Diejenigen Jahrgänge, die in den 1980er Jahren ihre Kindheit und Jugendzeit verbrachten, stehen längst in der Lebensmitte. Manche von ihnen werden beim Gang durch die Ausstellungshalle an die damalige Zeit zurückdenken – wie wehmütig oder frohgemut auch immer. Was waren die „80er“? Eine Ausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe nähert sich dieser Dekade vor allem auf medialen und populären Wegen. Vornehmlich der Alltag der damaligen Zeitgenossen wird in den Blick genommen. So ergibt sich ein vielfältiges Mosaik aus bunten, spannungsreichen und widersprüchlichen Bestandteilen.
Die bewegten siebziger Jahre, in denen die sich aus den Umbrüchen von 1968 speisende Reformeuphorie überall zu bemerken war, gingen zu Ende. Danach waren politisch und kulturell Tendenzen zu spüren, die (in der damaligen Bundesrepublik) wieder stärker auf Maß, Ausgleich und Kontinuität setzten. Nach dem Regierungswechsel von 1982/83 war schnell zu erkennen, daß viele Neuerungen der sozialliberalen Koalition nicht rückgängig gemacht werden konnten. Sie hatten doch einem breiteren (nicht zuletzt modernitäts- und generationenbedingten) Konsens entsprochen, als es die ideologischen Grabenkämpfe hätten vermuten lassen.
Wertewandel der Jüngeren in beiden deutschen Staaten
Zum vielleicht markantesten Unterschied im Vergleich zur unmittelbaren Gegenwart gehört die seinerzeitige Realität der deutschen Teilung. Sie brachte auch mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerbau verschiedene Lebens- und Alltagswelten hervor. Dies schlug sich besonders in der weitaus besseren Versorgung mit Konsumgütern im Westen Deutschlands nieder, die vor allem der marktwirtschaftlichen Ordnung zu verdanken war. Hatten in den 1980er Jahren 90 Prozent aller Privathaushalte der Bundesrepublik einen Telefonanschluß besessen, so waren es auf der anderen Seite der Mauer nur zehn Prozent. In beiden deutschen Staaten zeigte sich ein steigendes Unbehagen an Umweltzerstörung und Hochrüstung, einschließlich der Konsequenzen der Atomkraft. Der Wertewandel, der in beiden Gesellschaftssystemen zu beobachten war, betraf vor allem die jüngere Generation und ihre Freizeitgestaltung. Als Ausdruck der Friedenssehnsucht können auch die zahllosen Buttons und Plakate gelten, die in der Ausstellung zu diesem Thema (neben audiovisuellem Material und Schriften) zu sehen sind. Eine langsam entstehende Jugendszene stieß sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik auf anfängliche Skepsis der Älteren.
Eine besondere Rolle in der Weltpolitik spielte die „Frontstadt“ Berlin. Dort schien die Epoche des Kalten Krieges eingefroren. Die Streitkräfte standen sich bis an die Zähne bewaffnet an der Nahtstelle der verfeindeten Blöcke gegenüber. Eine Überwindung der Teilung, die sich seit dem Mauerbau verfestigt hatte, schien in weite Ferne gerückt.
Auch in geistes- und kulturgeschichtlicher Hinsicht kamen Veränderungen zum Vorschein. Die großen Erzählungen, von denen vornehmlich der (Neo-)Marxismus in „Deutschlands rotem Jahrzehnt“ (Gerd Koenen) sein Haupt erhoben hatte, wichen langsam linkem Reformpragmatismus und der Glorifizierung der Vielfalt. Vertreter der sogenannten Postmoderne, in der Philosophie etwa Jean-François Lyotard, monierten, daß die Moderne ihren Anspruch auf Schaffung von Pluralität nicht eingelöst habe, ihre Repräsentanten vielmehr in aller Regel monologische Narrationen bevorzugt hätten. Nicht zuletzt auf dem Feld der Kunst versuchten herausragende Architekten wie James Stirling, eklektizistische Stilarten mit Anreicherungen aus der Baugeschichte zu etablieren.
Auch die politische Dimension der Kunst wird thematisiert. Provokation darf nicht fehlen. Über mangelnde Beachtung konnte sich Georg Baselitz nicht beklagen, als er eine Holzskulptur geschaffen hatte, deren rechter Arm verdächtig stramm nach oben gerichtet ist. In der DDR trat der subversive Aspekt der Kunst noch stärker hervor als beim westlichen Nachbarn, der die Kunstfreiheit nicht nur auf dem Papier gewährte. Daß eben dies bei besonders kritischen Vertretern der Künstlerzunft bestritten wurde, verwundert kaum.
Und schließlich geht die Ausstellung auch auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ein. Wenig erstaunt, daß Wandlungen in diesem Bereich langsam zur Normalität wurden. Die Wahlfreiheiten insbesondere für Frauen vergrößerten sich; komplementär dazu verringerten sich Sicherheiten, die traditionell Ehe und Familie geboten hatten. Zu den Konsequenzen gewandelter Lebensstile zählt eine verringerte Rate an Geburten. Demographische Probleme rückten erstmals in den Fokus öffentlicher Debatten.
Artefakte aus allen Bereichen des Alltags dürften bei nicht wenigen Interessenten ein Déjà-vu-Erlebnis hervorrufen. So kommt zum Vorschein, wie bunt und vielfältig diese Dekade gewesen ist: egal, ob es sich um das Titelbild der Titanic handelt, auf dem sich die beiden mächtigsten Männer der UdSSR und der DDR küssen, um damals modische Rollschuhe, das handelsübliche Computermodell, den Stereo-Turm oder einen Game Boy im Frühstadium seiner Entwicklung, die repräsentative Ausstattung eines Kinderzimmers – alles Teil einer Welt, die gleichzeitig fern wie nah ist. Am Ende der Ausstellung wird der Besucher angesprochen. Er soll notieren, was für ihn die 1980er Jahren sind beziehungsweise waren. Diese Form der Kommunikation ist für Retrofans authentischer als die heute gleichfalls vorhandene Möglichkeit, Erinnerungen über den Hashtag #meine80er zu teilen. In beiden Fällen war eine Antwort häufig zu vernehmen: Die 80er waren Kult!
Die Ausstellung „Die 80er – Sie sind wieder da“ ist bis zum 25. Februar 2024 im Badischen Landesmuseum im Schloß Karlsruhe täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Fr.-So. bis 18 Uhr, zu sehen.