© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Die Zeichen stehen auf Streit
Taiwan: Die Taiwaner wählen Unabhängigkeit von China. Doch damit könnten sie das Pekinger Regime zu Militäreinsätzen provozieren
Hinrich Rohbohm

Das dürfte dem kommunistischen Regime in Peking gar nicht gefallen haben. Am vergangenen Wochenende setzte sich der chinakritische Kandidat Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) bei den Präsidentschaftswahlen in Taiwan erwartungsgemäß durch. Die DPP, die für eine Unabhängigkeit von China steht, konnte 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Sein Gegenkandidat, der 66 Jahre alte ehemalige Polizist Hou Yu-ih von der prochinesischen Kuomintang-Partei (KMT) hatte lediglich 33 Prozent für sich erzielen können. 

„Wir sagen der internationalen Gemeinschaft, daß wir zwischen Demokratie und Autoritarismus auf der Seite der Demokratie stehen“, sagte Lai noch am Abend seines Wahlsieges. Die angespannten Beziehungen zur Volksrepublik China waren das Wahlkampf-Thema Nummer eins in Taiwan. Ein globaler Frieden hänge vom Frieden in der Taiwanstraße ab, warnte der künftige Präsident, der sich dennoch gegenüber Peking gesprächsbereit zeigt und dazu aufrief, den Frieden zwischen beiden Staaten zu wahren. 

Der 64 Jahre alte Lai ist der bisherige Stellvertreter der nun aus dem Amt scheidenden Staatspräsidentin Tsai Ing-wen (67), die in den vergangenen Jahren wie Lai einen chinakritischen Kurs ihres Landes vertreten hatte. Vom Wahlsieg beflügelt, dürfte er den Kurs der strikten Unabhängigkeit gegenüber Peking fortsetzen. Mit der Folge, daß die Spannungen mit der Volksrepublik weiter zunehmen werden. Prompt heißt es aus Peking als Reaktion auf das Ergebnis denn auch, daß dies nichts an der „unausweichlichen Wiedervereinigung“ ändere. 

Daß die kommunistische Führung dabei notfalls auch militärisch etwas nachhelfen könnte, zeigen die seit mehr als einem Jahr erfolgenden Invasions-Planspiele der sogenannten Volksbefreiungsarmee. Mehrfach hatten die Streitkräfte den Inselstaat mit Marineeinheiten regelrecht umzingelt. Immer wieder dringen chinesische Kriegsschiffe in taiwanische Hoheitsgewässer ein, verletzen seine Kampfjets den Luftraum der Insel. Eine Blockade der Insel hätte weitreichende Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Denn das Land gilt als der global führende Hersteller von Halbleiter-Mikrochips, deren Abnehmer dann nicht mehr mit den für die westlichen Industrien lebensnotwendigen Materialien beliefert werden könnten. 

Die Annäherung an China rief die Sonnenblumenbewegung hervor

Im März vorigen Jahres hatte die für die Einheitsfront der KPC zuständige Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV) einen Antrag gebilligt, der das Anlegen von „Feindeslisten“ taiwanischer Unabhängigkeitsunterstützer vorsieht, die in einer „Spezialoperation“ liquidiert werden sollen. 

Derlei Aggressionen haben bisher jedoch eher den Zusammenhalt der Taiwaner befördert und die Position der chinafreundlichen Kuomintang in dem 23 Millionen Einwohner zählenden Staat geschwächt. Dabei wähnte sich Peking 2008 bereits am Ziel, als die KMT mit Ma Ying-jeou die Präsidentschaftswahl gewann und die Regierung des Landes übernahm. 

Seine innenpolitischen Gegner hatten ihm einst vorgeworfen, er habe schon damals an der Erstellung von schwarzen Listen von Unabhängigkeitsbefürwortern mitgewirkt. Die Annäherungspolitik Ma Ying-jeous an das kommunistische Regime in Peking war es schließlich auch, die 2014 zur Entstehung der sogenannten Sonnenblumenbewegung geführt hatte. Unterstützt von der DPP hatten damals Studenten 24 Tage lang das taiwanische Parlament besetzt, zwangen die KMT so zu Zugeständnissen. Unter anderem dazu, ein Gesetz zur Überwachung von Abkommen mit der Volksrepublik China auf den Weg zu bringen.

Ein zunehmend rauher Ton zwischen beiden Staaten

Besonders das zwischen beiden Staaten unterzeichnete Dienstleistungsabkommen stand seinerzeit im Zentrum der Kritik. Viele Taiwaner befürchteten eine Übernahme taiwanischer Unternehmen durch Investoren aus der Volksrepublik. Hinzu kam eine Abhör-Affäre, die die KMT-Regierung weiteres Vertrauen gekostet hatte. Eine Sonderuntersuchungseinheit des Justizministeriums hatte mit Wissen Ma Ying-jeous Telefongespräche von Parlamentsabgeordneten abgehört, unter anderem auch Gespräche des Parlamentspräsidenten. Es war der Anfang vom Ende für die Regierungszeit der Kuomintang in Taiwan. 

Nach den Studentenprotesten der Sonnenblumenbewegung sowie verheerenden Niederlagen bei den Kommunalwahlen legte Ma sein Amt als KMT-Parteichef nieder. Aufgrund des Abhörskandals mußte er sich zudem einem Gerichtsverfahren unterziehen. Zwei Jahre später schaffte die DPP den Regierungswechsel, die Taiwaner wählten Tsai Ing-wen mit über 56 Prozent zur neuen Staatspräsidentin. Mit der Folge, daß sich auch die Politik Taiwans von einem chinafreundlichen in einen chinakritischen Kurs veränderte. Und damit den Vereinigungsplänen der kommunistischen Volksrepublik einen gehörigen Strich durch die Rechnung machte. 

Worauf der Ton zwischen den beiden Staaten zunehmend rauher und das Säbelrasseln Chinas lauter wurde. So laut, daß Taiwan sich zu massiver Aufrüstung gezwungen sieht und die USA bereits erklären, einen Angriff Chinas auf Taiwan nicht zulassen zu wollen. Auch die Wehrpflicht wurde von der chinakritischen Regierung von vier Monaten auf ein Jahr verlängert. Es war Altpräsident Ma, der nur einen Tag vor der Wahl forderte, die Wehrpflicht wieder auf vier Monate zu verkürzen und den Verteidigungshaushalt herunterzufahren. Seine Begründung dafür: Gegen China könne man ohnehin keinen Krieg gewinnen. Zudem sei es ungewiß, ob die USA zu ihrem Wort stünden und Taiwan zu Hilfe kommen würden, so die Argumentation des China-Befürworters. 

Die Wähler sahen das anders, erteilten mit ihrer Stimme der KMT eine deutliche Absage. Doch auch die DPP mußte Federn lassen, büßte im Parlament ihre absolute Mehrheit ein. Anderseits gibt es auch in der KMT durchaus Kräfte, die die Unabhängigkeit des Landes befürworten. Und selbst KMT-Spitzenkandidat Hou Yu-ih sah sich genötigt, angesichts der chinakritischen Stimmung im Land sich von Mas Äußerungen zu distanzieren. Der Ex-Präsident wurde nicht einmal mehr zur zentralen Wahlkampfkundgebung seiner Partei eingeladen. Ein Umstand, der Peking wiederum nicht friedensbereiter machen wird.