Als im Frühjahr 2021 erste Videos der Schweizer Gruppe „Mass-Voll“ durch die sozialen Medien gereicht wurden, war wohl nur wenigen auf den ersten Blick klar, daß es sich um eine, wie man so sagt, coronakritische (also eigentlich: maßnahmenkritische) Gruppierung handelte. Statt Demonstrationen, Bannern und Flyern zeigten die ersten Videos nämlich in erster Linie eines: Partys. Wummernde Bässe, im Takt zappelnde Körper, elegische Synth-flächen und im Hintergrund schneebedeckte Berggipfel und saftige Wiesen. Offenbar hatte man in den Alpen einen ganz eigenen Umgang gefunden, um seinen Widerwillen gegenüber Lockdown und Maskenpflicht kundzutun. Die Schweizer Medien zeigten sich allerdings eher an den personellen Überschneidungen zur konservativen Schweizer Volkspartei interessiert – so gehört etwa der Jungpolitiker Olivier Chanson zum Kernteam der Truppe.
Also, Techno von rechts? In einer Zeit, in der Berliner Rave Clubs ganz selbstverständlich mit Antifa-Symbolik an den Eingangstüren werben, mag das ein absurd wirkendes Bündnis sein. Ist nicht gerade die elektronische Tanzmusik dazu geeignet, jeden Konservativen die Nase rümpfen zu lassen? Sinnloser hedonistischer Exzeß zu primitiver, stumpfer, auf Knopfdruck erzeugter Musik, die sich ohne berauschende Substanzen gar nicht genießen läßt?
Die Corona-Maßnahmen haben Proteststimmungen erzeugt
Tatsächlich waren es gerade diese Eigenschaften, die in den 1990er Jahren die Faszination einer jungen, konservativen Szene weckten. Tanz und Beat wurden hier zur Möglichkeit einer Grenzerfahrung erklärt, zur Rebellion „gegen eine durchrationalisierte Welt ohne Zauber und Emotionen“, wie es Manuel Ochsenreiter und Jürgen Hatzenbichler 1998 in der JUNGEN FREIHEIT postulierten (JF 10/98). Anstatt sich in ein geruhsames bürgerliches Leben zurückzuziehen, rieten sie jungen Lesern, sich in die Welt der „hämmernden Baß-Töne“ zu begeben. Denn dort gebe es eine „Freiheit, mit der weder Bürgerliche noch aufgeklärte Linke etwas anfangen können“.
Ähnliche Töne kamen damals von dem JF-Redakteur Roland Bubik und, aus Österreich, vom Wiener Landesobmann des Rings Freiheitlicher Jugend, Christian Böhm-Ermolli. Eine wirkliche Breitenwirkung erzielten diese Gedankenspiele in der Szene allerdings kaum. Daß sich in den 1990er und 2000er Jahren im Mainstream schließlich warnende Stimmen häuften, die von florierenden rechten Einstellungsmustern in der Spaßkultur berichteten, hängt eher damit zusammen, wie Techno als hegemoniale Jugendsubkultur damals schlicht alle jungen Menschen anzog – unabhängig der Einstellung. So war es in den frühen Neunzigern gerade in der Electro-Hauptstadt Berlin nicht unüblich, ganz normale Jugendliche, linksgerichtete Punker, Schwule und rechte Skinheads auf ein und derselben Veranstaltung nebeneinander „abraven“ zu sehen. Die frisch entstandene, anarchische und teils lediglich halblegale Eventkultur hatte schlicht noch kein derart geschärftes Profil entwickelt, als daß sich die Besucher auf einen bestimmten Typus hätten festlegen können.
Bleibt noch der Blick ins Ausland. Gerade in Osteuropa hat sich an der Schnittstelle von Hooligan-Subkultur und Hardbass, einem Untergenre der elektronischen Musik, eine anpolitisierte, rechtsaffine Jugendsubkultur gebildet. Sie ist proletarisch, betont maskulin und durchaus gewaltaffin, ein weltanschaulicher roter Faden ist selten auszumachen. Auch in Frankreich erfreut sich der anarchische Geist der Jogginghosen-und-Trainingsanzugs-Fraktion wachsender Beliebtheit. Die Hooligan-Truppe Ouest Cokins hat es mit Titeln wie „Légitime Défonce“ (Deutsch: „Legitime Verprügelung“, ein Wortspiel mit Légitime Défence, legitimer Verteidigung) zu Kultstatus gebracht. Im südfranzösischen Orange findet Mitte August auch 2024 wieder das „Positiv Electronic Festival“ im antiken römischen Amphietheater statt: Kein explizit rechter Rave, aber durchaus mit moderner konservativer Strahlwirkung, da die Familie Bompard vom Front National beziehungsweise von der Ligue du Sud seit 1996 den Bürgermeister von Orange stellt und den Ort erfolgreich gegen linke Machtansprüche verteidigt.
In Deutschland scheint ausgerechnet Corona etwas in der Szene angestoßen zu haben. Genervt über die monatelangen Veranstaltungsverbote während der Pandemiezeit hat sich eine eigene Untergrund-Ravekultur gebildet, die Tanzsüchtigen mit entsprechenden Veranstaltungen versorgte – und es auch heute noch tut. Politisch ist das auf den ersten Blick nicht, auf den zweiten dann allerdings doch. So ist es keine Seltenheit, daß in entsprechenden Gruppen auch schon mal Artikel der jungen freiheit oder Aktionen der Identitären Bewegung geteilt werden. Insgesamt ist die Szene allerdings kaum als konservativ oder rechts zu bezeichnen, sondern ist in ihresr Mischung aus Friedensbewegtheit, esoterischen Anklängen und Öko-Versatzstücken geradezu symptomatisch für andere maßnahmenkritische Bewegungen.