Egal ob es Bundeskanzler Olaf Scholz beim Termin in Cottbus trifft, den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bei einer Visite in Ellwangen oder Finanzminister Christian Lindnder (FDP) beim Auftritt vor den demonstrierenden Bauern in Berlin: Wo immer dieser Tage Vertreter der Ampel-Koalition auftreten, schallen ihnen Buhrufe, Pfiffe und Schmähungen entgegen. Die Sympathiewerte für Rote, Grüne und Gelbe rauschen nach unten. Der Unmut über die Politik der Bundesregierung betrifft längst nicht mehr einzelne Berufsgruppen, er macht sich bei vielen im Lande Luft.
In dieser aufgeheizten Stimmung wollen zwei neue politische Formationen an den Start gehen. Ziemlich weit mit diesem Vorhaben ist bereits Sahra Wagenknecht mit dem nach ihr benannten Bündnis (BSW). Ende des Monats findet in Berlin der erste Parteitag statt, dort sollen schon das Programm und die Kandidatenliste für die Europawahl im Juni beschlossen werde. Unstrittig ist auch, daß das BSW bei den Landtagswahlen dieses Jahr in Thüringen, Sachsen und Brandenburg antreten will.
Auch Hans-Georg Maaßen plant, den Verein Werte-Union in eine Partei umzuwandeln (siehe Interview Seite 3). Unabhängig davon, daß dieses Projekt noch weniger weit gediehen ist als Wagenknechts Partei, hat das Meinungsumfrageinstitut Insa im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT ausgelotet, welche Zustimmungswerte die beiden Neulinge jeweils in der politischen Arena erzielen könnten (siehe Grafiken). Dabei haben die Linken-Abtrünnige Wagenknecht und ihr Gefolge nicht nur zeitlich und organisatorisch die Nase vorn, sondern auch in der potentiellen Wählerschaft. Zehn Prozent der bundesweit Befragten können sich demzufolge „auf jeden Fall vorstellen“, ihr Kreuz bei der Wagenknecht-Partei zu machen. 18 Prozent können sich dies „eher vorstellen“. Eine relative Mehrheit von 39 Prozent kann sich „gar nicht vorstellen“, das BSW zu wählen, weitere 20 Prozent „eher nicht“.
Wenig überraschend können sich im Osten grundsätzlich mehr eine Wahl Wagenknechts vorstellen als im Westen (41 gegenüber 25 Prozent). Die größten Fans hätte die Partei bei bisherigen Linken-Wählern. 60 Prozent würden ihr Kreuz beim BSW machen, nur 36 Prozent nicht. Bei den Wählern der übrigen Parteien überwiegt zumindest relativ die Ablehnung. Hier bekommt Wagenknecht die höchsten Werte von Anhängern der Freien Wähler (43 Prozent) und AfD (40 Prozent). Die geringste Zustimmung und höchste Ablehnung erfährt das BSW bei Grünen-Wählern.
Sollte die „Maaßen-Partei“ (Werte-Union) tatsächlich antreten, könnten sich fünf Prozent auf jeden Fall vorstellen, sie zu wählen. Zehn Prozent könnten sich die Wahl einer solchen Partei „eher“ vorstellen. Für 40 Prozent ist dies derzeit gar nicht der Fall, für 22 Prozent eher nicht. Immerhin für ein Viertel aller, die sich selbst rechts der Mitte verorten, wäre Maaßens Partei wählbar. Wähler der AfD könnten sich deutlich am häufigsten vorstellen, ihr Kreuz bei der Werte-Union zu machen (34 Prozent). Die geringste Zustimmung und meiste Ablehnung einer solchen neuen politischen Kraft käme von Anhängern der SPD und der Grünen. Aber auch lediglich 16 Prozent der derzeitigen CDU-Wähler könnten sich für eine Maaßen-Partei erwärmen.
Der Gründungsvorsitzende der WU, Alexander Mitsch, der die Gruppierung längst verlassen hat, könnte sich jedoch vorstellen, daß sich mit dem Beitrag einer „konservativ-liberalen Partei Werte-Union die bürgerliche Mehrheit in Deutschland endlich auch in entsprechenden Mehrheiten in den Parlamenten widerspiegelt und damit zur notwendigen Politikwende führt“, sagte er der jungen freiheit.
Mit wenigen Ausnahmen waren Parteigründungen in der Bundesrepublik meist ein Schlag ins Wasser. Jüngste Ausnahme: die AfD. Seit sie sich in den Parlamenten etabliert hat, konnte noch keine Konkurrenz in ihrem Revier wildern. Sollte dies Wagenknecht oder Maaßen oder gar beiden gelingen, wäre dies ein Zeichen dafür, wie massiv und nachhaltig die etablierten politischen Zustände durch die aktuelle Krise ins Wanken geraten sind.