Wenn es um Israel geht, gibt es aus dem Bundestag Solidaritätsbeteuerungen in Serie. Die Sicherheit Israels sei Staatsräson, ließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst erneut verlauten. An der Pforte des Bundestages wurde dies jedoch kürzlich auf die Probe gestellt, als Angehörige der von der Terrororganisation Hamas entführten Geiseln den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz in dessen Büro besuchen wollten. Die Pförtner verweigerten den Besuchern zunächst den Zutritt, weil sie T-Shirts mit Fotos von Geiseln und der Aufschrift „Bring them home“ trugen.
Formal handelte das Personal korrekt. In den Gebäuden des Bundestages ist das Zeigen politischer Botschaften grundsätzlich nicht gestattet. Dennoch war es im Plenum schon mehrfach dazu gekommen. Beispielsweise hatten Abgeordnete der Grünen T-Shirts mit der Forderung „#free Deniz“ für die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel getragen. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte die Abgeordneten auf, den Plenarsaal umgehend zu verlassen. Das Verbot, Kleidung mit Botschaften zu tragen oder Plakate mitzubringen, gilt auch für Besucher. Da Abtreibungsbefürworter auf der Zuschauertribüne bei einer Anhörung T-Shirts mit entsprechenden Slogans trugen, mußten sie sogar 150 Euro Bußgeld zahlen. Die Bundestagsverwaltung kann bei Verstößen gegen die Hausordnung Bußgelder bis zu 5.000 Euro verhängen. Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse mußte sein Sakko zuknöpfen, weil er darunter ein Hemd mit „Querdenker“-Aufschrift trug.
Im Reichstagsgebäude kam es bereits mehrfach zu Protestaktionen. Obwohl auch Besucher der Kuppel, wo sich die Touristen tummeln, scharf kontrolliert werden, gelang es Anhängern von Greenpeace, ein großes Plakat mit der Forderung nach einem sofortigen Kohleausstieg zu entrollen. Seitdem wurden die Kontrollen erheblich verschärft. Es kam nämlich der Verdacht auf, daß die Demonstranten Helfer im Bundestag hatten, zumal sich Abgeordnete und Mitarbeiter keinen Taschenkontrollen unterziehen müssen.
Die Besucher aus Israel wurden erst nach einer halben Stunde Wartezeit vorgelassen, nachdem sie ihre T-Shirts ausgezogen oder umgedreht hatten. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), bezeichnete den Vorgang als „erniedrigend für die Angehörigen der israelischen Geiseln“. Der Vorgang ist zugleich eine Blamage für den Politikbetrieb. Das offenbar informierte Büro von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) war nicht in der Lage, eine Lösung zu finden; und offenbar auch keiner der Vizepräsidenten, die Bas bei ihrer Abwesenheit vertreten. Auch aus dem Büro von Merz sind keine Aktivitäten bekannt, sich um eine Weisung von Präsidium oder Verwaltung an das überforderte Wachpersonal bemüht zu haben. Der Vorsitzende der Unionsfraktion hatte für die Besucher nur noch fünf der vorgesehenen 30 Minuten Zeit. Das reichte gerade mal für ein Erinnerungsfoto. Staatsräson sieht anders aus.