Schon nach kurzer Zeit weiß ich wieder, warum ich nicht zum Klassentreffen wollte: Die Hauptthemen „mein Job, mein Haus, mein Auto“ erfüllen jedes Klischee. Doch im Vergleich zu unserer letzten Zusammenkunft scheinen sich vereinzelte Gespräche nun auch um Gesundheit oder vielmehr um diverse Krankheiten zu drehen.
So wird am Tisch nebenan nicht nur ausgiebig die Thematik des Bluthochdrucks inklusive passender Medikamente erörtert, sondern auch, wie die ersten Symptome der Gicht einzudämmen sind. Gerade als ich mich abwenden und mir ein Getränk holen will, wird die Sache spannend: „Medikamente machen uns gesund, das ist in etwa so, wie ein Kredit uns reich macht!“ Ausgerechnet die sonst eher unscheinbare Elke bringt plötzlich Schwung in die Runde. „Mensch Bernd, dein Körper versucht mit dir zu reden. Suche mal lieber nach den Ursachen, anstatt immer gleich zur Pille zu greifen.“
Ich blicke zurück: Streß im Job, ungesunde Ernährung. Pillen: ja, eigene Veränderungen: nein.
Bernd, der sonst um keinen Kommentar verlegen ist, wirkt auf einmal wortkarg: „Du hast gut reden – bei deiner Figur.“ Mir fällt ein, daß Elke vor einiger Zeit schwer krank gewesen ist. Doch anstatt zu erklären, daß sie keineswegs immer fit und gesund war, ergänzt sie: „Krankheiten treffen uns nicht aus heiterem Himmel. Oftmals sind sie Folgen unseres Lebenswandels.“
Sie hat einen Nerv getroffen, zumindest bei mir. Ich blicke zurück auf die letzten Jahre: Streß im Job, ungesunde Ernährung, zu wenig Schlaf oder zu viel Alkohol. Hatte ich Probleme, gab es ein Medikament. An eigene Veränderungen habe ich zuallerletzt gedacht.
„Die Pharmakonzerne haben Gesundheit genausowenig im Sinn wie die Rüstungsindustrie den Frieden“, fügt Sven vom Nachbartisch hinzu. Trotz dieser Aussage entsteht kein Streit, sondern eine entspannte Diskussion. Wir plaudern über zurückliegende Krisen, die das Vertrauen in die Medizin haben schrumpfen lassen, unsere eigene Lebensweise und die oft unterschätzte Kraft des Immunsystems. Auf dem Heimweg kommt mir ein Zitat von Kneipp in den Sinn: „Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muß eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern.“
„Und wie war es?“, will meine Frau am nächsten Morgen wissen. Meine Antwort überrascht nicht nur sie: „Wie hieß noch gleich das kleine Hotel, wo du so gern mit mir eine Auszeit nehmen wolltest?“