Kürzlich ist der frühere Bundestagsabgeordnete Helmut Sauer gestorben. Der Christdemokrat war 1972 mit gerade mal 26 Jahren als jüngstes Mitglied ins Bonner Parlament eingezogen, zur selben Zeit wie der jüngst ebenfalls verstorbene Wolfgang Schäuble. So prominent wie der spätere Mehrfachminister wurde sein Parteifreund Sauer jedoch nie. Bis 1994 vertrat er den Wahlkreis Salzgitter; überregional bekannt ist er wohl nur im Kreis der Heimatvertriebenen, denn der 1945 im schlesischen Quickendorf Geborene und als Kleinkind mit seiner Familie im Viehwaggon nach Westen Deportierte war jahrzehntelang Vorstandsmitglied in verschiedenen Vertriebenenverbänden. Da pflegte er beste Beziehungen zur Polit-Prominenz, ob Helmut Kohl, Angela Merkel oder auch Sigmar Gabriel; er war ein Netzwerker, bevor dieser Begriff in Mode kam.
Weitgehend vergessen ist, daß Sauer vor fast 50 Jahren in Bonn einmal im Zentrum eines heftigen geschichtspolitischen Eklats stand, der seinerzeit für ordentlich Furore in den Medien sorgte – und für eine anhaltende Eiszeit zwischen regierenden Sozialdemokraten und oppositioneller Union. Anfang Februar 1977 debattierte der Bundestag leidenschaftlich über eine Affäre. Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) hatte zwei ranghohe Luftwaffen-Generale in den Ruhestand versetzt. Hintergrund war die Teilnahme des höchstdekorierten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs und ehemaligen „Stuka“-Flieger-Asses Hans-Ulrich Rudel an einem Traditionstreffen des Geschwaders „Immelmann“.
Für Lebers Genossen vom linken Flügel ein Skandal. Für die Union eine aufgebauschte Sache. Das Treffen sei „harmlos unpolitisch“ gewesen, Rudel habe „untadelig gekämpft“ und man müsse unterscheiden zwischen „militärischer Tapferkeit“ und der „übrigen Persönlichkeit“, meinte Manfred Wörner, später CDU-Verteidigungsminister. Weil aber die Generäle in vertraulicher Runde gemeint hatten, man müsse Rudel genauso das Recht auf politische Läuterung zugestehen wie dem Ex-Kommunisten und SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, schmiß Leber sie raus.
Als sich der Minister im Bundestag dafür vor der schäumenden Union („Wer Kritik an der SPD mit Kritik am Staat gleichsetzt, offenbart mangelndes Demokratieverständnis“) rechtfertigen mußte, stellte Leber die rhetorische Frage, „woran denn wohl die erste Demokratie von Weimar untergegangen ist“. Zwischenruf Helmut Sauer: „An Wehner!“
Das Protokoll verzeichnete „lebhafte Oho- und Pfui-Rufe der SPD“. Der junge CDU-Mann erhielt einen Ordnungsruf; und erklärte später, er habe „auch an Wehner!“ gesagt. Als 1945 Geborener wisse er „nur, daß Kommunisten und Nationalsozialisten am Untergang der Weimarer Republik schuld sind“. Zum Beleg fügte er Wehner-Zitate („alle Kräfte gilt es zu sammeln gegen die Republik“) von 1926 an. Aus der FDP kam die Mahnung, Sauer solle keine „neuen Gräben“ aufreißen. Das habe nicht der junge Abgeordnete getan, sondern SPD-Minister Leber, entgegnete ein Mitglied des CDU-Fraktionsvorstands empört. Sein Name: Richard von Weizsäcker.