© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Dein Feind – und dein Helfer
Drohnen: Über Jahre hat die Bundeswehr die Bedeutung unbemannter Systeme vernachlässigt. Das rächt sich nun bitter
Peter Möller

Das Ergebnis war beeindruckend. Mit einem gezielten Feuerstoß aus seinen 35 Millimeter Maschinenkanonen hatte der Flakpanzer vom Typ Gepard 1 A2 auf dem Truppenübungsplatz in Putlos in Schleswig-Holstein einen Rotor-Arm vom Rumpf einer handelsüblichen Drohne geschossen und diese zum Absturz gebracht. Der Test überzeugte auch die Verantwortlichen des Wüstenstaats Katar, die 15 Exemplare des Flugabwehrpanzers vom Hersteller Krauss-Maffei Wegmann zum Schutz der Fußballweltmeisterschaft 2022 gegen Drohnenangriffe kauften. Die Panzer stammten ursprünglich aus Beständen der Bundeswehr, die das zwischen 1976 und 1980 hergestellte und mehrfach modernisierten Flugabwehrsystem 2010 aus Kostengründen ausgemustert hatte. 

Ein schwerer Fehler, wie sich mit dem massenhaften Aufkommen von Kampfdrohnen auf dem Gefechtsfeld erst im Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 und dann im Ukrainekrieg ab 2022 zeigen sollte. Denn die Raubkatze kann nicht nur Flugzeuge sowjetischer Bauart abschießen, für deren Abwehr sie entwickelt wurde; sie ist, wie spätestens bei dem Demonstrationsschießen in Putlos unter Beweis gestellt wurde, auch für die Bekämpfung wesentlich kleinerer Flugobjekte geeignet. Seit 2022 stellen das auch die rund 50 Geparden, die in die Ukraine geliefert wurden, tagtäglich unter Beweis. „Der Panzer erfüllt seine Aufgaben sehr gut. Er holt die Kamikaze-Drohnen wie Früchte vom Himmel“, berichtete ein ukrainischer Gepard-Kommandant im vergangenen Jahr der Nachrichtenagentur AFP.

Für die Bundeswehr sind derlei Lobeshymnen besonders schmerzhaft, denn sie machen bewußt, daß Deutschland leichtfertig die Fähigkeit zur Drohnenabwehr aus der Hand gegeben hat. Erschwerend kommt hinzu, daß sie zudem den Aufstieg der Drohnen zu einem entscheidenden Kampfmittel der modernen Kriegsführung verschlafen hat. Zwar werden schon lange Aufklärungsdrohnen eingesetzt, doch der langjährige Streit darüber, ob Deutschland überhaupt bewaffnete Kampfdrohnen anschaffen sollte, zeigt, wie schwer sich die Berliner Politik lange mit dem Thema getan hat. Angesichts des massenhaften Einsatzes von Drohnen jeglicher Art im Krieg Rußlands gegen die Ukraine wirken diese Diskussionen spätestens jetzt völlig aus der Zeit gefallen.

Abwehrsystem wahrscheinlich fünfmal teurer als geplant

Doch der Ukrainekonflikt war für die Bundeswehrführung ein Weckruf. Das Thema Drohnen und deren Abwehr wird nun mit hoher Priorität vorangetrieben. Ende vergangenen Jahres hat Generalinspekteur Carsten Breuer eine „Task Force Drohnen“ eingesetzt, die sich mit einer Nutzung in den deutschen Streitkräften beschäftigen soll, berichtet das Fachportal „Augengeradeaus“. Dabei habe Breuer eingeräumt, daß die Bundeswehr das Thema Drohnen lange Zeit vernachlässigt habe. Auf einer sicherheitspolitischen Tagung im November habe der Generalinspekteur berichtet, wie er bei einem Besuch bei der Ausbildung auf ukrainische Soldaten in Deutschland traf, die von der Abwesenheit solcher Drohnen in der Bundeswehr völlig überrascht waren, berichtet das sicherheitspolitische Portal. Von dem allgegenwärtigen Einsatz dieser Aufklärungsmittel zum Beispiel zum Schutz der eigenen Truppen seien die deutschen Streitkräfte laut Breuer noch weit entfernt.

Mehrere Berichte aus den vergangenen Wochen und Monaten machen im Zusammenhang mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland die Brisanz der Drohnenproblematik deutlich. Mehrfach wurden demnach über deutschen Truppenübungsplätzen unbekannte Drohnen gesichtet, bei denen Experten davon ausgehen, daß sie im Auftrag Rußlands unterwegs waren. „Über dem Truppenübungsplatz Klietz, wo die Bundeswehr Ukrainer am Leo 1 ausbildet, werden regelmäßig Drohnen gesichtet. Bei anderen Liegenschaften dringen teilweise mehrere Drohnen zeitgleich in den Luftraum ein. Das ist klar organisiert und weist stark auf Rußland hin“, sagte FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber Anfang Januar der Bild am Sonntag. 

Bereits im vergangenen Juni hatte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) von mindestens 65 „sicherheitsrelevanten Zwischenfällen“ mit Drohnen auf Geländen der Bundeswehr berichtet. Die Vorfälle haben schlaglichtartig das Problem der Bundeswehr mit der Drohnenabwehr deutlich gemacht: Laut Faber konnte bislang keine einzige verdächtige Drohne vom Himmel geholt werden. Das Verteidigungsministerium bestätigte auf Anfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) die Drohnensichtungen. Aber: „Eine gesicherte Zuordnung von Drohnensichtungen ist schwierig, da handelsübliche Drohnen frei erwerblich sind. Dennoch ist bekannt, daß fremde Nachrichtendienste grundsätzlich alle verfügbaren technischen Mittel nutzen, um Informationen zu erlangen“, sagte ein Sprecher. Vor einem Jahr war ein Ministeriumssprecher zu solchen Vorfällen noch davon ausgegangen, „daß man bei einem Großteil solcher Meldungen zu aufmerksam“ war und „normales Freizeitdrohnenverhalten als vermutlichen Angriff angezeigt“ hatte.

Offenbar fehlen der Truppe ausreichend leistungsstarke sogenannte Jammer, mit denen die Funksignale der Drohnen unterbrochen werden können. Der jetzige Generalinspekteur hatte im Oktober 2022, damals noch als Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, Feldjäger im Umgang mit dem Störsender des Typs HP 47 schulen lassen, um die ungebetenen Gäste abzuwehren. Der ausbleibende Erfolg dieser Maßnahme war ein Grund für die ein Jahr später erfolgte Gründung der Task Force. Hinzu kommen rechtliche Fragen der Zuständigkeit. Denn im Inland ist dafür die Polizei zuständig. Immerhin übten im November vergangenen Jahres Bundeswehr, Bundespolizei sowie die Landespolizeien von Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gemeinsam auf dem Truppenübungsplatz Lehnin in Brandenburg die Drohnenabwehr. 

Derzeit verfügt die Bundeswehr über insgesamt acht verschiedene Drohnensysteme – von der handtellergroßen Minidrohne Black Hornet bis zum System Heron 1 mit über 16 Metern Spannweite. Doch Experten zufolge besitzt die Truppe von keinem Typen mehr als eine kleine dreistellige Stückzahl. Das sind so viele, wie die Ukraine im Kampf geschätzt verliert – pro Tag.

Doch auch an anderer Stelle läuft es bei der Drohnenabwehr nicht rund. Im Dezember berichtete der Spiegel, daß das 2020 vom Verteidigungsministerium aufgesetzte Projekt zur Abwehr von Drohnen und Raketen im sogenannten Nah- und Nächstbereich fünfmal teurer als geplant werden könnte. Statt der ursprünglich vom Wehrressort veranschlagten Kosten in Höhe von 240,6 Millionen Euro für das sogenannte „Entwicklungsvorhaben Luftverteidigungssystem für den Nah- und Nächstbereichsschutz in einem Truppenverband gegen Ziele aus der Luft“ fordert die Industrie mittlerweile schon rund 1,3 Milliarden Euro.

Und auch hier zeigt das Beispiel des Krieges im Osten Europas, wie wichtig und entscheidend verschiedene Systeme zur Abwehr von Drohen sind. Einem Bericht der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute zufolge mache das russische Militär beispielsweise immer stärkeren Gebrauch von Störsendern, mit denen die Kommunikation von Fluggeräten auf dem Schlachtfeld unterbunden werden kann. Betroffen von solcher Art elektronischer Bekämpfung sind vor allem die Drohnen, die hauptsächlich zur Feindaufklärung eingesetzt werden. Werden diese massenhaft abgeschossen, ist der Gegner blind auf dem Gefechtsfeld. Den britischen Experten zufolge habe Moskaus Militär zur Verteidigung seiner eroberten Gebiete alle zehn Kilometer entlang der Front ein größeres Störsystem aufgebaut.

Unterdessen macht die Nutzung von Drohnen in den Einheiten der Bundeswehr langsam Fortschritte, auch wenn von der massenhaften Verfügbarkeit von sogenannten „Loitering Weapons“, also Kamikazedrohnen, die in der Luft „herumlungern“, um dann auf dem Gefechtsfeld den Gegner zu bekämpfen, und die im Ukrainekrieg eine herausragende Rolle spielen, noch keine Rede sein kann. 

Immer wieder wird die Nutzung von Drohnen durch die Truppe zudem durch bürokratische Hürden ausgebremst. Beispielhaft ist dafür die Aufklärungsdrohne einer Pioniereinheit: Bevor die das Fluggerät nutzen konnte, wurde die Gesundheit der potentiellen Piloten für den fliegerischen Dienst geprüft und zusätzlich noch eine fliegerische Akte für die Aufzeichnung der Flugstunden angelegt, heißt es in einem Bericht der Bundeswehr im Internet. Danach ging es für die künftigen Piloten auf einen fünftägigen Lehrgang, bevor das unbemannte Luftfahrzeug endlich in Dienst gestellt werden konnte.

Kaum vorstellbar, daß die zahllosen Drohnenpiloten der ukrainischen Armee, die tagtäglich ihren Beitrag zur Verteidigung ihres Landes leisten, ein derartiges bürokratisches Verfahren über sich ergehen lassen müssen.