© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

Filmkritik Lawrence von Arabien
Abenteuer in der Wüste
Werner Olles

Wer war der britische Offizier aus Oxford, der während des Ersten Weltkriegs die arabischen Stämme zum Widerstand gegen die mit dem Deutschen Reich verbündeten Türken bewegte? „Ich bin anders“, verkündet Thomas Edward Lawrence (Peter O’Toole) zu Beginn des Films, als er einem Beduinen den Unterschied zwischen sich und den Menschen seiner Heimat erklärt, „einem fetten Land mit fetten Leuten“. Anders war er auf jeden Fall, aber in welcher Hinsicht? Ein idealistischer Träumer, ein größenwahnsinniger Narziß? Ein homoerotischer Sadomasochist? Selbst seine Vorgesetzen in der Armee und seine Bekannten wissen es nicht, und nach seinem frühen Tod durch einen (absichtlich herbeigeführten?) Motorradunfall mit einem Armeelastwagen – er hatte kurz zuvor wohl Kontakte zu Abgesandten des Deutschen Reiches aufgenommen – nimmt die Legende um Lawrence erst richtig Fahrt auf. 

David Leans Monumentalfilm „Lawrence von Arabien“ (1962) untersucht in traumhaften Bildern die zahlreichen Facetten dieses rätselhaften Charakters, ohne dabei diesem wirklich näher zu kommen. Es ist ein Film über Krieg, Politik, britische Kolonialgeschichte, ein bildmächtig gestalteter Selbsterfahrungstrip (Kamera: Freddie Young) eines am Rande des Wahnsinns stehenden Mannes, der unbekannte Wüsten durchquert, Bündnisse schmiedet zwischen verfeindeten arabischen Stämmen und mit dieser Armee Damaskus einnimmt. Selbstquälerische Expeditionen, die Wüste als „Spiegelbild der inneren Verfassung der Hauptfigur“ (Neue Zürcher Zeitung), dann die Desillusionierung, als er merkt, daß seine englischen Vorgesetzten die Unabhängigkeit der Araber niemals zulassen werden. Dennoch sonnt er sich im Glanze seiner militärischen Erfolge, genießt die Bewunderung seines treuesten Freundes Sherif Ali Ibn El Kharish (Omar Sharif) und ignoriert den Zynismus des Leiters des Arabischen Büros (Claude Rains). Während sein unzuverlässiger Verbündeter Auda Abu Tayi (Anthony Quinn) seine Feldzüge eher als Rachezüge ansieht, durchschaut Fürst Feisal (Alec Guinness) seinen Mitstreiter und dessen politische Visionen als naive Träumereien.

Zwei Jahre dauerten die Dreharbeiten in Jordanien mit grandiosen Panoramen der gnadenlosen Wüste, realistischen Schlachtszenen und einem erstklassigen Ensemble: Eine Fata Morgana, aus der sich das Drama eines faszinierenden Charakters herausschält. 

Steelbook: Lawrence von Arabien. Plaion Pictures 2024, Laufzeit etwa 427 Minuten