© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/24 / 26. Januar 2024

Ungesunde Tradition
Weniger Fleischverzehr und große Klimaziele: Ampelregierung beschließt ihre Ernährungsstrategie für Deutschland bis 2050
Jörg Fischer

Das Ampel-Kabinett hat vorige Woche ihre Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ beschlossen. Darin seien ressortübergreifend 90 kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen der Bundesregierung „mit einem Zielhorizont bis 2050“ gebündelt, die dazu beitragen sollen, die „nationalen und internationalen Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsziele“ zu erreichen. Zudem leiste die Ernährungsstrategie einen „Beitrag zur Farm-to-Fork-Strategie“ der EU-Kommission und zum „Folgeprozeß des UN Food Systems Summit“.

Was das ist, wird nicht erläutert, aber all das klingt nach dem „vormundschaftlichen Staat“ (Rolf Henrich), der nicht nur das regeln will, was gesagt wird und das, was gedacht werden soll, sondern nun auch was auf den Teller kommen darf. Bislang bestimmten das die eigenen Beete im Garten, das Warenangebot der Lebensmittelhändler, der persönliche Geschmack und der Geldbeutel – und künftig die Politik? Nein, beteuert Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, es sei nicht „Ziel, den Leuten vorzuschreiben, was sie essen sollen“. 

Tierische Lebensmittel haben einen „großen ökologischen Fußabdruck“

Es gehe nur darum, „dafür zu sorgen, daß es für alle Menschen in Deutschland möglich ist, sich gut und gesund zu ernähren“. Essen stifte „Identität, es ist Genuß und Tradition. Und wie wir uns ernähren, hat entscheidenden Einfluß auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden“. Die Ernährungsstrategie schaffe nur „Angebote“, entscheiden müsse „jeder selbst, da hat niemand jemandem etwas vorzuschreiben“. Aber kann man einem überzeugten Vegetarier, der schon mit 16 den Grünen beitrat, diesbezüglich glauben? Denn in dem 73seitigem Papier geht es vor allem um die radikale Reduzierung des Fleisch-, Käse- und Milchkonsums. Im Mittelpunkt steht neben der Volksgesundheit auch die „ökologische Dimension“, denn „wie unsere Lebensmittel produziert, verarbeitet und konsumiert werden, wirkt sich auf unsere Umwelt aus“. Das „globale Ernährungssystem“ sei „mitverursachend“ für Artensterben und Landnutzungsänderung sowie laut Weltklimarat „für 21 bis 37 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich“. Aber wie sollen 8,1 Milliarden Menschen ansonsten ernährt werden?

Auf Seite sechs wird aber ein anderer Schuldiger genannt: „Einen besonders großen ökologischen Fußabdruck haben tierische Lebensmittel. Ihre Erzeugung geht mit einem hohen Einsatz endlicher Ressourcen wie Wasser, fruchtbarer Böden, Phosphor und fossiler Energien einher.“ Sprich: Butter, Frikadellen (oder Fleischküchle wie der sympathisch schwäbelnde Özdemir sagen würde), Wurst, Camembert und Tilsiter, Joghurt und Quark bringen uns „an planetare Belastungsgrenzen“. 80 Prozent der weltweiten Agrarflächen würden „für die Produktion tierischer Lebensmittel genutzt“. Daß die „67 Prozent Gras- und Weideland“ oft gar nicht für den Ackerbau oder Wald geeignet sind – das verschweigt die Ernährungsstrategie der Ampel.

Daher wäre es nur folgerichtig, „den Leuten vorzuschreiben, was sie essen sollen“. Schließlich ist eine „pflanzenbetonte Ernährung“ ein „wichtiger Aspekt für die Transformation zu einem ressourcen- und klimaschonenden sowie nachhaltigen Wirtschaften“. Diesen grundlegenden Wechsel verlangt auch der „Green Deal“, das Klimapaket „Fit for 55“ und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork) der EU-Kommission. Dazu müsse unter anderem der „übermäßige Verzehr von Fleisch“ einschränkt werden, wie das EU-Parlament am 20. Oktober 2021 mit 452 zu 170 Stimmen bei 76 Enthaltungen beschlossen hat. „Wir wollen unseren Lebensmittelbereich so gestalten, daß er für die Erde wieder tragbar wird“, so die niederländische EU-Abgeordnete und Ex-Grüne Anja Hazekamp von der Partei für die Tiere (PvdD).

Ersatzprodukte für Meeresfrüchte, Fisch, Käse und Säuglingsnahrung

Immerhin verteufelt die deutsche Ernährungsstrategie nicht den Fischverzehr – im Gegenteil: Der liege aktuell unter den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der EAT-Lancet-Kommission, einer Wissenschaftlervereinigung, die mit Philanthropengeld gesponsert wird. Die DGE empfehle sogar „den wöchentlichen Verzehr von ein bis zwei Portionen Fisch aus nachhaltiger Fischerei oder Aquakultur“. Weniger lecker klingt, was auf Seite 67 unter dem Stichwort „Forschungsschwerpunkt: Proteinstrategie“ steht: Innovative Proteinquellen und Alternativprodukte „können eine gesunde und nachhaltige, pflanzenbetonte Ernährungsweise erleichtern“.

So arbeitete das Freisinger Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in seinem EU-Projekt „Smart Protein“ an der Erschließung nachhaltiger Proteinquellen aus Pilzen oder „Neben- und Restströmen der Lebensmittelindustrie“, um so künftig Ersatzprodukte für Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Käse, Säuglingsnahrung und Milchprodukte herzustellen. Wer kein Veganer werden will, der sollte sich an die Mitteilung der Bundesregierung vom 8. Februar 2023 erinnern: „In der EU wurde im Januar 2023 ein weiteres Insekt als neuartiges Lebensmittel zugelassen.“ Seither könne der Buffalowurm (Getreideschimmelkäfer/Alphitobius diaperinus) gefroren, pastenartig, getrocknet oder pulverisiert „unter anderem Brot, Nudeln oder Chips“ zugesetzt werden – allerdings „nicht ohne entsprechende Kennzeichnung“. Mehlkäfer, Wanderheuschrecke und Hausgrille wurden schon zwischen Juni 2021 und Februar 2022 zugelassen.

Kabinettsbeschluß „Gutes Essen für Deutschland – Ernährungsstrategie der Bundesregierung“:

 www.bmel.de





Die neun Ideen des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“

Der im Mai 2023 von SPD, Grünen, FDP und Linken beschlossene Bürgerrat zur „Ernährung im Wandel“ konnte sich nicht auf eine Fleisch- und Milchverteufelung verständigen – trotz Beeinflussung durch einschlägige „Experten“. Die 160 ausgelosten Teilnehmer aus dem Volk formulierten hingegen „neun Ideen für gesunde Ernährung“, die teilweise vernünftig klingen. So soll bundesweit an allen Kindergärten und Schulen ein kostenfreies Mittagessen angeboten werden. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen solle der Zugang zu gesunder Ernährung sichergestellt werden. Noch genießbare Lebensmittel sollten vom Handel nicht mehr weggeworfen, sondern obligatorisch an gemeinnützige Organisationen weitergegeben werden. Auf frisches und tiefgefrorenes Biogemüse und -obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide sowie Mineralwasser soll keine Mehrwertsteuer mehr fällig werden. Fragwürdig ist hingegen die Anhebung der Mehrwertsteuer auf Zucker von 7 auf 19 Prozent, die Verbrauchsabgabe auf tierische Produkte und die teure Label-Bürokratie. (fis)


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