Wenn deutsche Innenpolitik in Frankreich zur Sprache kommt, dann ist das eher selten eine Angelegenheit des Rassemblement National (RN), der französischen Rechtspartei unter der Tochter des Gründers, Marine Le Pen. Die Partei, die von Kritikern bis vor wenigen Jahren noch als „Familienunternehmen“ der Le Pens bezeichnet wurde, wird von der langjährigen Front National-Vorsitzenden geprägt. Nicht erst seit den guten Umfragewerten hat sich in der Partei alles dem Erfolg an der Urne zu unterwerfen. Die „Dédiabolisation“, die Entteufelung, der Partei soll „MLP“, wie sie in Frankreich bezeichnet wird, zur höchsten Würde der Republik tragen: in den Élysée-Palast, den Amtssitz des französischen Präsidenten. Auf dem Weg dahin hat die Partei auch Federn lassen müssen, ihren eigenen Vater ließ die resolute Frau 2015 aus der Partei werfen. Zu belastet schien ihr der Algerienkriegsveteran, der robuste Haudrauf, ideologisch verbunden mit der Anfangszeit der damals noch Front National genannten Partei. Stattdessen sollte ihre Partei eine Kraft des europäischen Rechtspopulismus werden, im Verbund mit Geert Wilders, Heinz-Christian Strache und der AfD unter Frauke Petry.
Denn europäische Vernetzung ist für MLP kein Fremdwort, aufgrund des französischen Wahlsystems setzt die Partei traditionell stark auf ihre Delegation in Brüssel. Mit ihrem Co-Chef Jordan Bardella, dem jungen und dynamischen Aushängeschild der Partei, und Jean-Paul Garraud, einem ehemaligen Richter und langjährigen Vertrauten, verfügt sie auch über viel Einfluß in der Rechtsfraktion Identität und Demokratie (ID), die sich der RN mit anderen europäischen Rechtsparteien teilt.
Doch ausgerechnet aus Brüssel schien nun Unheil seinen Weg bis nach Paris zu finden. Grund war die Zusammenarbeit mit der AfD. Ob sie denn vor dem Hintergrund der jüngsten Enthüllungen von Correctiv den Verbleib in der ID-Fraktion überdenke, mußte sich MLP anläßlich einer Pressekonferenz fragen lassen. Ihre Antwort: „Bei derart großen Unterschieden“ müsse man „darüber nachdenken, ob man gemeinsam in einer Gruppe verbleiben“ könne.
Ob diese Aussage mit ihren Brüsseler Kollegen abgestimmt war, ist bislang unklar, denn dort reagierten einige bestürzt. Zitieren lassen will sich keiner, aber auf Twitter kursierte die Aussage eines Mitarbeiters der Fraktion, ob MLP „den RN denn isolieren wolle“. Doch auch in den wenige Schritte entfernten Büros der Deutschen, Flamen und der Österreicher dürften politische Seismographen einen deutlichen Erdstoß registriert haben. Schließlich hatte gerade der FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker das Wort „Remigration“ zur Parole der kommenden Zeit ausgerufen und damit seinen deutschen Kollegen von der AfD deutlich den Rücken gestärkt.
Der Vlaams Belang macht mit dem Begriff „Umvolkung“ Wahlkampf
Als völlig unverständlich bezeichnete Hafenecker die in Deutschland „herrschende und von linken Kreisen in Politik und Medien auch nach Österreich geholte Aufregung über die Teilnahme von AfD-Politikern an Gesprächen zur Asyl- und Zuwanderungspolitik“. „Daß patriotische Politiker versuchen, den Schaden zu begrenzen und wiedergutzumachen, den linke und pseudo-bürgerliche Parteien in den letzten Jahrzehnten durch eine völlig falsche Asyl- und Zuwanderungspolitik angerichtet haben, ist wahrlich kein Geheimnis, es ist im Gegenteil unsere Pflicht im Sinne der eigenen Bevölkerung“, so Hafenecker.
Auch in Flandern ist der Vlaams Belang, der ebenfalls der ID-Fraktion angehört, gerade im Vorwahlkampf fleißig dabei, mit dem Begriff der „Umvolkung“ einen ähnlich kontroversen Begriff zu etablieren. Beim tatsächlichen Adressat der Aussage, der bundesdeutschen AfD, gab man sich hingegen betont gelassen. In deutschen und französischen Medien spielten sowohl Alice Weidel als auch der Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Maximilian Krah, den Vorfall als „Mißverständnis“ herunter, das man bald aufklären werde.
Hinter den Kulissen dürfte jedoch auf allen Seiten ein deutliches Unbehagen herrschen. Denn die ID-Fraktion ist in Umfragen ein Riese, doch wenige Monate vor der Wahl geht sie durch eine schwierige Phase. Nach dem Austritt der finnischen Delegation besteht die ID nur noch aus acht Gesandtschaften – mindestens sieben sind für den Fraktionsstatus nötig. Ein Austritt der Deutschen oder Franzosen würde vielleicht weitere Austritte nach sich ziehen, ein Alptraumszenario für die Fraktionsspitze, die konsequenterweise versucht so viele interne Konflikte wie möglich zu vermeiden.
Doch hat sich neben der fragilen Situation der Fraktion noch etwas geändert im politischen Umfeld. Gerade in Ost- und Ostmitteleuropa sind neue politische Parteien entstanden, die sich große Chancen auf den Einzug in das EU-Parlament machen können.