© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

Kommunistisch organisiert: Chinas Bildungskapitalismus
Lebenslanger Wettbewerbsstreß
(dg)

Um die Prüfungstermine herum teilen Studenten in der südostchinesischen Metropole Shenzen gern einen im Social-Media-Dienst des Netzkonzerns Tencent verfügbaren zynischen Cartoon, der ihresgleichen beim Sprung vom Universitätsgebäude zeigt. Für den Kulturhistoriker Gregory Jones-Katz (Uni Frankfurt/M.) drückt sich darin mehr als nur schwarzer Humor aus. Denn um diese Zeit sind Aufseher der dortigen studentischen Wohnheime tatsächlich in Alarmbereitschaft, um Selbstmorde durchgefallener Prüflinge zu verhindern. Ein solches Phänomen tauche das im Westen häufig als vorbildlich gepriesene Schul- und Hochschulsystem Chinas,  das Jones-Katz als Gastforscher in Shenzen und Hongkong selbst längere Zeit erlebte, in ein trübes Licht. Habe sich doch unter der Ägide kommunistischer Kulturfunktionäre, die zur Jahrtausendwende angetreten waren, Chinas Studenten vor den nationale Identität und sozialen Zusammenhalt „zersetzenden“ Effekten des globalen Liberalismus zu bewahren, inzwischen eine darwinistische „Bildungs-Konkurrenz“ etabliert. Während die Studienzeit für viele Studierende in Europa und den USA immer noch als „the best time of your life“ gelte, sei sie in China nur eine flüchtige Etappe auf dem Weg in eine vermeintlich profitable Zukunft, da das gesamte Studium auf den Moment ausgerichtet sei, in dem sich die riesigen, von den Eltern geleisteten Investitionen endlich auszahlen sollen. Chinas Hochschulen seien heute Institutionen des brutalen „Bildungskapitalismus“, die ihre Absolventen auf einen lebenslang anhaltenden, maßlosen und inzwischen auch finanziell oft unattraktiven Wettbewerbsstreß vorbereiten (Merkur 12/2023). 


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