Inzwischen ist es schon fast fünfzig Jahre her, daß „Die Biene Maja“ als ZDF-Serie in deutsche Wohnzimmer brummte und dort die facettenreiche Welt der Insekten buchstäblich salonfähig machte. Wer erinnert sich nicht an den lustigen Grashüpfer Flip, die arglistige Spinne Thekla und natürlich an Majas besten Freund Willi? Seither hat es immer wieder Trickfilmproduktionen gegeben, in denen der geheimnisvolle Kosmos der Sechsfüßler Kindern auf humorvolle und anschauliche Weise nähergebracht wurde, auch wenn die zoologische Präzision dabei meist auf der Strecke blieb. Mit „Butterfly Tale – Ein Abenteuer liegt in der Luft“ von Regisseurin Sophie Roy kehren die Insekten nun zurück auf die Leinwand. Nicht Bienen, Ameisen oder Grashüpfer stehen diesmal im Blickpunkt, sondern, wie bereits der Name des Kinderfilms der Marke „schlicht gestrickt“ verrät, Schmetterlinge, genauer gesagt: Monarchfalter.
Garstige Raubvögel machen den Luftraum unsicher
Eine Freundschaft, die verdächtig an die zwischen Maja und Willi erinnert, ist eine der tragenden Säulen des kurzweiligen Animationsabenteuers: Der flugunfähige und mithin um Inklusion bemühte Patrick übernimmt die Funktion des etwas vorlauten, aber durchaus vernunftbegabten Draufgängers, sein Freund Marty schlüpft in die Willi-Rolle des tolpatschigen Schlingels, der mit seiner unbedachten Wesensart immer wieder für Schwierigkeiten sorgt. Zu dem Duo gesellen sich die flotte Falterdame Jennifer und deren Freundin Lily. Zu Beginn der Geschichte kämpft Patrick mit seiner Behinderung. Er hat einen verstümmelten rechten Flügel, kann nicht richtig abheben und wird deshalb als „Flachfalter“ verspottet. Sein Freund Marty hält zu ihm. Er kann nämlich auch nicht fliegen – weil er noch eine Raupe ist. Geteiltes Leid – halbes Leid.
Zu seinem Leidwesen muß der abenteuerlustige Jungfalter mit den Bruchpilot-Allüren zu Hause bleiben, als die Schmetterlingskolonie sich auf ihre jährliche Reise in den Süden begibt. Patrick soll das lebenswichtige Milchgras hüten, von dem die Monarch-falter sich ernähren. Doch ihm und seinem Freund Marty gelingt es durch einen Trick, den Traum von der Flugreise trotzdem wahr werden zu lassen: Sie verstecken sich im Anhänger mit den Milchgras-Vorräten, den das tapfere Schmetterlings-Mädchen Jennifer im Schlepptau hat. Als die beiden blinden Passagiere bei einer Zwischenlandung enttarnt werden, ist Patricks Mutter nicht begeistert. Doch für Schelte bleibt wenig Zeit, denn ein Tornado braust heran und wirbelt einiges durcheinander. Wenig später ist Patricks Mutter verschwunden. Nicht das einzige Problem während der aufregenden Reise. Entsetzen beispielsweise macht sich unter den Monarchfaltern breit, als sie feststellen müssen, daß ein für die Versorgung fest eingeplantes Milchgrasfeld in eine menschengemachte Betonwüste transformiert worden ist. Die kleine versteckte Öko-Botschaft ist durchaus typisch für den spürbar an den Empfindungsreichtum der Generation Schneeflocke angepaßten Subtext des Films.
Für noch mehr Entsetzen sorgen drei äußerst garstige Raubvögel, die den Luftraum über der Sierra unsicher machen, die der Schmetterlingsschwarm überqueren muß. Regisseurin Roy läßt die Biester aussehen wie eine mißglückte Kreuzung aus Suppenhuhn und Seeadler. Dieses unbarmherzige Trio hetzt die Regisseurin in der spannenden Schlußphase des Films noch mal auf die beiden Falter Patrick und Jennifer und den Falter in spe Marty; aber natürlich wissen die ihnen ein Schnippchen zu schlagen. Als im Streit unter den gefiederten Jägern der Begriff „toxische Männlichkeit“ fällt, ein Ausdruck, mit dem das kindliche Publikum gar nichts anzufangen weiß, geht wieder kurz der Türspalt auf zum ideologischen Hinterzimmer der deutsch-kanadischen Koproduktion und läßt ein Stück von dem erahnen, was bei Kinderfilmen heute immer mit dabei ist: ein Erziehungsauftrag, der an längst überwundene FDJ-Zeiten erinnert. Oder wird hier nur ironisch mit Begrifflichkeiten gespielt?
Jedenfalls ist keine eindeutige politische Tendenz erkennbar. Jennifer trumpft einerseits feministisch-selbstbewußt auf, kämpft dann aber mit einem Problem, das sie krampfhaft vor dem Schwarm geheimzuhalten versucht: Sie leidet unter Höhenangst – peinlich für ein Fluginsekt! Nachdem sie ihre Phobie mit männlicher Hilfe besiegt hat, revanchiert sie sich, indem sie Patrick ermutigt: „Versuch niemals zu sein wie alle anderen!“ Das ist doch mal was in Zeiten des hypermoralischen Konformitätsdrucks. Und auch Helikop-tereltern kriegen einen mit: Sie traue ihm einfach nie was zu, beschwert sich der Juniorfalter bei seiner überfürsorglichen Mutter. „Ich will dich nicht auch noch verlieren“, erklärt die ihrem Sohn. So kommt heraus: Patricks Vater war ein Falter-Kamikaze, der einst im Kampf gegen Raubvögel den Heldentod starb.
Es ist also ein durchaus uneinheitlicher Maximen-Mix, der sich aus „Ein Abenteuer liegt in der Luft“ herausdestillieren läßt. Jeder nehme daher aus dem, was hier in der Luft liegt, aber nicht immer klar zu fassen ist, mit, was ihn frommt.