© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Kampfansage an Le Pen
Frankreich: Eine Regierungsumbildung und eine Verjüngung der Ministerriege soll die Partei des Präsidenten aus dem Umfragetief holen / „Trumpisierung der Kultur“ befürchtet
Friedrich-Thorsten Müller

Frankreich hat einen neuen Premierminister und eine neue Regierung. Präsident Emmanuel Macron ernannte den beliebten, erst 34jährigen bisherigen Bildungsminister Gabriel Attal zum Regierungschef. Damit hat das Land nicht nur den jüngsten Präsidenten, sondern dazu den jüngsten Premierminister, und mit Stéphane Séjourné auch Außenminister, seiner jüngeren Geschichte. Insgesamt vierzehn Minister wurden ernannt, darunter einige der bisherigen Regierung. Auch der Geschlechterproporz und die Interessen politischer Verbündeter wurden bei der Auswahl gewahrt. 

Notwendig geworden war die Neubesetzung nach der Demission von Premierministerin Élisabeth Borne, die vor Weihnachten, nach nur 20 Monaten, mit ihrem Kabinett zurückgetreten war. Auslöser für den Rückzug war das Scheitern ihres Einwanderungsgesetzes im Parlament und dessen Ersatz im Vermittlungsauschuß zwischen den beiden französischen Parlamentskammern durch ein deutlich verschärftes Gesetz. Dieses wollten wiederum viele Abgeordnete der Regierungspartei „Renaissance“ nicht mittragen. Aktuell liegt es dem Verfassungsgericht vor, das am 25. Januar darüber entscheiden will.

Die LGBTQ-Szene begrüßte 

Attals Ernennung zum Premier 

Gabriel Attal hatte sich zuvor im Kabinett Borne und in der öffentlichen Meinung den Ruf eines „Machers“ erarbeitet, wie ihn Macron, der über keine eigene Parlamentsmehrheit verfügt, dringend braucht. Unter anderem erwirkte Attal als Schulminister ein Verbot der orientalischen Abaya-Umhänge, die begannen, sich zum Symbol der Islamisierung von Frankreichs Schulen zu entwickeln. Auch Leistung, Respekt und Pflichtbewußtsein wollte er in den Schulen wieder mehr in den Mittelpunkt rücken, was auf große Zustimmung stieß. Vor allem aber gilt der Absolvent der Pariser Eliteuni Sciences Po als treuer Gefolgsmann, ja „Leibgardist“ (Le Monde), Macrons. 

Die Berufung Attals bedeutet damit den Versuch, die für eine Regierungsmehrheit notwendigen Stimmen der konservativen Republikaner durch eine etwas „rechtere“ Regierung zu sichern. Gleichzeitig verspricht die offene Homosexualität Attals Rückhalt in den linksliberalen, urbanen Milieus, die das Rückgrat der „Macronie“ darstellen. Insbesondere die LGBTQ-Szene begrüßte bereits mit viel Beifall seine Ernennung.

Als durchaus pikant kann in diesem Zusammenhang gelten, daß auch der frühere eingetragene Lebenspartner von Premierminister Attal, der 38jährige Stéphane Séjourné, dem Kabinett angehören wird. Der bisherige Europaabgeordnete und dortige Fraktionssprecher von „Renew Europe“ (Liberale) will als Außenminister „die einzigartige Stimme Frankreichs in die Welt tragen“. Bereits am Wochenende stattet er dafür – als Zeichen der Solidarität – der Ukraine einen ersten Besuch ab. Séjourné gilt ebenfalls als ein treuer Gefolgsmann Macrons, und er soll – trotz seines Regierungseintritts – Vorsitzender der Partei „Renaissance“ bleiben. 

Einen interessanten Wechsel gibt es auch an der Spitze des Kulturministeriums. Dieses wird künftig von der bisherigen Republikanerin Rachida Dati geleitet, die von 2007 bis 2009 Justizministerin war. Während die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo äußerte, damit eine „Trumpisierung der Kultur“ zu befürchten, schloß der Parteichef der Konservativen, Eric Ciotti, Dati kurzerhand aus der Partei aus. „Sie hat unsere politische Familie verlassen“, begründete er den Schritt.

Marine Le Pens RN hat die Verjüngung schon hinter sich  

Doch auch die bisherigen Schwergewichte der Regierung, Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire und Innenminister Gérald Darmanin werden im neuen Kabinett wieder große Handlungsspielräume bekommen, auch wenn kolportiert wird, daß diese von der „Jugendoffensive“ Macrons nicht unbedingt begeistert sind. Das Ministerium des 54jährigen Le Maire wird quasi zu einem Superministerium, das künftig nicht nur die Wirtschafts- und Finanz-, sondern auch die Energiepolitik steuert. Damit bleibt es auch bei Frankreichs Fokussierung auf die Kernenergie, moderat ergänzt durch erneuerbare Energien. Weitere Schwergewichte des Kabinetts bleiben Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und Justizminister Éric Dupond-Moretti.

Spätestens die Europawahl im Juni wird zeigen, ob Macrons Kalkül, Le Pens Rassemblement National (RN) mit „Jungdynamikern“ zu kontern, aufgeht. Zuletzt kam eine Umfrage des Instituts Elabe zu dem Ergebnis, daß Marine Le Pen „die politische Persönlichkeit [sei], die sich am meisten um die Nöte der Bürger kümmert“. Darüber hinaus wurden dem RN für die Europawahl die meisten Sitze prognostiziert. Noch schwerer dürfte aber wiegen, daß der 28jährige RN-Chef Jordan Bardella inzwischen über eine Million Follower auf TikTok erreicht hat und damit der Rassemblement National auch in den Sozialen Medien eine echte Größe geworden ist. Diese Präsenz ist vermutlich der entscheidende Grund, warum Macron an der Regierungsspitze und im Außenressort auf Jugend statt auf Erfahrung setzt.