© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/24 / 26. Januar 2024

Mahlzeit am Sternenhimmel
Früher oft verpönt und unterschätzt, bringt die deutsche Küche heute Schwung in die Gastro-Welt
Gil Barkei

Lange galt und für viele gilt immer noch, die deutsche Küche sei uninspiriert, langweilig und einfach zu deftig. Viel Fett, viel Fleisch, wenig Finesse, dafür um so schwerer auf dem Teller und im Magen. Hausmannskost mit leckeren und vielleicht sogar international bekannten Klassikern für den Normalo, ja, aber eben nichts für Spitzenköche und -gaumen, und schon gar nichts im Vergleich zur globalen Konkurrenz aus Frankreich oder Italien. 

Doch weit gefehlt. Deutsche Küche ist in, erobert die neue „Haute Cuisine“ auf Sterneniveau und erfreut sich weltweit großer Beliebtheit jenseits von Currywurst und Schnitzel. Eine neue Generation Köche gibt dem angeblich altbackenen Wirtshausschick neuen Glanz, ohne dabei mit dem Erbe von Oma und Uroma zu brechen. Im Gegenteil: Alte Rezepte werden wiederaufgelegt und erweitert – oft waren die Köstlichkeiten eigentlich nie weg, sondern mußten lediglich mit neuer Aufmachung und Darstellung einer nachwachsenden Generation Esser angepriesen werden.

Wenn beispielsweise Berliner Hipster zum Forsthaus Strelitz in Mecklenburg-Vorpommern  – einst eine Art Truckerbude – pilgern, um auf der Speisekarte einfach nur simpel notierte „Karotten“ aus dem heimischen Garten und „Schwein“ aus dem eigenen Stall zu verputzen, realisieren die wenigsten, daß es sich dabei um deutsche Küche handelt. Im Windschatten des Regional-Trends, des Drangs nach Nachhaltigkeit und der Konzentration auf die Produkte, ist die einheimische Küche aufgeblüht, ohne überall das Etikett „typisch deutsch“ draufzustempeln.

Ausgerechnet eine linksliberale Szene fördert die „Heimatküche“

Altdeutsch ist allerdings der Name „Tisk“ („Tisch“). Die selbsternannte „Speisekneipe“ bietet mitten in Berlin-Neukölln gehobene Küche mit Produkten vom eigenen Bauernhof in Brandenburg – empfohlen vom Guide Michelin. 

Überhaupt finden sich in der Feinschmeckerbibel zahlreiche ausgezeichnete Restaurants, die auf deutsche Küche setzen, moderne Interpretation trifft rustikale Tradition. Im „Jäger & Lustig“ gibt es „Heimatküche“ mit ganzen Gänsen im Biergarten, im „Biberbau“ Kartoffelschaum mit Räucheraal und im „Wilhelm“ Coq au Vin neben Königberger Klopsen. Schon der Berliner Zwei-Sterne-Koch Tim Raue, der asiatische und deutsche Einflüsse miteinander verbindet, servierte bei einem Staatsdiner die ostpreußische Spezialität. 

Das ebenfalls mit zwei Sternen ausgezeichnete „Horváth“ in Kreuzberg belebt dagegen die Habsburger Küche, wobei Chef Sebastian Frank ganz unverkrampft und unverfänglich mit Stolz von „den Geschmacksbildern seiner österreichischen Heimat“ und vom „kulinarischen Reichtum“ der pannonischen Tiefebene spricht. Längst geben auch eher linke Stadtportale wie „Mit Vergnügen“ Tips für „Läden, in denen ihr neue deutsche Küche bekommt“.

In der politischen Hauptstadt hat sich so ein betont lockerer Gegenpol zur kulinarischen Hauptstadt Baiersbronn gebildet. Gleich zwei Drei-Sterne-Restaurants, eine Zwei-Sterne-Gastronomie und vier Ein-Stern-Restaurants hat das 15.000 Einwohner zählende Städtchen im Schwarzwald zu bieten, die mehrheitlich auf klassisch französische Küche setzen. Daß ausgerechnet die von rechts viel gescholtene linksliberale Berliner Avantgarde die deutsche Küche selbstbewußt gegenüber frankophilen Urgesteinen mit nach vorne bringt, ist ein amüsantes Bonmot des heutigen Zeitgeists. Zumal einige Gastronomen wie die Betreiber des „Nobelhart & Schmutzig“ keinen Hehl aus ihrer gesellschaftspolitischen Positionierung machen und ehrlich sagen, daß sie keine AfD-Politiker und -Anhänger in ihrem Laden haben möchten. 

In einem skurrilen Kontrast dazu wimmelt es im Fine-Dining-Bereich an der Spree vor plakativ deutschen Namen: „Ernst“, „Otto“, „Rutz“. Aber am besten schmeckt es doch eigentlich, wenn zumindest am Tisch einfach mal alle die Politik kurz ruhen lassen.