Die psychische Beeinflussung der Gedanken und Gefühle von Menschen durch Manipulationstechniken erleben wir seit über hundert Jahren. Die Werbeindustrie versucht unsere Emotionen anzusprechen, damit wir uns jung, schön, attraktiv fühlen, wenn wir ein bestimmtes Produkt erwerben. Manipulation von Gefühlen ist zudem bereits durch die Kriegspropaganda des Ersten und Zweiten Weltkriegs bestens bekannt. US-Präsident Woodrow Wilson konnte mittels einer Imagekampagne die Vereinigten Staaten 1917 in den Krieg führen. Dennoch funktionieren die Mechanismen immer wieder so einfach, weil in der Breite der Bevölkerung ein kritisches Bewußtsein dazu fehlt.
Der 1985 geborene Amerikanist Jonas Tögel möchte dieses Bewußtsein erzeugen, wenngleich er so realistisch ist, einzugestehen, daß wir alle Manipulationen erliegen. Die problematische aktuelle Entwicklung ist für ihn die Forschung von Militärs und Regierungen an Waffen, die direkt das Verhalten von Feind und Freund lenken sollen. Vor allem die Nato ist bei solchen Forschungen führend.
Da sich die menschliche Psyche mit ihren Grundbedürfnissen seit vielen Jahrtausenden nicht grundlegend geändert hat, werden menschliche Schwächen analysiert und ausgenutzt. Tögel nennt einige Techniken, darunter das alte Belohnungs-Bestrafungs-System oder die Konditionierung durch die ständige Wiederholung bestimmter Botschaften. Auch wenn er dies nicht explizit erwähnt: Wer erinnert sich nicht an die täglichen negativen Medienberichte über den damaligen US-Präsidenten Trump auf Portalen wie t-online oder web.de? Tögel verortet die Erfindung der „Faktenchecker“ beim PR-Profi Ivy Lee, deren Aufgabe es war, streikende Arbeiter von der Philanthropie des Unternehmers John D. Rockefeller zu überzeugen. Und bereits nach dem Kennedy-Attentat 1963 wurde von der CIA massiv gegen „Verschwörungstheoretiker“ agitiert.
Die Medienrevolution des Internet liefert viele Freiheiten, aber auch Gefahren. So geben die Bürger mit jedem Mausklick freiwillig Informationen über sich und ihre Schwachpunkte preis. Google, Netflix oder Uber sammeln und analysieren detaillierte Daten zum Nutzerverhalten, um ein psychologisches Profil zu erstellen. Ein Algorithmus könne so anhand von nur zehn Facebook-Likes eine Person besser einschätzen als ein normaler Arbeitskollege. „Mit 70 Likes kennt das Modell die Person besser als Freunde, mit 150 Linkes besser als die Eltern“, schreibt Tögel. Da sind für das Militär entwickelte Gen-Waffen oder „transhumane“ Computer-Chips im eigenen Körper nur ein weiterer Schritt zur Datensammlung und Nutzung, beispielsweise um politische Passivität bei einer feindlichen oder der eigenen Bevölkerung zu fördern.
Jonas Tögel: Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffen-gattung der Nato. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023, broschiert, 252 Seiten, 24 Euro