Die FPÖ liegt in Österreich in den Umfragen momentan an erster Stelle. Traditionell werden die „Blauen“ als die Partei des „dritten Lagers“ bezeichnet – neben „rot“ und „schwarz“. Doch gegründet wurde sie, oder besser: ihr Vorgänger, der Verband der Unabhängigen (VdU), als „vierte Partei“. In Österreich entstanden die Parteien schon in den letzten Kriegswochen: Christdemokraten (ÖVP), Sozialisten (SPÖ) – und Kommunisten. Präsident Karl Renner hatte 1945 zwar auch für die Nationalliberalen einen Sitz im Kabinett vorgesehen, nämlich für die Vertreter ihres bäuerlichen Flügels, des Landbundes. Doch die Landbündler hielten sich zunächst lieber an die starken Bataillone der ÖVP. Die städtischen Deutschnationalen aber waren nach der Katastrophe des Dritten Reiches verpönt.
Die ÖVP verteidigte ihr Monopol auf bürgerliche Wähler mit Zähnen und Klauen. Ihr Staatssekretär im Innenministerium verkündete: Wer eine vierte Partei gründen will, den laß ich einsperren. Gesagt, getan. Als eine Runde von Landbündlern die Entscheidung von 1945 revidieren wollte, landete ihr spiritus rector, der Grazer Verleger Leopold Stocker, prompt im Arrest. Eine Anklage wurde nie erhoben, aber die Lektion war klar. Nach außen hin verteidigte die ÖVP diese harte Linie: Solange man die sowjetischen Besatzer im Lande habe, könnten sich die Bürgerlichen den Luxus einer Spaltung einfach nicht leisten.
In Salzburg saß ein Journalist, der aus dieser Situation ganz andere Schlußfolgerungen zog. Herbert Alois Kraus führte als Herausgeber der Berichte und Informationen erste Umfragen durch, die ergaben, die Wähler seien mit der ÖVP und der Großen Koalition so unzufrieden, daß sie in Scharen daheim bleiben oder sogar links wählen würden, wenn kein Ventil geschaffen würde in Form einer „vierten Partei“. Kraus war der Sohn eines kaiserlichen Generals; er selbst hatte einen Krieg später in der deutschen Abwehr gedient. Kraus war wirtschaftsliberal, aber nicht antiklerikal; seine Stellung zur „nationalen Frage“ charakterisiert ein Zitat: „Wir Österreicher sind alle in irgendeinem Winkel unseres Herzens Monarchisten und großdeutsch, im Sinne des Alten Reiches.“ Kraus ist oft nachgesagt worden, er wolle im traditionellen dritten Lager das liberale Element vor dem nationalen reihen. Doch seine Ambitionen gingen weit darüber hinaus: Er wollte keine Lagerpartei neu gründen, sondern eine breitgefächerte Reformbewegung ins Leben rufen, die von unabhängigen Betriebsräten bis zu den Legitimisten reichte, gruppiert um ein rechtsliberales Credo: Aufstieg durch Leistung.
Kraus sondierte lange unter Honoratioren, die ihn ihrer Sympathien versicherten, sich aber nicht aus der Deckung wagen wollten. Ein alpenländischer Baron schrieb vielsagend: Es hätten ihm Freunde abgeraten, „deren Urteil mir maßgebend zu sein hat“. Kraus trat daraufhin am 4. Februar 1949 die Flucht nach vorne an. Er berief im Salzburger Café Bazar eine Pressekonferenz ein und verkündete die Gründung des „Verbandes der Unabhängigen“ (VdU). Manche der Unterstützer, die er nannte, erfuhren von ihrem Glück erst aus der Zeitung und lehnten dankend ab, aber der Funke hatte gezündet. Zum Unterschied von den Grazern hatte Kraus eine Trumpfkarte im Ärmel. Er verfügte über einen direkten Draht zu den Amerikanern, die ihr Hauptquartier in Salzburg hatten. In der US-Abwehr, dem CIC, gab es zwei Strömungen – eine, die an der ÖVP festhielt und eine andere, die auf Kraus setzte. Die letztere setzte sich durch.
Diskrete Unterstützung erhielt der VdU sogar aus den Reihen der beiden Großparteien. Die SPÖ sah die Chance, der ÖVP mit einer zweiten bürgerlichen Partei ihren Vorsprung zu rauben. SPÖ-Innenminister Oskar Helmer setzte sich bei den britischen Genossen dafür ein, daß die Alliierten kein gemeinsames Veto gegen ein Antreten des VdU einlegten. Und bei der ÖVP war es der Industrie ganz recht, wenn eine „vierte Partei“ von außen her Druck machte für eine Liberalisierung der Wirtschaft, die immer noch unter den Relikten der Kriegswirtschaft seufzte. So erhielt der VdU auch Spenden aus Kreisen, die formell weiterhin der ÖVP angehörten.
VdU schnitt überraschend gut
auch bei den Arbeitern ab
Es folgte das „Veni, vidi, vici“ des VdU. Er erhielt bei den Wahlen 1949 in den westlichen Zonen fast zwanzig Prozent, in der Sowjetzone allerdings kaum fünf Prozent. Der regionale Unterschied widerlegt auch die Milchmädchenrechnung, die halbe Million VdU-Stimmen sei von der halben Million „minderbelasteter“ NSDAP-Mitglieder gekommen, die 1949 wiederum wählen durften. Denn die Mehrheit der VdU-Stimmen wurde im Westen abgegeben, die Mehrheit der „Ehemaligen“ lebte im Osten. Eine Wählerstromanalyse hat inzwischen berechnet, daß sich die Neuwähler ziemlich gleichmäßig auf alle drei Lager aufteilten. Der VdU schnitt darüber hinaus überraschend gut auch bei den Arbeitern ab. Mit der klammheimlichen Sympathie der SPÖ war es daraufhin vorbei. Sie bekämpfte fortan mit Zuckerbrot und Peitsche die Konkurrenz in den Großbetrieben.
Der VdU erzielte mit einem unabhängigen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 1951 sogar 15 Prozent. Diesmal war die Botschaft auch bei der ÖVP angekommen. Dort übernahm mit Julius Raab ein Mann des rechten Flügels das Kommando und nahm dem VdU mit dem „Raab-Kamitz-Kurs“ den Wind aus den Segeln. Die Hälfte der ÖVP-Minister kam jetzt aus dem traditionellen dritten Lager. Finanzminister Kamitz, der selbst zu den „Minderbelasteten“ zählte, setzte auf marktwirtschaftliche Reformen. Freilich: Als Raab 1953 den VdU dann als Juniorpartner in die Regierung holen wollte, legte sich die SPÖ quer, die man während der Besatzungszeit keineswegs in die Opposition treiben wollte. Der VdU überlebte die Enttäuschung nicht lange. Als Nachfolgepartei entstand nach verwirrenden Querelen 1956 die FPÖ.