© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/24 / 26. Januar 2024

„Ideologiegetriebene Steuererhöhungen“
Grüne Woche: Die Leistungsschau der Agrarbranche war nur am Rande ein Protestforum / Kritik an ukrainischen Importen
Paul Leonhard

Anders als die Münchner Automesse IAA Mobility wurde die Grüne Woche in Berlin nicht von radikalen Klimapanikern blockiert oder attackiert. Die weltgrößte Messe der Agrar- und Ernährungswirtschaft – 1.400 Aussteller aus 42 Ländern, erwartete Besucherzahl mehr als 300.000 –, die derzeit zum 88. Mal stattfindet, wird aber auch in diesem Jahr von diversen Kundgebungen begleitet. Und wie in den vergangenen Wochen sind es erneut Landwirte, die vor dem Messegelände ihre Meinung kundtun.

Aber der Deutsche Bauernverband (DBV) ist diesmal nicht dabei, ist er doch zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) der „ideelle Träger“ der Grünen Woche. DBV-Präsident Joachim Rukwied mußte mit dem grünen Agrarminister Cem Özdemir die Leistungsschau eröffnen – trotz der DBV-Drohung: „Wenn die Bundesregierung die Steuererhöhung beim Agrardiesel nicht zurücknimmt, sind die Trecker wieder auf der Straße.“ Und das wird auch so kommen, denn der Haushaltsausschuß des Bundestags hat beschlossen, daß die geplante Diesel-Steuer­erhöhung nicht wieder zurückgenommen wird.

Die Freien Bauern müssen keine politische Rücksichten nehmen, doch die Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe brachte allein am 19. Januar nicht so viele Trecker auf die Berliner Straßen wie zuvor gemeinsam mit dem DBV und der Bewegung Land schafft Verbindung (LsV). Auch das Demonstrationsmotto „Treckerrundfahrt mit Stulle statt Messerundgang mit Häppchen“ paßt dem DBV nicht ins Konzept. Und die „ideologiegetriebenen Steuererhöhungen“ sind für die Freien Bauern nicht der einzige Protestgrund. Marco Hintze, Vize-Bundessprecher der Freien Bauern machte vor der Messehalle eine klare Ansage an die Ampel-Koalition: „Wir räumen nicht das Feld!“ Er verlangte eine „Kartellrechtsreform und Entflechtungsanordnungen gegen Edeka, Aldi, Lidl, Rewe, DMK und Tönnies, Verordnungen über eine Vertragspflicht mit konkret bezifferten Mengen und Preisen für Milch und Vieh sowie eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für alle Lebensmittel“, so der 51jährige Rindermäster aus Brandenburg. Letzteres dürfte bei einigen BVE-Mitgliedsfirmen nicht gut ankommen. Außerdem fordern die Freien Bauern eine Aufhebung der zollfreien Einfuhr von ukrainischem Getreide und den Abbruch der EU-Freihandelsverhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Diese Länder sind aber ohnehin nicht auf der Grünen Woche vertreten.

Richtige Antwort auf Klimakrise, Artensterben und Welthunger?

Regierungsfreundlicher ging es bei der Demo „Wir haben es satt!“ am 20. Januar zu. Denn zu diesem Bündnis gehört nicht nur die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, Demeter oder der Deutsche Berufs- und Erwerbsimker-Bund an, sondern grüne Vorfeldorganisationen wie der BUND, Campact, die Deutsche Umwelthilfe, Fridays for Future, Germanwatch, Greenpeace, der Naturschutzbund oder die gGmbH Yeşil Çember (Grüner Kreis). Hier gab es auch Traktoren, aber keine Banner mit Aufschriften wie „Ohne Landwirtschaft wärst du hungrig, nackt und nüchtern“.

Hier wurde im Prinzip vieles gefordert, was die Grünen in der Ampel bislang nicht durchsetzen konnten: eine „ökologischere Landwirtschaft“ als „richtige Antwort auf Klimakrise, Artensterben und Hunger in der Welt“. Die Bündnissprecherin Inka Lange ist auch keine Bäuerin, sondern Referentin bei der NGO „Gemeinsam für Afrika“, wo sich die Kulturwissenschaftlerin unter anderem um „koloniale Vergangenheit und Gegenwart, (Anti-)Rassismus und White Saviorism“ kümmert. Daher ist bei „Wir haben es satt!“ auch von „Verbraucher*innen und Landwirt*innen“ oder zu niedrigen „Erzeuger*innenpreisen“, vom „Umbau der Tierhaltung durch eine Tierwohlabgabe“ oder „Ackerland in Bäuer*innenhand“ die Rede.

Cem Özdemir wurde von den grün-woken Berufsdemonstranten auch nicht ausgepfiffen. Der von Inka Lange überreichte Forderungskatalog passe „im wesentlichen zum Programm meines Ministeriums“, was nicht auf allen Bauernkundgebungen so sei. „Zur Wahrheit gehört aber auch: die bei den anderen Protesten sind deutlich mehr“, so Özdemir süffisant. Und auf eine anderswo sicher inkriminierte Aussage im Sechs-Punkte-Programm von Januar 2023, die bis auf den Genderstern auch aus der Feder des heutigen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stammen könnte, ging Özdemir wohlweislich nicht ein: „Wir erleben, wie Konzerne, Aktienfonds und Milliardär*innen immer wieder Krisen nutzen, um ihre Vermögen zu vergrößern.“


Die „Grüne Woche“ läuft noch bis 28. Januar:

 gruenewoche.de