© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

Erfolg macht stark
Tarifpolitik: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer steht im Wettstreit mit der DGB-Gewerkschaft EVG
Jörg Fischer

Trotz politisch-medialen Gegenwinds stoßen die Kundgebungen, Sternfahrten und Blockaden der Bauern, Handwerker, des Transportgewerbes und der Gastronomie in weiten Kreisen der Bevölkerung auf große Sympathie. Mehr Abgaben und Bürokratie, Dieselverteuerung und steigende Steuern, irrwitzige Klimapolitik und Fleischverteufelung, Realitätsverlust und politisches Versagen – daß die „Ampel weg muß“, sehen viele genauso.

Den etwa 40.000 Mitgliedern der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und deren Chef Claus Weselsky flogen in den vergangenen Wochen weniger Sympathien zu (JF 2/24). Denn wer auf die Eisenbahn angewiesen ist, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen, findet es nicht lustig, wenn angekündigt wird, daß sechs Tage keine Züge mehr rollen. Auch Branchen wie die Auto-, Chemie- oder Stahlindustrie, die auf Bahnfracht angewiesen sind, trafen die GDL-Streiks hart. Die bestreikte Deutsche Bahn AG (DB) sprach von Verlusten von 25 Millionen Euro pro Tag.

Der vierte GDL-Streik in der aktuellen Tarifauseinandersetzung ging nun einen Tag früher zu Ende, bis 3. März herrscht Friedenspflicht – und Weselsky gibt sich optimistisch: „Insbesondere die Verhandlungsbereitschaft der DB zur Arbeitszeitabsenkung für Schichtarbeiter ist zentral bedeutsam. Die Bereitschaft, auch über einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln, ist nunmehr vorhanden. Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe.“ Weitere Themen seien eine Gehaltserhöhung, eine Inflationsausgleichsprämie sowie ein Tarifvertrag für die Fahrzeuginstandhaltung.

Und wenn sich beide Tarifparteien doch nicht einig werden? Dann hat die GDL dennoch gute Karten. Denn ohne Lokführer fährt kein Zug – auf das Personal im Speisewagen, eine Zugreinigung oder die Zugauskunft kann im Zweifel auch einmal verzichtet werden. Zudem steht die GDL, die zum Dachverband DBB Beamtenbund und Tarifunion gehört, im Wettbewerb mit der mitgliederstärkeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die zum DGB gehört. Die EVG hat für ihre etwa 180.000 Mitglieder im August 2023 – allerdings durch einen Schlichterspruch – einen verbesserten Tarifvertrag für zwei Jahre erkämpft: mit der „teuersten Lohnerhöhung in der Geschichte“, wie die DB damals beklagte. Die GDL muß das nun irgendwie „übertrumpfen“ – und zugleich wird versucht, weitere DB-Beschäftigte zu sich „rüberzuziehen“.

Neun Millionen Euro Fixgehalt und Boni für den DB-Vorstand

Denn durch das von der großen Koalition 2015 verabschiedete Tarifeinheitsgesetz (TEG) entscheidet die Zahl der jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder in einem DB-Einzelbetrieb, ob die DB-Führung mit der GDL oder der EVG verhandelt: „Aktuell werden in 282 der 300 Betriebe bei der DB die Verträge der EVG angewendet, in 18 Betrieben gilt das Tarifwerk der GDL“, teilte die Konzernführung mit. Die neuen EVG-Tarifverträge würden für etwa 180.000 DB-Beschäftigte in rund 500 verschiedenen Berufen gelten, sie laufen bis Ende März 2025. Für rund 10.000 DB-Beschäftigte gelten bislang die Tarifverträge der GDL. Zudem hat die GDL mit 18 nicht zur DB gehörenden Eisenbahnverkehrsunternehmen mit insgesamt fast 10.000 Mitarbeitern Tarifverträge abgeschlossen.

Insgesamt hat die DB in Deutschland derzeit etwa 220.000 „Mitarbeitende“, wie die DB ihre Beschäftigten offiziell nennt. Für einen Teil von ihnen werde „in den Tarifrunden nicht verhandelt, weil sie beispielsweise von anderen Gewerkschaften vertreten werden (z.B. Schenker AG) oder als Führungskräfte oder außertarifliche Arbeitnehmende tätig sind“, erläutert die DB-Konzernführung. Und gerade die Bezahlung der DB-Führungskräfte ist ein zusätzliches Argument für EVG wie GDL, ihre relativ hohen Tarifforderungen zu begründen. Und für ein mit 30 Milliarden Euro verschuldetes und zu 100 Prozent in Bundeseigentum befindliches Unternehmen wie die DB AG sind die Vergütungen der Vorstandsmitglieder geradezu abenteuerlich.

Laut Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wurden den neun DB-Vorständen vergangenes Jahr – rückwirkend für das Jahr 2022 – Boni in Höhe von insgesamt fast fünf Millionen Euro und vier Millionen Euro Grundgehalt ausgezahlt: 1,26 Millionen Euro gingen an DB-Vorstandschef Richard Lutz – zusätzlich zu seinem Grundgehalt von fast 970.000 Euro und den 329.000 Euro für die Pensionsrückstellungen. Infrastrukturvorstand Berthold Huber erhielt je 699.000 Euro Boni und Grundgehalt sowie laut Konzernbericht 2022 Pensionsrückstellungen von 648.000 Euro. Personalvorstand Martin Seiler – der Verhandlungsgegner von EVG und GDL – konnte sich über 736.000 Euro Boni und 650.000 Euro Grundgehalt sowie 270.000 Euro Pensionsrückstellungen freuen.

Die anderen Vorstandsmitglieder sowie der im April 2022 ausgeschiedene und in die Immobilienbranche gewechselte Ronald Pofalla – einst CDU-Generalsekretär und unter Angela Merkel vier Jahre Chef des Kanzleramtes – erhielten laut Konzernbericht zwischen 419.000 und 933.000 Euro. Und all das trotz Unpünktlichkeit, Zugausfällen und unterirdischer Kundenzufriedenheit – aber dafür wurden die DB-Ziele im Bereich „Frauen in Führung“, „Mitarbeitenden-Zufriedenheit“ oder „CO₂-Einsparung“ erreicht, daher durften die irrwitzigen Boni fließen. In diesem Jahr soll die DB-Vergütung allerdings umgestellt werden: Das Fix-Gehalt soll steigen, der Boni-Anteil sinken.

Und es gibt noch weitere Unterschiede zwischen DB, EVG und GDL. Der 59jährige Franke und EVG-Chef Martin Burkert ist SPD-Genosse, und seine Gewerkschaft segelt hart im Zeitgeist: Unter dem Motto „#NieWiederIstJetzt“ beteiligte sich die EVG an den bundesweiten Anti-AfD-Kundgebungen. Zudem wird wie bei der DB („Lokführer:innen“; „Zugbegleiter:innen“) gnadenlos „gegendert“: EVG-Mitglieder sind daher „der / die klassische Eisenbahner:in“. Der 64jährige Sachse Weselsky – ein CDU-Mitglied – hält davon nichts. Die GDL ist völlig unpolitisch, verwendet aber immer eine kämpferische und klare Sprache und ist vielleicht auch deswegen so erfolgreich.