungsrichter bisher nach Parteienproporz und im Verborgenen ausgekungelt wurde. Nun könnte eine andere Partei mitkungeln wollen: Das gilt es zu verhindern.

Dazu könnten Geschäftsgrundlage und Besetzungsmodus des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festgeschrieben werden, um die Demokratie „wetterfest gegen Populisten“ zu machen. Vorher noch sollte die AfD verboten, zumindest aber ihren Vertretern das passive Wahlrecht entzogen werden. Am besten gleich beides, fordern vor allem Grüne und die SPD.

Längst hat der Furor der Besorgten den negativen Gründungsmythos seines Erwachens in den Hintergrund gedrängt. Jenen angeblich „teuflischen Plan“ von Potsdam, wie Bundeskanzler Olaf Scholz mit biblischer Wortwucht insinuierte. Entscheidend ist längst nicht mehr tatsächlich Gesagtes, sondern die Erzählung darüber. Lange genug haben öffentlich-rechtliche und private „Qualitätsmedien“ unisono im nachrichtlichen Indikativ Mutmaßungen kolportiert, die sich schon bald als haltlos erweisen dürften. An ihre Stelle ist eine weitgehend entgrenzte Debatte über Optionen im „Kampf gegen Rechts“ getreten. Mit dem Vorteil, daß nichts mehr dementiert werden muß. Und dem Nachteil, daß sich diese Pläne als ebenso kurzlebig erweisen werden wie die ursprüngliche Legendenbildung. Denn zum einen ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für eine entsprechende Grundgesetzänderung nicht in Sicht. Auch wenn der Merkel-Flügel kräftig Stimmung macht, wächst in der Union der Widerstand dagegen, der Ampel bei ihrem Ablenkungsmanöver zu helfen.

Zum anderen sind sich die Verfassungsjuristen einig: Ein Verbot der AfD wie auch der Grundrechtsentzug für Mandatsbewerber ist im Ausgang höchst ungewiß und der Weg dorthin sehr weit. In der Sache wird von führenden Juristen stark bezweifelt, daß die geheimen Dossiers der Landesverfassungsschützer ein Verbot der AfD auf Bundesebene tragen würden. Zum anderen wäre mit einem Urteil nicht vor der nächsten Bundestagswahl zu rechnen, geschweige denn vor den drei Landtagswahlen in diesem Jahr. Wo der Ersatz einer wichtigen, aber maroden Rheinbrücke mehr als 13 Jahre dauert, gilt das real existierende Deutschlandtempo eben auch in der Justiz.

Dem „Kampf gegen Rechts“ dürften daher bald die Erzählungen ausgehen. Das sehen auch Hellsichtige unter den Strenggläubigen so. Der Politologe und grüne Politikveteran Udo Knapp schrieb dazu in der taz: „Machen wir uns nichts vor: Die Wahlerfolge der AfD werden sich in diesem Jahr fortsetzen.“ Nach einigen Wochen „wohlorchestrierter Empörung“ (!) werde es dabei bleiben, daß die AfD „quer durch die ganze Gesellschaft als machtpolitische Option jenseits der übrigen Parteien gesehen wird, als wählbare Alternative zur Demokratie“.

Doch das muß so nicht bleiben. In dem Maße, wie sich die aus allerlei Ressentiments gespeisten Antifa-Festivals der rot-grünen Kernklientel erschöpfen, stellen sich wieder andere Fragen – auch für die AfD.

Die Blauen können sich nur auf ihren harten Wählerkern fest verlassen. Er macht etwa die Hälfte ihrer derzeit in Umfragen gemessenen Zustimmungswerte aus. Die andere Hälfte besteht zum Teil aus Protestwählern, aber dieser Wählertyp ist ein scheues Reh, wie zuletzt die Linkspartei erfahren mußte. Dann gibt es noch das Potential der Wähler, die der AfD mehr oder weniger kritisch gegenüberstehen, sich aber auch für ihre Programmatik aufgeschlossen zeigen. Und hier wird es interessant, vor allem wenn man die wahrscheinlichen Schwerpunkte des nächsten Bundestagswahlkampfs skizziert.

Der Bundestagswahlkampf 2025 wird ein wirtschafts- und sozialpolitischer, in geringerem Maße auch ein außen- und wehrpolitischer sein und keine Verlegenheitsveranstaltung wie Anno ’21 mit inhaltsleerer Klima- und Respektprosa. Der Wohlstandverlust ist allenthalben spürbar, der wirtschaftliche Abschwung reißt tiefe Haushaltslöcher in die öffentlichen Kassen. Konflikte im westlichen Bündnis sind wahrscheinlich, die Lage an Europas Ostfront bleibt volatil. Da wird der Wechselwähler von einer Partei, die Klartext redet, mehr erwarten als Schimpftiraden gegen „Brüssel“ und den „Hegemon USA“. Und mit mehr oder weniger heimlich gehegten Sympathien für das russische Gesellschaftsmodell wird man bestenfalls ein paar virtuelle Stammtische begeistern.

Auch die Sozialpolitik steht vor großen Herausforderungen. Die Höhe der Transferleistungen ist schon auf absehbare Zeit nicht mehr finanzierbar. Ja, eine Neuordnung der Migrationspolitik würde erhebliche Mittel freisetzen. Aber nein, das macht niemand von heute auf morgen, und es würde bei weitem nicht ausreichen, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren. Und um nur an einem Beispiel deutlich zu machen, was noch auf eine ernsthafte Reform-Agenda gehört: Die zweitgrößte Gruppe der Transferempfänger sind die viel zitierten „Alleinerziehenden“. Deren staatliche Alimentierung kann man getrost als völlig aus dem Ruder gelaufene Lebensstilsubvention einordnen – oder warum soll der Steuerzahler für die individuelle Trennungsentscheidung von Ehepaaren aufkommen? Fragen dieses Kalibers können einen Wirtschaftswahlkampf entscheiden. Nicht zuletzt die Querelen innerhalb der AfD um ihr Rentenkonzept lassen allerdings befürchten, daß die Partei sich mit einem ein ausgereiften Sozialdossier noch schwertut.

Insofern sollte die AfD das Antifa-Getöse inklusive Verbotsdebatte gelassen aussitzen und die Zeit nutzen, um zum richtigen Zeitpunkt überzeugende Reformkonzepte parat zu haben. It’s the Economy, stupid! Richtig interessant wird es erst wieder, wenn der Lärm „gegen Rechts“ bald verstummt ist und das wirtschaftliche Desaster des Landes wieder unverstellt vor aller Augen steht. Für die Landtagswahlen im Osten mag das noch eingeschränkt gelten. Danach aber zählt vor allem der praktische Entwurf einer durchgreifenden Reformpolitik – wenn man denn so einen Entwurf hat.