Sie ist Galionsfigur und Namensgeberin in einem. Wenn sich an diesem Wochenende die Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) gründen wird, hat sich die Spaltung der SED-Erben endgültig vollzogen. Demoskopen trauen der neuen Kraft nicht nur den Einzug in die ostdeutschen Länderparlamente, sondern auch in den Bundestag zu (JF 4/24).
Dabei hatten nicht wenige bezweifelt, daß sich die 54jährige Wagenknecht die Mühen einer Parteigründung antun würde. Vor allem, weil die dafür nötige organisatorische Kleinarbeit gemeinhin nicht zu ihren Stärken zählt. In den vergangenen Tagen und Wochen war es der neuen Kraft jedoch gelungen, gleich mehrere personelle Coups zu landen.
Etwa mit dem ehemaligen IT-Unternehmer Ralph Suikat, der dieses Defizit mit seinen Start-up-Ideen ausgleichen soll. Und der legte los. Am 26. September erfolgt eine Vereinsgründung in Mannheim als Vorläufer zur Parteigründung. Vereinssitz: Karlsruhe. Der zum Schatzmeister gewählte Suikat wohnt nur wenige Kilometer entfernt in der Kleinstadt Ettlingen. Dort kennt man ihn. „Aber politisch ist der mir noch überhaupt nicht aufgefallen“, sagt ein älterer Anwohner der JUNGEN FREIHEIT vor Ort und wundert sich. „Also bei der Truppe hätte ich ihn jetzt überhaupt nicht vermutet.“
Tatsächlich ist Suikat politisch noch ein unbeschriebenes Blatt. Aufgefallen nur durch den von ihm ins Leben gerufenen Appell „taxmenow“, der fordert, Millionäre höher zu besteuern. Der Appell ist von der Initiative für Steuergerechtigkeit e.V. inspiriert, die wiederum der Linkspartei nahesteht. Die aus Österreich stammende Vorsitzende der Initiative, Marlene Engelhorn, führt eine Bewegung linker Millionäre an und ist eng mit der LGBTQ-Szene vernetzt.
Das Konto des Vereins und Partei-Vorläufers BSW befindet sich dagegen Hunderte Kilometer entfernt bei einer Volksbank im sächsischen Pirna. Grund dafür dürfte deren Chef Hauke Haensel sein. Bei seinem Kreditinstitut hatte einst der staatliche russische Auslandssender Russia Today sein Konto betrieben. Und auch Ria-Novosti-Ableger Ruptly läßt sein Geld dort verwalten. Ebenso wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) oder der vom ehemaligen Anwalt und Stasi-Mitarbeiter Frank Hannig ins Leben gerufene Pegida-Förderverein. 2017 hielt die Bank eine gemeinsame Weihnachtsfeier mit der Linkspartei ab. Haensel, einst Präsident des Fußball-Clubs Dynamo Dresden, gilt als Putin-Sympathisant, lädt Gleichgesinnte regelmäßig zu Treffen ein und organisiert Erkundungsreisen nach Rußland.
Für einen anderen Umgang mit Rußland wirbt denn auch das BSW in seinem Europawahl-Programmentwurf, in dem es zudem mehr Zuständigkeiten für die Nationalstaaten einfordert. In der Klimapolitik will es weniger EU-Vorgaben und mehr Technologieoffenheit, in der Migrationspolitik menschenwürdige Verfahren an den Außengrenzen.
Auch mit neuen Personen versucht das BSW, eine zu einseitige Ausrichtung zu kaschieren. Unternehmer wie Suikat bieten einen gewissen Kontrast zur Vita Wagenknechts, der ehemaligen Linkspartei-Fraktionschefin und einstigen Wortführerin der Kommunistischen Plattform. Ein Kontrast, den der ehemalige Bundes-und Europaabgeordnete Fabio De Masi verstärkt, der ein Jahr vor der 54jährigen die Linkspartei verlassen hatte. Der Enkel eines italienischen Partisanen war auch bei der BSW- Vorläuferbewegung „Aufstehen“ mit dabei.
Während Wagenknecht noch Ende vorigen Jahres mit der Merkel-Freundin Alice Schwarzer eine rußlandfeundliche Demonstration unter dem Motto „Aufstand für Frieden“ abhielt, positionierte sich De Masi bei einem ersten Auftritt nach der Parteigründung in Berlin als Kritiker der Kreml-Führung. Moskaus Geheimdienst habe ihn zu Zeiten seiner Tätigkeit im Wirecard-Untersuchungsausschuß ins Visier genommen. Gemeinsam mit Thomas Geisel soll De Masi BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl werden.
Geisel ist der nächste personelle Coup der künftigen Partei. Der ehemalige Oberbürgermeister von Düsseldorf war bisher Sozialdemokrat. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt hatte man den Parteiwechsel mit einiger Überraschung zur Kenntnis genommen. „Wenige Wochen zuvor hatte er noch seine Urkunde über 40 Jahre Parteimitgliedschaft entgegengenommen und betont, er werde immer Sozialdemokrat bleiben“, erinnert sich ein Düsseldorfer Ratsherr im Gespräch mit der jungen freiheit. Andererseits sei der 60jährige nach seiner Abwahl 2020 immer wieder mit Versuchen aufgefallen, sich innerhalb seiner alten Partei für eine erneute Oberbürgermeister-Kandidatur ins Gespräch zu bringen. Vergeblich.
Das BSW ist damit sowohl für De Masi als auch Geisel die Chance auf ein politisches Comeback. Sahra Wagenknecht hatte in der rheinischen Metropole einst ihren Wahlkreis. „Gesehen hat man sie hier allerdings fast nie“, erinnern sich Düsseldorfer Kommunalpolitiker an überschaubare Wahlkampfauftritte. Neben einem Ex-Oberbürgermeister wechselte auch ein amtierendes Stadtoberhaupt zur neuen Kraft: Katja Wolf aus dem thüringischen Eisenach. Bisher gehörte sie zur Linkspartei. Jetzt will sie bei der im September anstehenden Wahl für das BSW in den Landtag.
Doch während die Partei öffentlich neue Gesichter präsentiert, stellt sie sich hinter den Kulissen schon seit längerem als linke Kaderpartei auf. Schon vor der Vereinsgründung haben radikale Netzwerke Weichen dafür gestellt. Allen voran die aus der Linkspartei ausgetretenen Bundestagsabgeordneten, aus deren Mitte Amira Mohamed Ali neben Sahra Wagenknecht die Vorsitzende sein soll.
Als Rückgrat des BSW fungiert vor allem das Netzwerk „Was tun“. Ein Name, der auf das gleichnamige Lenin-Buch Bezug nimmt. Hier waren schon vor längerer Zeit Koordinierungskreise zum Strukturaufbau gebildet worden. „Was tun“ mobilisierte auch für die sogenannten Friedensdemonstrationen Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts. Als ihr redaktionell Verantwortlicher fungiert Julian Eder, ehemaliger Landessprecher der Linksjugend Solid in Hessen, der sich noch 2021 mit der DKP solidarisch erklärt hatte. Auch Kathrin Otte gehört zum Was-tun-Führungskreis. In Niedersachsen ist sie Landessprecherin des dortigen Koordinierungskreises. Zudem gehört sie dem Bundessprecherrat der Sozialistischen Linken (SL) an, einer neomarxistischen Strömung aus dem Umfeld der Linkspartei. Ein vertrauliches Verhältnis scheint auch sie zum DKP-Umfeld zu haben, ist mit Autoren von deren Presseorgan Unsere Zeit per du.
Bei den SL-Sommerakademien treten neben linken Gewerkschaftern und DKP-Leuten auch Personen wie der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge als Redner in Erscheinung. Bis 2021 wurde die Strömung vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft und beobachtet. Unter anderem bezeichnet die SL die DDR als „legitimen Versuch, auf deutschem Boden eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen.“ Butterwegge hatte schon als Parteiloser für die Linke als Bundespräsident kandidiert. Seine Frau, die frühere Spitzenkandidatin der nordrhein-westfälischen Linken und Ex-Landtagsabgeordnete Carolin Butterwegge, trat jüngst aus der Linkspartei aus. „Wenn eine Wagenknecht-Partei glaubwürdig für linke Inhalte eintreten sollte, dann schaue ich mir das mal an“, sagte sie zu Jahresbeginn der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.
Nicht wenige kommen aus der Kommunistischen Plattform
Die SL galt bisher zu großen Teilen als Hausmacht von Sahra Wagenknecht. In der neuen Partei dürfte sie künftig die Strippen ziehen. Auch Fabio De Masi gehört ihr an, ebenso wie Naisan Raji, die zum SL-Bundessprecherrat gehört. Darüber hinaus zählt sie zum Vorstand der DKP-nahen Marx-Engels-Stiftung, deren Vorsitzender Man-fred Sohn noch bei der letzten Bundestagswahl als Kandidat für die DKP angetreten war. Zum „Was tun“-Netzwerk gehören auch die gemeinsam mit Wagenknecht aus der Linken-Fraktion ausgetretenen Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst und Andrej Hunko. Und auch die Altlinken Peter Wahl und Willi van Ooyen sind dort mit von der Partie. Wahl stammt aus dem Marxistischen Studentenbund Spartakus, dem Studentenverband der DKP. Der Partei selbst hielt er bis zur Wende die Treue. Er gilt als Gründer und Initiator für die linksradikale Globalisierungskritiker-NGO Attac, zu deren Koordinierungskreis er auch heute noch zählt.
Willi van Ooyen entstammt der einst von der DDR mit Millionenbeträgen unterstützten Deutschen Friedens-Union (DFU), deren Bundesgeschäftsführer er in den achtziger Jahren gewesen war. Neben dem „Was tun“-Netzwerk gehören auch Teile der in den letzten zwei Jahren ins Leben gerufenen Karl-Liebknecht-Kreise zu den Vorbereitern des BSW. Besonders in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind die Kreise aktiv. Oftmals bewarben sie auch die entsprechenden Treffen.
Nicht wenige von ihnen kommen dabei aus dem Umfeld der Kommunistischen Plattform. Was man dort so für die Zukunft plant, hört sich dann doch anders an als der BSW-Programmentwurf. In Brandenburg zählt etwa Artur Pech zu den Landessprechern des Kreises. Bereits 1965 in die SED eingetreten, hielt er noch vor vier Jahren für die Kommunistische Plattform einen Vortrag zum Thema „70 Jahre DDR“, in dem er die „Enteignung der Großindustrie“ als „Errungenschaft der DDR“ bezeichnete und für die Lösung der heutigen Probleme die Beschränkung von Enteignungen nur auf die „Profitwirtschaft“ als zu kurz gegriffen benennt.