© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/24 / 26. Januar 2024

Noch weniger Hürden
Staatsangehörigkeit: Mehr Einwanderer können künftig einen deutschen Paß bekommen
Jörg Kürschner

Remigration, Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Staatsbürgerschaftsreform – das sind die Chiffren einer zunehmenden Polarisierung der Politik, die jetzt im Bundestag mit der Ampel-Mehrheit schnellere Einbürgerungen beschlossen hat. Dieses „zentrale Vorhaben“ der Koalition wird Deutschland verändern.

Denn nach Inkrafttreten des Gesetzes voraussichtlich im Frühjahr können Ausländer eingebürgert werden, wenn sie fünf Jahre in Deutschland leben. Bisher beträgt die Frist acht Jahre. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ kann man bereits nach drei Jahren eingebürgert werden, etwa wenn sich jemand ehrenamtlich engagiert oder besonders gute schulische oder berufliche Leistungen (Niveau C 1) vorweisen kann. 

Zudem soll Mehrstaatlichkeit künftig akzeptiert werden, das heißt, die Einbürgerung bedeutet nicht mehr die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft. Bisher galt dies nur für einen bestimmten Personenkreis, etwa EU-Bürger.  Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einer „Modernisierung der Gesellschaft“ und verwies auf eine Facharbeiterlücke. Die Opposition kritisierte das „Staatsangehörigkeitsentwertungsgesetz“ (CDU/CSU) bzw. ein „Verramschen der Staatsbürgerschaft (AfD). Der von der AfD benannte Sachverständige Ulrich Vosgerau wies in einer Anhörung des Bundestagsinnenausschusses darauf hin, daß jemand mit deutscher Staatsbürgerschaft nicht mehr abgeschoben werden könne. Das sei schon jetzt mit Blick auf die Aktivitäten des Remmo-Clans, die Silvester-Straftaten junger Männer mit Migrationshintergrund und die antisemitischen Demonstrationen ein Problem.

Die Reform erstreckt sich auch auf in Deutschland geborene Kinder. Sie erhalten automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. In den Reihen der Union wird vermutet, die Ampel-Parteien spekulierten auf zusätzliche Wähler aus den Reihen der Eingebürgerten.

Die deutsche Staatsbürgerschaft setzt voraus, daß der Bewerber seinen Lebensunterhalt eigenständig und damit ohne den Bezug von Sozialleistungen sichern kann. Bislang konnte auch der Sozialhilfe-bezieher eingebürgert werden, wenn er die Inanspruchnahme der Leistung nicht zu vertreten hatte. Die Grünen hatten Front gegen diese Verschärfung gemacht, beugten sich aber der Koalitionsräson. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ist umstritten. Bestimmte Personengruppen wie Frauen und behinderte Menschen würden diskriminiert, heißt es. Doch ist eine Härtefallregelung vorgesehen, die sogenannte Ermessenseinbürgerung. 

Wer durchfällt, kann den Test wiederholen

Wer deutscher Staatsbürger werden will, muß über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen (Niveau B 1). Das bedeutet, daß der Bewerber die wesentlichen Punkte eines Gesprächs versteht und auch in der Lage ist, kurze zusammenhängende Texte zu schreiben und zu verstehen. Auch hier gibt es Ausnahmen. Bei der sogenannten Gastarbeitergeneration, also bei Menschen, die zwischen 1955 und 1973 im Rahmen von Anwerbeabkommen oft aus Italien in die Bundesrepublik kamen, reicht es, wenn sie sich „ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben“ auf deutsch verständigen können. Diese Erleichterung wird mit einer späten „Geste des Danks“ begründet. Auch ein Einbürgerungstest entfällt. Diese Regelung gilt auch für die ehemaligen Vertragsarbeiter der DDR.

Bestandteil eines Einbürgerungstests sind etwa Fragen über die Geschichte Deutschlands, zum Beispiel werden „Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland“ abgefragt. Wer durchfällt, hat die Möglichkeit, den Test zu wiederholen.

Verlangt wird zudem ein Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands für die NS-Unrechtsherrschaft und die Folgen sowie neu eingefügt nach den antisemitischen und israelfeindlichen Protesten der vergangenen Monate zum Schutz jüdischen Lebens. Auch der russische Angriff auf die Ukraine findet sich indirekt in dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht wieder. Das „Verbot der Führung eines Angriffskrieges“ gehört künftig zu den Haltungen, die einer Einbürgerung entgegenstehen. Die Einbürgerungsbehörden sollen sich Gewißheit über die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses verschaffen. Bei einem bloßen Lippenbekenntnis konnte die Einbürgerung schon bisher zurückgenommen werden. Jetzt können auch falsche Angaben über das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Widerruf führen. 

Es umfaßt auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wer aber aus religiösen Gründen, etwa als Rabbiner oder als muslimischer Imam  einer Frau den Handschlag verweigere, könne gleichwohl eingebürgert werden, wenn sonst alle anderen Voraussetzungen erfüllt seien, erwiderte die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch in der emotional aufgeladenen Plenardebatte auf eine Zwischenfrage aus den Reihen der Union. Eine Mehrehe bleibt ein Einbürgerungshindernis. Schärfer gefaßt wurde der Ausschluß einer Einbürgerung von Menschen, die antisemitische oder rassistische Straftaten begangen haben. Das Gesetz verlangt eine engere Zusammenarbeit der Behörden mit den Staatsanwaltschaften. Die Union hatte unter Hinweis auf die Ausschreitungen argumentiert, die „Modernisierung“ des Staatsbürgerschaftsrechts sende „völlig falsche Signale“. Eine Einbürgerung müsse am Ende einer gelungenen Integration stehen, nicht am Anfang. 

Im Jahr 2022 wurden deutschlandweit rund 168.500 Ausländer eingebürgert, ein Jahr zuvor waren es 131.000. Die meisten Bewerber stammten 2022 aus Syrien, der Türkei, dem Irak und der Ukraine. In Zukunft sollen pro Jahr allein in Berlin laut Innensenatorin Iris Spranger (SPD) 20.000 Ausländer eingebürgert werden. 2023 waren es in der Hauptstadt etwas mehr als 8.000.