© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Pokern bis zum Schluß
Südtirol: Bei der Regierungsbildung zählt die alte Brandmauer der SVP gegenüber Rechts nicht mehr / Italiener zocken bis zum Schluß um Posten
Paul Decarli

Wie heißt es im Volksmund: Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Und die Zeit nach den Wahlen beginnt bereits mit den Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung, wie die jüngsten politischen Entwicklungen in Südtirol zeigen. Noch nie hat es im Land an Etsch und Eisack derart hartnäckige, aufbrausende und zugleich medial verfolgte Gespräche für die Zusammensetzung der Landesregierung gegeben. Darin sind sich Experten, Historiker und Journalisten einig. Doch am Ende steht die Regierung. 

Dabei waren die Landtagswahlen im vergangenen Oktober für die hiesige Politik ein Erdbeben. Die Wähler straften die regierenden Parteien Südtiroler Volkspartei (SVP) und Lega ab und setzten auf individuelle Charakterköpfe. Vertreter von zwölf verschiedenen Parteien und Bewegungen wurden in das hohe Haus gewählt – bei nur 35 Landtagssitzen. Da vom Südtiroler Autonomiestatut vorgeschrieben ist, daß die Landesregierung der Zusammensetzung der Volksgruppen entspricht, keine einfache Situation – noch dazu, da die seit Jahrzehnten mit absoluten Mehrheiten regierende Volkspartei, aufgrund der schweren Wahlschlappe mit nur mehr 34 Prozent, erstmals eine weitere deutsche Partei ins Boot holen mußte. Ministerpräsident Arno Kompatscher betonte im Hinblick auf die Zusammensetzung gleich nach Feststehen des endgültigen Wahlergebnisses, daß es Sondierungsgespräche mit allen im Landtag vertretenen Parteien geben werde.

Und so kam es auch. Konkret entwickelten sich dabei zwei Optionen für die SVP: eine Linkskoalition mit Grünen und der linksliberalen Liste Team K oder eine Allianz mit den Freiheitlichen (F), der italienischen christdemokratischen Bügerliste (Lista Civica), der Lega und Giorgia Melonis Fratelli d’Italia. Bei ersterer Variante wäre der für das Modell Südtirol so bedeutende Volksgruppenschutz als ein aus der Zeit gekommenes, nach Meinung vor allem der Grünen „trennendes“ Element auf das Abschiebegleis geraten. Zweitere Option mit fünf Parteien wurde nach internen Abstimmungen von Seiten der Südtiroler Volkspartei als die zu favorisierende ausgewählt. 

Die Folge waren neben wochenlang anhaltenden Protesten auch offene Briefe verschiedener Lobbygruppen. Am Verhandlungstisch selbst war die Stimmung ähnlich aufgeladen wie auf der Straße. Es wurde um inhaltliche Positionen gestritten, um Absätze, ja auch Formulierungen. Als Beispiel kann man hier das Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts nennen, ein Grundpfeiler der Südtiroler Autonomie. Ob die deutsche Schule in Südtirol fortbesteht, war zunächst durch Aufweichungsanregungen der SVP unklar, durch das starke Auftreten der Freiheitlichen wurde diese jedoch gesichert. 

Überhaupt waren die Koalitionsgespräche von den Freiheitlichen dominiert, die zwar nur enttäuschende fünf Prozent bei den Wahlen erreicht hatten, aber mit der politisch sehr erfahrenen Frontfrau Ulli Mair sowie mit dem Parteivorsitzenden Otto Mahlknecht und Parteivordenker Florian von Ach das beste Team in die Verhandlungsrunde entsandten. Am Ende kam ein Koalitionsprogramm mit „blauer Handschrift“ heraus, wie Journalisten und politische Gegner neidvoll anerkannten.

Nur: Noch zu Beginn der Woche, so Rai Südtirol, war es immer noch unklar, wie die Landesregierung zu dieser Koalition aussehen soll. Noch Montag vormittag hatten Lega-Mann Christian Bianchi und Civica-Politiker Angelo Gennaccaro auf Anfrage von Rai Südtirol mitgeteilt: „Es ist noch immer alles beim alten“. Beide beharrten noch auf ihren Positionen. Und diese hießen laut Rai: „Entweder ich werde Landesrat – oder wir sind raus“.