Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) galt einst als große deutsche Tageszeitung mit liberal-konservativem Gepräge, ja sogar als „Weltblatt“. Die vorliegende, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Dissertation über das Politikressort der FAZ in den Jahren 1949 bis 1982 läßt den etwas älteren Leser bisweilen leicht melancholisch an Namen wie Paul Sethe, Fritz Ullrich Fack, Karl Feldmeyer, Friedrich Karl Fromme, Günther Gillessen oder Johann Georg Reißmüller zurückdenken. Einige dieser Journalisten haben später auch für die JF zur Feder gegriffen.
Der Reiz dieser Publikation liegt unter anderem darin, daß sich der Autor Frederic Schulz auf die Akten der Herausgeber sowie Korrespondenzen stützen kann, die im FAZ-Archiv gelagert sind. Schulz hat zudem einige Nachlässe von FAZ-Größen wie Bruno Dechamps, Erich Dombrowski, Jürgen Tern oder auch Erich Welter ausgewertet. Zahlreiche Zeitzeugen wie Karl Heinz Bohrer, Jürgen Busche, Günther von Lojewski, Kurt Reumann oder Peter Jochen Winters standen überdies für Gespräche zur Verfügung. Auch wenn die von dem Würzburger Historiker Peter Hoeres betreute Doktorarbeit sehr flüssig geschrieben ist, dürften der stolze Preis von 69 Euro und die teilweise recht detaillierte Schilderung der Abläufe innerhalb des Politikressorts doch den Leserkreis eher einschränken.
Eine prägende Figur über Jahrzehnte, wenn auch mit abnehmender Tendenz, war Erich Welter (1900–1982), den Schulz für unterschätzt hält. Die Forschung habe in ihm bisher vor allem den Manager, Fädenzieher des Wirtschaftsteils und Mann im Hintergrund gesehen. Welter kam von der Frankfurter Zeitung und firmierte seit 1949 neben Hans Baumgarten, Erich Dombrowski, Karl Korn und Paul Sethe als einer der Herausgeber der FAZ.
Der Verfasser unterteilt die Geschichte des Politikressorts in drei Phasen. In der „Pionier- oder Zick-Zack-Phase“ in den Jahren 1949 bis 1955 sei es der Zeitung vor allem um die Popularisierung der sozialen Marktwirtschaft gegangen. Diese Phase endete mit dem Rauswurf von Paul Sethe, dem heimlichen politischen Chefredakteur. Danach trat die FAZ (1955 bis 1970) in die gouvernementale Phase ein. Benno Reifenberg und Jürgen Tern gaben dem Politikressort eine feste Struktur, das personell immer stärker anwuchs. Tern, der seit 1960 als politischer Herausgeber amtierte, mußte die Zeitung im Jahr 1970 im Streit um die Ostpolitik der Regierung Brandt verlassen.
Man legte in der Redaktion viel Wert auf Mäßigung und Etikette
Schulz zufolge habe sich die FAZ in der Zeit von 1971 bis 1982 stärker konservativ profiliert. Die im Ton manchmal etwas schwerfällige und nicht gerade mit Humor gesegnete Tageszeitung nahm neben der konservativen beziehungsweise rechten Welt und der linksliberalen Süddeutschen Zeitung (SZ) einen Platz in der Mitte ein. In der Frankfurter Hellerhofstraße legte man viel Wert auf Mäßigung und Etikette. So sei das Tragen von Rollkragenpullovern nicht „FAZ-like“, befand der konservative Johann Georg Reißmüller, der als verantwortlicher Redakteur für die Innenpolitik (1971 bis 1974) und als Herausgeber (1974 bis 1999) das Weltblatt maßgeblich prägte und auf Kurs brachte. Zur Parteipolitik hielt man im großen und ganzen Abstand. Das galt für die SPD, aber auch für die Union. Man wollte keine „Parteizeitung“ sein.
Laut Jürgen Busche sah sich die FAZ gern wie ein englischer Club, doch es könne dort auch zugehen „wie auf einem englischen Piratenschiff aus Morgans Zeiten“. Zu Reibereien kam es immer wieder zwischen der Politik und dem von Joachim Fest mit liberaler Hand geführten Feuilleton. Insbesondere Beiträge der konservativen Edelfeder Friedrich Karl Fromme, der bis 1997 als Leiter des Ressorts Innenpolitik mit dem besonderen Schwerpunkt Rechtspolitik tätig war und in späteren Jahren auch regelmäßig für die JF schrieb, erregten den Unmut des Literaturchefs Marcel Reich-Ranicki.
Das Politikressort diente – anders als der politisch linker stehende Kulturteil – nicht nur als Mittel zur Leserbindung, sondern als Bedingung dafür, daß die FAZ als allgemeine Zeitung gelesen wurde. „Die FAZ sollte als Weltblatt wahrgenommen werden, um die Zielsetzungen ihrer Förderer und Gründer zu popularisieren“, so der Autor. Die gezahlten Gehälter der Politikredakteure waren allerdings oft nicht gerade „weltmeisterlich“. Für die Zeitung zu schreiben, verschaffte Prestige. Daß zu Beginn der 1970er Jahre ein „liberaler Aderlaß“ stattfand, hatte allerdings andere Gründe. Nach der Trennung von Tern suchten einige Redakteure eine neue berufliche Zukunft bei der SZ, der Friedrich-Ebert-Stiftung oder beim RIAS. Somit homogenisierte sich das Politikressort. Die „roten Zellen“, wie sie Welter nannte, waren ausgedünnt.
Unter den Herausgebern, die als „Halbgötter“ bezeichnet wurden, war Reißmüller eine besonders tatkräftige und meinungsprägende Figur. Mit einem großen Verhandlungsgeschick und Machtinstinkt ausgestattet, verfolgte er seine Karrierepläne zielgerichtet. Bekannt war er für seinen etwas eigenwilligen Humor. Die Wahl Joachim Fests zum Vorsitzenden der Herausgeberkonferenz protokollierte er – in Anspielung auf Fests epochale Hitler-Biographie – mit den Worten: „Der neue Führer ist gewählt: Herr Fest sitzt vom 1. April an für ein Jahr der Herausgeberkonferenz vor.“ Zu Beginn des Jugoslawienkriegs publizierte Reißmüller eine Serie aufsehenerregender Leitartikel, in denen er sich für eine völkerrechtliche Anerkennung von Slowenien und Kroatien aussprach.
Im Jahr 1978 lobte ihr Berater Johannes Gross die FAZ als „die beste Zeitung Deutschlands, vielleicht auch die beste Zeitung der Welt“. Superlative sind oft Fehl am Platze. Unzweifelhaft war die Zeitung aber über viele Jahrzehnte ein wichtiges Sprachrohr für ein liberal-konservatives Bürgertum.
Frederic Schulz: Am Webstuhl der Zeit. Das Politikressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1949 bis 1982. Verlag Brill/Schöningh, Paderborn 2023, gebunden, 443 Seiten, 69 Euro