Königsberg. Zum 300. Geburtstag Immanuel Kants am 22. April 2024 könnte vielleicht ein kleiner Teil der ihrem berühmtesten Sohn gewidmeten öffentlichen Aufmerksamkeit auch für seine Heimatstadt Königsberg abfallen. Wen dann das Jubiläum des Denkers dazu anregt, sich mit der Geschichte der Hauptstadt der verlorenen Provinz Ostpreußen zu befassen, sollte zur jüngsten Publikation Wulf D. Wagners greifen. Wie der Architekturhistoriker 2008 in einer monumentalen Monographie das Königsberger Schloß virtuell wieder „aufbaute“, so rekonstruiert er jetzt mit bewundernswertem Fleiß und unübertrefflicher Akribie, was die Akten des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem zur Geschichte der Königstraße verraten. Diese südöstlich vom Schloßteich bis zur östlichen Stadtgrenze führende Straße eignet sich als Idealtyp für Wagners alltagshistorisch orientierte „Archäologie“, die nicht wie Jürgen Manthey („Königsberg – Geschichte einer Weltbürgerrepublik“ (2005) und Klaus Garber („Das alte Königsberg“, 2008) auf die regionale Geistesgeschichte von Simon Dach bis Hannah Arendt fixiert ist. War das Quartier mit seinen 101 Grundstücken, wo die adlige Witwe neben der Bäckersfrau, der Professor neben dem Gastwirt wohnte, doch geprägt vom „Zusammenleben aller Schichten“, so daß Wagner im lesenden Rundgang die gesellschaftliche Vielfalt Königsbergs in der Frühen Neuzeit erlebbar wird. (ks)
Wulf Wagner: Die Königstraße in Königsberg i. Pr. Aus der Geschichte einzelner Grundstücke und ihrer Eigentümer vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Fibre Verlag, Osnabrück 2023, gebunden, 192 Seiten, Abbildungen, 48 Euro
Sahel-Zone. Im Dezember 2023 sind die Einheiten der Bundeswehr aus Mali wieder zurückgekehrt. Der Einsatz verlief militärisch reibungslos, politisch war er ein Schlag ins Wasser. Das war wohl auch nicht anders zu erwarten, wie der aus Niger stammende Journalist Moussa Tchangari in seiner Analyse der Krisenregion südlich der Sahara ausbreitet. Immerhin segelten die Deutschen im Windschatten der alten Kolonialmacht Frankreich, gegen die in den meisten Staaten der Sahelzone die Ressentiments nicht kleiner geworden sind. Im Kampf um strategische Positionen und die Zugänge zu Rohstoffen mischen zudem Russen (mit ihren Wagner-Söldnern) und Chinesen mit. Dabei kommen ihnen in den Staaten die strukturellen Demokratiedefizite sowie eine „tief verwurzelte Tradition staatlicher Gewalt“ zugute. Dazu kommt die demographische Entwicklung, bei der die „desillusionierte westafrikanische Jugend“ sich mit zwei Möglichkeiten konfrontiert sieht: sich gewaltsam Rechte zu verschaffen oder in der Emigration nach Europa ihr Heil zu suchen. (bä)
Moussa Tchangari: Sahel. Warum die Krisenregion auch ein europäisches Problem ist. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023, broschiert, 143 Seiten, 16 Euro