© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

„Was da behauptet wird, ist Unsinn!“
„Correctiv“-Bericht: Alles echauffiert sich über ein vermeintliches Geheimtreffen. Ulrich Vosgerau war dabei – und widerspricht
Henning Hoffgaard

Ein angebliches „Geheimtreffen“ von Rechtsextremisten mit einigen AfD- und CDU-Mitgliedern, über das Mitte Januar das Internetportal „Correctiv“ berichtet hat (JF 4/24), sorgt noch immer für deutschlandweite Aufregung. Hunderttausende protestieren auf Großdemonstrationen „gegen Rechts“ (siehe Seite 4), die Politik, Wissenschaftler, Journalisten und der Stammtisch debattieren über Sinn und Unsinn eines Verbots der AfD. Sogar der Bundespräsident meldet sich fast täglich zu Wort. 

Einer, der an dem von „Correctiv“ belauschten Treffen im vergangenen Jahr in Potsdam teilgenommen hatte, ist der Staatsrechtler und Anwalt Ulrich Vosgerau. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT schildert er, was sich seiner Erinnerung nach dort abgespielt hat, was gesagt wurde – und was nicht – und warum er die kollektive Schnapp-atmung für unangebracht hält.

Es ist der 25. November 2023, ein grauer Herbsttag in Potsdam. Herr Dr. Vosgerau, Sie stehen morgens auf, trinken einen Kaffee, schauen in denTerminkalender und dort steht: „Geheimtreffen“ – oder wie muß ich mir das vorstellen?

Vosgerau: lacht Ich war an diesem Tag schon im Hotel und ich ging dort eben morgens zum Frühstück. Es waren einige Gäste schon dort versammelt, zumal wenn sie eine längere Anreise hatten. Es war ganz einfach die private, informelle Zusammenkunft eines Freundes- oder Bekanntenkreises.

… keine Organisation, kein Verein?

Vosgerau: Es gibt keine Rechtsform oder dergleichen. Und ich war eben eingeladen, weil mehrere dieser Unternehmer und Freiberufler, die dort versammelt waren, Mandanten von mir sind. Im übrigen war das Treffen nicht im mindesten geheim, was man daran merkt, daß nicht nur ein weiterer – von Correctiv eingeschleuster – Hotelgast da war, sondern es waren auch mehrere andere Hotelgäste vor Ort, die ganz ungehindert Kenntnis von dieser Veranstaltung nehmen konnten. Übrigens waren ja noch nicht einmal die Vorhänge geschlossen, so daß man von draußen etliche Teilnehmer fotografieren konnte – „Geheimkonferenzen“ stelle ich mir anders vor.

Die Empörung entzündet sich vor allem an einem Vortrag des Kopfs der österreichischen Identitären Bewegung, Martin Sellner. Was der dort skizziert habe, erinnere „an eine alte Idee“, behauptet Correctiv und schreibt: „1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat.“ Womöglich sei es auch Zufall, schreiben die Autoren des Berichts weiter, daß das konspirative Treffen „knapp acht Kilometer entfernt vom Haus der Wannseekonferenz“ stattgefunden habe, „auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“ Sie waren dabei. Was hat Sellner denn nun gesagt?

Vosgerau: Also so etwas hat er bestimmt nicht gesagt! Und das mit der Wannseekonferenz ist nun wirklich das Allerschlimmste. Da muß man sofort einhaken. Übrigens stößt Corrctiv an diesem Punkt inzwischen auf sehr breite Kritik auch aus dem linken Lager – und zwar völlig zu Recht! Egal wie sehr man nun Martin Sellner politisch ablehnt, ist es ein Unding, hier irgendeine gedankliche oder semantische Verbindung zu eben jener Wannseekonferenz der Nationalsozialisten herzustellen. Correctiv betreibt damit die ungeheure Verharmlosung eines historischen Verbrechens. An diesem Tag gab es verschiedene Vorträge über unterschiedliche Themen. Sellner hat den ersten gehalten. Es mag thematisch der wichtigste gewesen sein, aber es war eben nur einer von vielen. Und in diesem Vortrag wiederum war unter anderem von der Migrationsfrage die Rede.

Worum ging es denn dann in Sellners Vortrag?

Vosgerau: Nun, es ging bei seinem Vortrag nicht ausschließlich um das Migrationsthema. Es war in der Sache einfach eine Vorstellung seines jüngsten Buches. Das ist schon anderthalb Jahre alt, glaube ich. Es kann also jeder lesen. Die vielzitierte „Remigration“ spielte durchaus eine Rolle, also der Gedanke einer „Rückwanderung“ von Asylbewerbern, die Sellner dabei wohl meistens im Auge hat. Er hat dabei stets betont, daß mit diesem Begriff ausschließlich gesetzmäßige und verfassungskonforme Rückwanderungen gemeint seien. Und insbesondere, daß all dies nach Möglichkeit freiwillig erfolgen soll.

Glaubt man den in der Folge erschienenen Presseberichten, müssen sich wegen dieser Pläne Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande Sorgen machen.

Vosgerau: Keineswegs. Die Rede war in erster Linie von den abgelehnten und vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Das sollen derzeit, glaube ich, 300.000 sein. Nach meiner Erinnerung  wurden aber in Sellners Vortrag keine Zahlen genannt. Dann sprach er von Asylbewerbern, die man, den politischen Willen vorausgesetzt, im Rahmen von Recht und Gesetz ausreisepflichtig machen könnte. Schon vor dem Hintergrund, daß ja sowohl die Asylgewährung für anerkannte Asylbewerber sowie auch der subsidiäre Schutz nicht unbefristet gewährt werden; sondern eigentlich wird ja alle drei Jahre kontrolliert, ob die Voraussetzungen dafür noch erfüllt sind. Ganz klar: Wörter wie „Vertreibung“ oder „Deportation“ sind niemals gefallen, weder wörtlich noch sinngemäß.

Abgelehnte Asylbewerber will auch der Kanzler, wie er sagt, „im großen Stil“ abschieben. Der heikle Punkt bei Ihrem Treffen in Potsdam soll ja die Forderung gewesen sein, auch deutsche Staatsbürger abzuschieben. War davon im Vortrag oder in der anschließenden Diskussion tatsächlich die Rede?

Vosgerau: Um deutsche Staatsbüger ging es in etwa zwei Sätzen. Da hat er dann gesagt, daß es eben im Einzelfall durchaus bereits naturalisierte deutsche Staatsbürger gebe, die sich so verhalten, daß man sie im Grunde doch wieder loswerden will, weil man ihre Einbürgerung inzwischen bereut.

So etwas ist rechtlich möglich?

Vosgerau: Ja. Nach geltendem Recht ist die Entziehung einer Staatsbürgerschaft möglich bei schwerer Kriminalität, wenn es sich um einen Doppelstaatler handelt. Die nachträgliche Entziehung  der Staatsbürgerschaft selbst unter Inkaufnahme der Staatenlosigkeit ist möglich, wenn bei der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit betrogen oder erpreßt worden ist. Aber von solchen Fällen war gar nicht die Rede, sondern von zwei Fallgruppen, nämlich Islamisten und sogenannten Clankriminellen. Auch in diesen Fällen wollte Sellner den Betreffenden nicht die Staatsbürgerschaft entziehen, sozusagen zur Strafe für ihr Verhalten. In diesem Zusammenhang war ihm völlig klar, daß das verfassungsrechtlich nicht geht. Er plädierte aber dafür, innenpolitisch die Idee der Leitkultur zu verfolgen und Straftaten konsequent zu verfolgen, so daß entsprechende Intensivtäter oder Islamisten von sich aus überlegen würden, ob sie ihren Lebenswandel besser woanders fortsetzen oder aber in Deutschland bleiben und sich assimilieren oder jedenfalls nicht mehr kriminell verhalten wollen.

Kommen wir zu Ihrem Vortrag. Über den schreibt „Correctiv“, Sie hätten über Briefwahlen gesprochen,  über das Wahlgeheimnis, und dabei „Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten“, geäußert. „Man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen, hält Vosgerau für denkbar.“ Was haben Sie denn bloß gegen freie Wahlen?

Vosgerau: Was da behauptet wird, ist natürlich alles Unsinn! Also ich war gar nicht als Redner gebucht, sondern ich bin dann auf Bitten des Veranstalters, weil offenbar jemand ausgefallen ist, spontan eingesprungen. Mit einem Vortrag über das verfassungsrechtliche Problem der Briefwahl. Das besteht nämlich, weil im Grundgesetz die Briefwahl gar nicht vorgesehen ist. Sie ist erst später einfachgesetzlich eingeführt worden. Das verfassungsrechtliche Problem besteht darin, daß die wahlrechtlichen Grundsätze des Grundgesetzes bei der Briefwahl nicht zuverlässig eingehalten werden können beziehungsweise ihre Einhaltung in den privaten Bereich verlegt wird, wo sie nicht staatlich kontrolliert werden kann. Deswegen gibt es dazu drei wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. In der jüngsten von 2009 hatte Karlsruhe festgehalten, daß die Briefwahl deswegen niemals zum Regelfall werden darf, sondern immer eine Ausnahme bleiben müsse. Das war sie aber bei der Bundestagswahl von 2021 nicht mehr. Da hatten wir rund 50 Prozent Briefwähler. Und mit dieser Begründung sind mehrere Wahlprüfungsbeschwerden noch anhängig.

Aber warum ist das ausgerechnet ein Problem, das Frauen betrifft, deren Familie mal aus der Türkei eingewandert ist?

Vosgerau: Ich hatte in einem Nebensatz gesagt: Wenn da zum Beispiel eine junge Wählerin türkischer Herkunft zu Hause in der Küche unter der Aufsicht ihres Vaters und mehrerer Brüder ihren Wahlzettel ankreuzt, dann wäre ich nicht so sicher, ob da wirklich in allen Fällen auch faktisch derjenige Freiheitsgrad vorhanden ist, den die Verfassung aber zwingend voraussetzt. Das ist ja eigentlich ein ganz eingängiges Beispiel. Und das wurde dann von „Correctiv“ ziemlich verdreht. 

„Correctiv“ wiederum behauptet, sie hätten dies alles auf eine Anfrage der Plattform hin bestätigt. Gehen Sie nun juristisch dagegen vor? 

Vosgerau: Ja, in der Tat. Deswegen klage ich jetzt natürlich auch dagegen. Sie sind über meine Antworten völlig hinweggegangen und haben dann aber zu allem Überfluß auch noch gesagt, ich hätte ihre Darstellungen bestätigt, was nicht stimmt. Das Gegenteil ist der Fall! Und deswegen sehe ich hier eigentlich vor Gericht gute Chancen.






Das gesamte Interview sehen Sie unter:  jf.de/tv

Dr. habil. Ulrich Vosgerau wurde 1974 geboren und ist Privatdozent. Er lehrte Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an mehreren Universitäten. Als Verfahrensbevollmächtigter hat er die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten, unter anderem bei ihrer Klage gegen den Ausschluß der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.