© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Vorboten von Verboten?
Wirbel um die AfD: Ein angebliches „Geheimtreffen“ gibt dem Ruf nach juristischen Schritten neuen Auftrieb
Kuba Kruszakin / Jörg Kürschner

Die Brandmauer gegen rechts ist offenbar um einiges höher geworden. Berichte des Blogs „Correctiv“ über angebliche Massendeportationspläne, die in einer Potsdamer Villa von der Identitären Bewegung zusammen mit mehreren Politikern der AfD und der Werte-Union (WU) geschmiedet werden sollten (siehe Seite 7), riefen deutliche Empörung aus der Bundespolitik hervor, einschließlich der Rufe nach weitreichenden Konsequenzen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Teilnehmer des Treffens „Fanatiker mit Assimilationsfantasien“. Der deutsche Staat schütze alle unabhängig von der Herkunft – und wer sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet, sei ein Fall für den Verfassungsschutz und die Justiz, mahnte er. Seine Parteikollegin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser fügte hinzu, niemand solle „die Gefahr rechtsextremer Bündnisse“ unter Beteiligung der AfD unterschätzen. „Die CDU-Führung könnte sich hier deutlich klarer zeigen“, mahnte sie.

Deren Reaktion folgte prompt. „Wir werden harte Konsequenzen ziehen“, kündigte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Freitag an, falls sich die Informationen über die Teilnahme der WU-Mitglieder an der Diskussion mit Sellner bestätigen würden. Keinen Tag später bestätigte der Kreisvorsitzende im nordrhein-westfälischen Oberberg, Carsten Brodesser, daß ein Parteiausschlußverfahren gegen eines der Mitglieder laufe.

„Nicht gelungen, die AfD politisch in die Schranken zu weisen“

Der „Correctiv“-Artikel nannte zwei führende WU-Mitglieder, die stellvertretende Bundesvorsitzende Simone Baum und die stellvertretende Landesvorsitzende der Vereinigung in Nordrhein-Westfalen, Michaela Schneider. Der CDU-Bundesvorstand kündigte auf seiner Klausurtagung am Wochendende an, beim kommenden Parteitag einen Antrag zur Unbereinbarkeit der Mitgliedschaft in der Werte-Union und CDU zu stellen. Darüber hinaus erklärte Parteichef Friedrich Merz, wer Hauptgegner bei den kommenden Europa- und Landtagswahlen sei: „Wir werden in eine sehr klare und sehr harte Außeinandersetzung insbesondere gegen die AfD gehen.“

Aber auch in der AfD sah man Handlungsbedarf. Die im Bericht erwähnten Mitglieder hätten sämtlich „als Privatpersonen teilgenommen, keiner der Betreffenden konnte daher für unsere Partei“ sprechen, heißt es in einer „Klarstellung“. Zudem verwies man darauf, den für Aufregung sorgenden Begriff „Remigration“ in sämtlichen Programmen „transparent und rechtsstaatlich“ zu verwenden. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Bundestag, Bernd Baumann, betonte am Dienstag, mit den behaupteten „Massendeportationen“ habe das nichts zu tun: „Bei der Remigration geht es für die AfD um die rechtsstaatliche Rückführung endgültig abgelehnter Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge, wenn der Krieg beendet ist.“ Er selbst, ergänzte der Bundestagsabgeordnete, hätte an dem Treffen in Potsdam jedoch „wahrscheinlich nicht teilgenommen“.

Für seinen Parteifreund und früheren Parlamentskollegen Roland Hartwig bedeutet die Teilnahme indes einen Karriereknick. Der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag als Referent für Pareichefin Alice Weidel als Berater tätige Jurist muß nun seinen Hut nehmen. Offiziell ist von „beiderseitigem Einvernehmen“ die Rede. Bei dieser Entscheidung ging es offenbar auch um die Glaubwürdigkeit der AfD, die einen Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der „Identitären Bewegung“  (IB) gefaßt hatte. Wie sonst könnte man Mitglieder der Nachwuchsorganisation Junge Alternative für gemeinsame Veranstaltungen mit der IB sanktionieren, wenn ein enger Mitarbeiter Weidels ohne Konsequenzen mit Martin Sellner zusammensitze, verlautete es aus Parteikreisen.

Unterdessen mobilisierte das linke Vorfeld zu zahlreichen Demonstrationen. Wenige Tage nach der Veröffentlichung ließ sich Bundeskanzler Scholz gemeinsam mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock in Potsdam auf einer von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) organisierten Kundgebung gegen die AfD blicken. Ähnliche Proteste gab es in vielen anderen Städten Deutschlands. Allein zur Sonntagsveranstaltung am Brandenburger Tor in Berlin kamen nach Angaben der Polizei rund 25.000 Teilnehmer. Dazu rief unter anderem das Bündnis „Fridays for Future“ (FFF), der Verein „Campact“ sowie die Interventionistische Linke.

Das Motto: „Demokratie verteidigen“. Zur Not auch mit einem AfD-Verbot, wie mehrere Transparente sowie Redebeiträge zeigten. Die seit Jahren geführte Debatte bekam einen neuen Anschub. Unter anderem „Campact“ sowie der linke Blog „Volksverpetzer“ warben erneut für ihre Petitionen, die Partei als Ganzes oder in den einzelnen Ländern zu verbieten.

Mehrere Landesverbände und Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD schlossen sich der Idee an. „Es ist uns nicht gelungen, die AfD politisch in die Schranken zu weisen“, begründete der SPD-Fraktionschef in der Bremischen Bürgerschaft, Mustafa Güngör, seine Zustimmung. Mandatsträger im Bund gaben sich hingegen vorsichtiger. Zwar nannte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, den Vorstoß „völlig richtig“, merkte jedoch an, das „Problem der rechten Bewegung in Deutschland“ sei damit nicht gelöst. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai plädierte dafür, die AfD lieber „politisch zu stellen“. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, die Politik müsse sich fragen, was so viele dazu bringe, „eine solche Partei“ zu unterstützen.

Auch erfahrene Rechtsexperten halten eine potentielle AfD-Verbotsprüfung für eine schwierige Sache. Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität Berlin, der die Bundesländer bei dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren vertreten hatte, mahnte in einem Interview mit dem ZDF zur Vorsicht. Die Anforderungen an ein faires staatsrechtliches Verfahren seien „aus guten Gründen“ besonders komplex. Die migrationspolitischen Absichten allein reichten seiner Einschätzung nach nicht aus, die AfD verbieten zu lassen. 

Deshalb plädieren einige lieber dafür, Mitgliedern wie Björn Höcke gemäß dem Artikel 18 des Grundgesetzes einzelne Grundrechte zu entziehen. So fordert es eine Petition auf der Kampagnenseite von „Campact“, die sich an alle Fraktionen des Bundestages – mit Ausnahme der AfD – richtet. Sollte dieses Vorhaben Erfolg haben, könnte der thüringische AfD-Landeschef beispielsweise von der Landtagswahl ausgeschlossen werden.

Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, hält ein solches Verfahren für möglich und „durchaus aussichtsreich“. Er fügte aber hinzu, daß sich bislang niemand darüber Gedanken gemacht habe, da die Norm „ohne praktische Bedeutung“ gewesen sei. Waldhoff äußerte sich skeptisch, ob die Anwendung des Artikels 18 im Unterschied zu einem Parteiverbot den gewünschten Effekt bringen würde: „Man kann vielleicht sogar das Gegenteil erreichen.“

Andere Juristen äußerten Bedenken, ob es juristischer Maßnahmen gegen die AfD überhaupt bedarf. „Es gibt in der Verfassung keine Definition, was rechtsextrem heißt“, merkte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem Interview mit dem Tagesspiegel an. Wer als rechtsextrem gilt, sei eher „politisch definiert“, weswegen man mit dem Begriff vorsichtig sein solle. Für ihn sei es nicht rechtsextrem, illegale Migration verhindern zu wollen, sondern beispielsweise das Wahlrecht nur den in der Bundesrepublik geborenen Deutschen zuzugestehen oder einen systemischen Umsturz zu planen. Auch Staatsrechtler Rupert Scholz hält wenig von dem potentiellen Vorhaben. Die AfD sei für ihn keine verfassungswidrige Partei in der aktuellen Form. Zudem zweifelte er die Strategie der Inlandsnachrichtendienste an. „Ein Präsident des Verfassungsschutzes, der in die Öffentlichkeit geht und dort vor einer vermeintlich rechtsextremen AfD warnt, überschreitet seine Befugnisse“, kritisierte er deutlich.

CDU-Parteichef in Brandenburg, Jan Redmann, schlug deshalb eine andere Strategie vor. Er forderte, der Partei einen Platz im Bundestagspräsidium zur Verfügung zu stellen. Ihre Nicht-Wahl stütze den „Opfermythos“, in dem sich die Partei „lustvoll“ bade: „Sie versucht damit, die anderen als schlechte Demokraten zu stigmatisieren.“





Artikel 18 Grundgesetz

Es ist ein Verfassungsartikel mit weitreichenden Konsequenzen: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte.“ Über die Verwirkung entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Treffen kann es jeden; auch juristische Personen, wie Vereine, Parteien, Gewerkschaften und andere Organisationen. Einen Antrag auf Verwirkung der Grundrechte können Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat stellen. Damit jemand damit sanktioniert wird, wie es eine Petition nun gegen Björn Höcke erreichen will, muß der Betreffende nicht nur in der Vergangenheit eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung gewesen, sondern es auch künftig sein. „Nach herrschender Meinung bewirkt die Verwirkungsentscheidung nicht den Verlust des Grundrechts, sondern das Verbot, sich gegenüber staatlichen Einschränkungsmaßnahmen darauf zu berufen“, heißt es in einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. So hart die Maßnahme, so gering ist ihre praktische Relevanz. Bisher gab es seit 1949 erst vier Anträge, von denen keiner über das Vorverfahren in Karlsruhe hinauskam. Der letzte erfolglose Versuch ist 50 Jahre her: 1974 sollte es den rechtsradikalen Verleger Gerhard Frey treffen. (vo)