Herr Dr. Maaßen, stellen Sie sich nicht selbst ein Bein?
Hans-Georg Maaßen: Warum?
Mit der Ankündigung, eine Partei zu gründen, steht Ihrem Rauswurf aus der CDU nichts mehr im Wege.
Maaßen: Die Mitgliedschaft ist doch kein Selbstzweck, für mich ist allein eine Politikwende in Deutschland wichtig, denn die gegenwärtige ökosozialistische Systemveränderung zerstört unsere Gesellschaft und Wirtschaft – und eine Union, die dabei mitmacht, ist für mich Teil des Problems!
Immerhin haben Sie im Juli vor dem Kreisparteigericht, das Ihnen nur einen Verweis erteilt hat, obsiegt.
Maaßen: In erster Instanz, und Friedrich Merz hat es nicht zur Vernunft gebracht. Weil wir entschieden auf die Politikwende drängen, will er mich aus der Partei rauswerfen, und er grenzt die Werte-Union aus – ironischerweise also ausgerechnet jene, denen er den Parteivorsitz verdankt! Lieber läßt er Generalsekretär Linnemann erklären, Merkel hätte Deutschland gut regiert, und wünscht sie sich als Wahlkampfhelferin. Daher sind wir auf einer Klausurtagung der Werte-Union zum Schluß gekommen, daß unsere Partei nicht nur herz-, sondern auch hirntot und es an der Zeit ist, sich von ihr abzuspalten.
Sie treten nun selbst aus der CDU aus?
Maaßen: Meine Mitgliedschaft erlischt, sobald ich einer anderen Partei beitrete.
Wann wird das sein?
Maaßen: Ich denke im Februar. Zuerst muß aber unsere Mitgliederversammlung am Sonnabend in Erfurt beschließen, eine eigene Partei zu gründen.
Warum wandeln Sie die Werte-Union nicht in eine um?
Maaßen: Weil das rechtlich nicht möglich ist. Entweder lösen wir den Verein auf und gründen statt seiner eine Partei – oder wir gründen diese zusätzlich. Letzteres ist, wofür wir vom Bundesvorstand votieren und dem die Mitgliederversammlung hoffentlich folgen wird. Da dann, wer der Partei nicht beitreten will, im Verein verbleiben kann.
Und beide sollen gleich „Werte-Union“ heißen?
Maaßen: Es wird klare Unterscheidungen im Namen geben, Genaues ist aber noch nicht entschieden.
Wann im Februar wäre der Gründungsparteitag?
Maaßen: Ziemlich bald, mehr möchte ich dazu aber noch nicht sagen.
Sie streben den Parteivorsitz an?
Maaßen: Es kommt darauf an, wen der Parteitag wählen wird. Ich dränge mich nicht auf.
Rechnen Sie mit weiteren Kandidaten, etwa dem Ökonomen Markus Krall, der ja schon länger für eine Partei dieser Art wirbt?
Maaßen: Es gibt viele Leute, die in Frage kommen, warten wir den Gründungsparteitag ab.
Hatten Sie sich zuvor nicht gegen Krall ausgesprochen?
Maaßen: Ich sehe ihn und seine Atlas-Initiative mit im Boot, um für die Werte zu kämpfen, die die Union klassisch ausmachen: Unsere Partei soll nicht nur Heimat für Konservative sein, sondern auch für Liberale, für die – spätestens seit dem gescheiterten Mitgliederentscheid – die FDP keine mehr ist.
Gibt es weitere Prominente – vielleicht Thilo Sarrazin?
Maaßen: Ein Schritt nach dem anderen, erst muß die Partei beschlossen werden! Sie können sicher sein, daß ich viele Gespräche führen werde.
Die Gründung erfolgt, weil die Werte-Union ihr Ziel, die CDU/CSU zu reformieren, verfehlt hat und zum Paria geworden ist. Warum aber sollte aus einer gescheiterten Bewegung eine erfolgreiche Partei werden?
Maaßen: Na, immerhin hat die Werte-Union es geschafft, Merz als Parteichef durchzusetzen! Denn es waren die mit uns sympathisierenden Kreisvorsitzenden, die die CDU-Mitgliederbefragung organisiert haben, ohne die zweifellos wieder ein „Merkelianer“ gewählt worden wäre. Als uns 2021 aber ein Bundesvorstandsmitglied ein „Krebsgeschwür“ nannte, das rücksichtslos zu bekämpfen sei, und die Parteiführung schwieg, war mir klar, daß die Union den Weg einer freiheitlichen Partei verlassen hat. Denn damit hat sie nicht nur die Sprache einer sozialistischen Kaderpartei übernommen, sondern auch deren Technik rücksichtsloser innerparteilicher Feindbekämpfung, die jede politische Kurskorrektur im Keim ersticken soll. Wir ziehen nun die Konsequenz und trennen uns von dieser Kaderpartei, die sich weit vom Geist der Demokratie und Freiheit des Bonner Grundgesetzes entfernt hat.
Versuche, eine Alternative zur Union zu etablieren, sind jahrzehntelang fast ausnahmslos gescheitert. Warum sollte das diesmal anders sein?
Maaßen: Natürlich sehe ich die Risiken, es ist wahrlich kein Stöckchen, das wir da überspringen wollen, sondern eine Hochsprunglatte! Doch ist unsere Lage anders: Eigentlich sind wir keine Neugründung, sondern eine Abspaltung, da viele von uns, wie ich, seit Jahrzehnten in der Union sind und im Grunde wir ihre Tradition fortführen. Zudem gibt es die Werte-Union seit sieben Jahren, sprich wir verfügen über Strukturen, Landesverbände und eine – übrigens wachsende – Mitgliederschaft, werden also bereits am Tag der Parteigründung organisatorisch, personell und programmatisch gerüstet sein.
„Programmatisch“?
Maaßen: Ja, wenn der Gründungsparteitag das Parteiprogramm auf Grundlage des bisherigen „Konservativen Manifests“ der Werte-Union beschließt.
Das Manifest fordert die Rückkehr zum „Markenkern der CDU“. Was genau heißt das?
Maaßen: Daß wir die Union 1.0 sind, also das Original! Eine Partei für alle kritischen Bürgerlichen, die mit Ampel sowie Merz-Kurs nicht einverstanden sind. Die Sozialismus ablehnen und Freiheit wollen, weil sie finden, daß Bürger selbst entscheiden können und keinen Staat als Vormund brauchen.
Rückkehr zu welcher CDU, der Adenauers oder Kohls?
Maaßen: Weder noch, wir wollen nicht zurück in eine vergangene Zeit. Vieles, was CDU-Politiker getan haben, läßt sich heute gar nicht wiederholen und würde auch nicht zu Lösungen führen, da die Welt eine andere ist. Vielmehr heißen wir aus gutem Grund „Werte“-Union: Es geht um Prinzipien, die Deutschland und sein Bürgertum stark gemacht haben, in Wirtschaft, Bildung und Kultur. Wir glauben, diese sind das beste Rüstzeug, die Zukunft zu bewältigen, wieder zu einer freiheitlichen Gesellschaft starker Bürger mit schlankem, funktionierendem Staat zu werden. Wozu auch gehört, das Ausländerproblem zu lösen, doch ohne radikal zu sein oder unrealistische Ziele zu verfolgen.
Das heißt?
Maaßen: Wir werden die vielen Ausländer, die zu Unrecht hier sind, nach Recht und Gesetz abschieben. Was möglich ist, wenn es den politischen Willen dazu gäbe: Wir haben ihn! Das gleiche gilt etwa für die Rückkehr zu einer sicheren Energiepolitik.
Wie sieht es aber bei polarisierenden Themen aus, etwa Corona, Rußland, dem Gaza-Krieg oder der EU?
Maaßen: Ich plädiere grundsätzlich für eine emotionsfreie, sachliche Politik, die fragt, was im Interesse des deutschen Volkes ist. In puncto Pandemie heißt das, diese aufzuarbeiten: Die Rolle der Politiker, verantwortlichen Beamten, Experten und Journalisten muß beleuchtet werden, durch Untersuchungskommissionen, Staatsanwälte und Gerichte. Denn heute erleben wir eine Übersterblichkeit und daß viele ihre Erkrankungen auf die Impfung zurückführen. Offensichtlich ist da vieles unstimmig und etliches war gar gelogen! Zu Rußland: Dessen Angriff auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig und zu verurteilen. Doch als jemand, der viel mit Amerikanern und Russen zusammengearbeitet hat, schätze ich beide Seiten und empfinde es als tragisch und als völliges Versagen der Diplomatie, daß der Konflikt ausbrechen konnte und noch nicht befriedet ist. Doch zu vertreten haben wir weder US- noch russische und auch keine ukrainischen, sondern deutsche Interessen. Stelle ich die Frage, was für das deutsche Volk am besten wäre, ist die Antwort aus meiner Sicht, möglichst schnell den Krieg zu beenden. Ich glaube, ein Hans-Dietrich Genscher, erst recht ein Otto von Bismarck würden weder rasten noch ruhen, bis sie einen Waffenstillstand ausgehandelt hätten! Bei Gaza bin ich vorsichtig, da ich trotz meiner Israel-Besuche und guter Beziehungen zu Mossad und Schin Bet, die Lage zu wenig kenne. Doch bin ich überzeugt, uns muß daran gelegen sein, daß Israel als einziger westlich-demokratischer Staat der Region sicher leben kann. Ich sehe aber auch das Leid auf palästinensischer Seite, und vermutlich wären auch hier Verhandlungen das Beste. Schließlich zur EU: Ich bin kein Herzens-, aber ein Verstandeseuropäer. Deutschland braucht die Europäische Union, die wir daher nicht verlassen, aber gemäß ihrer ursprünglichen Idee umbauen sollten.
Überzeugen müssen Sie für einen Erfolg allerdings nicht nur Unions-, sondern auch AfD-Wähler. Wie?
Maaßen: Die Werte der AfD unterscheiden sich doch sehr von unseren, und viele wählen die Partei nur mangels Alternative. Die aber bieten wir, zusammen mit einer christlicheren und freiheitlicheren Grundierung. Während die AfD etwas paternalistischer ist – ja, was den Teil angeht, der früher der „Flügel“ war, fast schon linke Züge aufweist.
Wer wäre der Wunschkoalitionspartner der Partei?
Maaßen: Da wir aus der Union kommen, hängen die meisten wohl mit dem Herzen noch an ihr. Doch wäre dazu ein Kurswechsel nötig, der den völligen Bruch mit der Ära Merkel und eine Reinigung davon sowie das Ende der „Brandmauer“ bedeutet. Dafür aber gibt es keine Anzeichen.
Bleibt nur die AfD.
Maaßen: Jeder, der unsere Programmatik unterstützt, ist unser Partner, wer dagegen ist, unser Gegner. Die entscheidende Frage lautet: Mit wem können wir am besten den ökosozialistischen Systemwechsel beenden? Sollte die AfD die Antwort darauf sein, würden wir mit ihr zusammenarbeiten. Doch zwingend ist eine Kooperation mit ihr nicht.
Ob AfD oder nicht, die Union macht bekanntlich alles rechts von ihr erbarmungslos nieder.
Maaßen: Diesbezüglich hat sie doch schon fast alle Register gezogen. Merz hat mich sogar als Antisemiten diffamiert. Aber das Ausschlußverfahren gegen mich und der Unvereinbarkeitsbeschluß gegen die Werte-Union sind Zeichen der Hilflosigkeit. Kommt unsere Partei, rechne ich mit massiver, aggressiver, totalitärer Feindbekämpfung durch die Merz-Union, aber mehr noch durch linke Parteien und Medien.
Vorgeworfen wird der Werte-Union nun, daß zwei ihrer Mitglieder beim umstrittenen Vortrag Martin Sellners zur sogenannten Remigration dabei waren.
Maaßen: An der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung des linksradikalen Online-Mediums „Correctiv“ und der Folgeberichterstattung der Medien habe ich ernste Zweifel. Und skandalös finde ich die Art der Ausforschung sowie daß die Geschichte, auch von den öffentlich-rechtlichen Medien, offenbar unhinterfragt übernommen sowie die Beteiligten an den Pranger gestellt werden, meist ohne Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. „Correctiv“, das sich als Ankläger, Richter und Vollstrecker aufspielt, arbeitet in geheimdienstähnlicher Weise – doch ohne Rechtsgrundlage, was offensichtlich von den linken Massenmedien gebilligt wird, weil es dem „Kampf gegen Rechts“ dient. Das zeigt, daß die radikale Linke Öffentlichkeit und Rechtssystem soweit dominiert, daß künftig nicht nur mit Diffamierungs- und Ausgrenzungskampagnen zu rechnen ist, sondern auch mit Übergriffen, bis hin zu Mißhandlungen durch die Knüppeltruppe der Linken, die Antifa. Was leider nicht ausschließt, daß es selbst zu Tötungsdelikten gegen uns kommen könnte. Denn ich glaube, wir erscheinen diesen Leuten sogar gefährlicher als die AfD, da wir viel mehr als diese in der Lage sind, in der bürgerlichen Mitte Wähler zu überzeugen.
Die allerdings auch eher mit der Nazikeule einzuschüchtern sind als AfD-Stammwähler.
Maaßen: Und dennoch glaube ich, diese gegen uns zu schwingen wird im Gegenteil bewirken, daß nur noch mehr Bürger erkennen, wie völlig grundlos dieser Vorwurf längst gemacht wird.
Also stellen Sie sich am 9. Juni zur Europawahl?
Maaßen: Das entscheidet die Partei. Ich empfehle es aber nicht, da die Zeit zu knapp ist. Stattdessen sollten wir uns auf die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September konzentrieren.
Bei der Europawahl gilt keine Fünf-Prozent-Hürde: Bieten ein Einzug dort und der Wahlkampf zuvor nicht die Möglichkeit, sich bekannt zu machen?
Maaßen: Ich sehe uns im September ohnehin bei deutlich über fünf Prozent, eher Richtung zehn, vielleicht sogar darüber.
Trotz Ihres Wählerpotentials von 15 Prozent (siehe Seite 5), was wenn nicht, wenn Sie gar bei ein, zwei oder 0,5 Prozent landen? Geben Sie das Projekt dann auf?
Maaßen: Das wird nicht passieren, denn dafür ist dort das Vertrauen in die CDU schon zu zerstört.
Sie konkurrieren nicht nur mit der CDU, sondern mit der AfD und Sahra Wagenknecht, zwei starken Marken!
Maaßen: Wagenknecht ist ein Produkt der Medienblase. Bürgerliche Wähler wissen, mit ihr gibt es keine Politikwende, sondern nur mehr Sozialismus und Koalitionen mit SPD, vielleicht der Linken oder der Merz-CDU. Ja, die AfD ist eine Marke, findet aber, teils wegen der Dämonisierung, teils aber auch weil man sie als radikal empfindet und einige ihrer Politiker ablehnt, in etlichen Milieus keinen Eingang mehr. Doch sage ich Ihnen noch etwas: Ins Parlament zu kommen, das reicht mir nicht.
Soll heißen?
Maaßen: Daß man Politik tatsächlich nur von einem Ort aus machen kann – dem Regierungstisch!
Dr. Hans-Georg Maaßen, führt seit 2023 die 2017 gegründete Werte-Union (Logo rechts). Von 2012 bis 2018 war der 1962 in Mönchengladbach geborene Jurist Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er lehrte an der FU Berlin, am Europäischen Zentrum für Staatswissenschaften und war Autor eines Grundgesetz-Kommentars. Seit 1978 gehört er der CDU an, für die er 2021 in Thüringen Direktkandidat bei der Bundestagswahl war.