© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Es wäre interessant zu wissen, ob es eine Konvergenz zwischen dem Altern der (Ur-)Bevölkerung, dem Trend, auch im Winter mit Turnschuhen herumzulaufen, der registrierten Zahl an Fuß-, Bein-, Becken-, Hand-, Arm- sowie Genickbrüchen und der Verweigerung der Schneeräum-pflicht auf Gehwegen gibt.

˜

Biblische Lektionen, hier: der Doppelpaß. „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.“ (Mat-thäus 6,24)

˜

Philippe Val, ehemaliger Direktor von Charlie Hebdo und France Inter, zweifellos ein Mann der Linken, sah sich wegen der Feststellung, daß es ein Bündnis zwischen Gruppen seines eigenen Lagers und dem Islamismus gebe, heftigen Angriffen ausgesetzt. Die konterte er in einer Sendung von Europe 1 mit der lapidaren Bemerkung, daß er nicht beeindruckt sei, denn „seit 1945 haben sich unsere kulturellen Eliten über alles geirrt“.

˜

Apropos „Deutschland den Deutschen!“ die Erinnerung an ein Gespräch mit jungen Leuten türkischer Herkunft. Anlaß war die Gründung der modernen Türkei durch Kemal Atatürk und die Tatsache, daß dessen Bild in vielen Wohnungen ihrer Eltern hing. Frage: „Und Sie wissen, daß das Konterfei Atatürks auch im Kopf der Tageszeitung Hürriyet steht?“ – Antwort: „Ja.“ – Frage: „Zusammen mit der Parole ‘Die Türkei den Türken’.“ – Antwort (lauernd): „Und?“ – Frage: „Das ist in Ordnung?“ – Antwort (grinsend): „Klar!“ – Frage: „Was ist mit ‘Deutschland den Deutschen’?“ – Antwort (triumphierend): „Das ist rassistisch!“

˜

Daß sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung an der AfD abarbeitet, ist kein Novum, alldieweil sie mit deren „schrecklichem Deutschtum“ (Florian Geyer) nichts zu tun haben will. Aber es sollte den klugen Köpfen hinter dem Blatt doch zu denken geben, daß ihre Sympathie für jene, die keine „ethnisch oder kulturell homogene Bevölkerung“ (Jürgen Kaube) mehr im Sinn haben, das „Wir“, das sie dauernd gegen die „Spalter“ beschwören, nur noch auf einem Weg konstituieren können: durch die Errichtung der Volks- als Gesinnungsgemeinschaft. Diese Annahme ist alles andere als übertrieben. Man kann das nicht nur am wording der Massenaufmärsche „gegen Rechts“ ablesen, sondern auch daran, daß das neue Staatsbürgerrecht nur ein Kriterium der Deutschheit als unaufgebbar betrachtet: die Bereitschaft, die „entscheidenden Lehren aus der deutschen Vergangenheit“ mitzutragen. Sollte das ernst gemeint sein, bleibt wohl bloß grenzenloses Vertrauen in all die Neubürger, oder die drastische Vermehrung von Arbeitsplätzen in den Anlaufstellen für „Hinweisgeber“ recte Blockwarte.

˜

Bildungsbericht in loser Folge: Eine Studie, die sich mit dem Lehrerverhalten gegenüber Schülern an französischen Mittelschulen beschäftigt hat, kam zu dem Ergebnis, daß die Pädagogen Mädchen gegenüber Jungen prinzipiell bevorzugen. Eine Folge dieser Präferenz ist, daß die männlichen Schüler kontinuierlich zurückfallen, aber auch, eine andere, daß sich eine wachsende Zahl von Mädchen für den naturwissenschaftlichen Zweig der Oberstufe entscheidet. Ohne die Voreingenommenheit der Lehrkräfte zugunsten der Mädchen wäre deren Anteil um 12,5 Prozent geringer.

˜

Es steht zu befürchten, daß die Teilnehmer an den jüngsten Demonstrationen „gegen rechts“ mehrheitlich einen höheren Bildungsabschluß haben. 

˜

Sven Felix Kellerhoff hat in der Tageszeitung Die Welt (Online-Ausgabe vom 29. Januar) einen Beitrag veröffentlicht, der sich in erster Linie mit Ernst Cramer (Stellvertretender Chefredakteur, ab 1981 Herausgeber der Welt) und Matthias Walden (ab 1980 Mitherausgeber der Welt) beschäftigt, aber auch auf deren Verhältnis zu Armin Mohler als ihrem Antipoden zu sprechen kommt. Was Kellerhoff in dem Kontext zu erwähnen vergaß, ist die Tatsache, daß Mohler – nicht nur als gelegentlicher Autor, sondern auch als Kolumnist – in derselben Zeit für die Welt gearbeitet hat wie Cramer und Walden. Entscheidender wirkt aber die Verzeichnung, der zufolge Cramer und Walden als lupenreine Demokraten, Mohler aber als Befürworter eines „autoritären Staates“ erscheint. Sollte letzteres zutreffen, wäre nicht nur das Frankreich de Gaulles, sondern die Fünfte Republik in toto – Mohlers bevorzugtes politisches Modell – solchermaßen zu charakterisieren. Bleibt zuletzt noch die Klärung der Frage, wer mit seiner Lagebeurteilung in der Spätphase der Bundesrepublik richtig lag, die Liberalkonservativen Cramer und Walden, die meinten, daß Antitotalitarismus und Wohlstand für alle reichten, um einen Staat zusammenzuhalten, oder der Rechte Mohler, der unermüdlich darauf hinwies, daß es nicht gutgehen kann, wenn man ein Volk „monumental unterernährt“ und als Demokratie eine liberale Elitenherrschaft verkauft, die sich im Zweifel einen Dreck um das schert, was der Mann auf der Straße eigentlich will.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Februar in der JF-Ausgabe 8/24.